Demenz WG in Ober-Ramstadt ist Anlaufstelle für Frühbetroffene

aus Leseraktion "Echo hilft"

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Der Gemeinschaftsraum ist gemütlicher Treffpunkt der Bewohner der Demenz WG Waldmühle in Ober-Ramstadt. Foto: Guido Schiek

Zwölf Frauen und Männer zwischen 58 und 88 Jahren leben derzeit in der Demenz-WG Waldmühle in Ober-Ramstadt. 2010 gegründet, ist sie Anlaufstelle nicht nur für ältere...

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OBER-RAMSTADT. Um den großen Tisch im Gemeinschaftsraum sitzen an diesem Donnerstagvormittag im November sieben Bewohner der Demenz-WG Waldmühle in Ober-Ramstadt. Während ein älterer Herr sich aus dem „Darmstädter Echo“ vorlesen lässt, schaut sein Tischnachbar zu, wie eine Pflegemitarbeiterin eine Raumdekoration aufhängt, eine Dame hilft derweil schon beim Zubereiten des Mittagessens in der Küche. „Unser Gemeinschaftsraum ist gemütlicher Treffpunkt für alle Bewohner, hier ist immer was los“, sagt Hauskoordinatorin Adrienne Zehner.

Zwölf Frauen und Männer zwischen 58 und 88 Jahren leben derzeit in der Demenz-WG Waldmühle. 2010 gegründet, ist sie Anlaufstelle nicht nur für ältere Menschen mit Demenz, sondern auch für „Frühbetroffene“. Die Zahl der Demenzerkrankungen steigt zwar im Alter; es gibt aber auch Menschen, die bereits zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr erkranken. 20 000 und 24 000 Menschen sind davon nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bundesweit betroffen.

Die WG Waldmühle ist in vielerlei Dingen anders als andere Einrichtungen für Demenzkranke: Es ist eine von Angehörigen geführte Wohngemeinschaft, in der die Angehörigen zwar zur Mitarbeit gefordert sind, aber gleichzeitig auch mitgestalten können. Besuchszeiten gibt es hier nicht. Auch können die Bewohner selbst bestimmen, wann sie morgens aufstehen und abends ins Bett gehen. „Natürlich schauen wir aber schon, dass sie gegen spätestens zehn Uhr am Frühstückstisch sitzen“, ergänzt Zehner.

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Das Haus ist idyllisch am Waldrand gelegen. Jeder Bewohner hat ein eigenes, persönlich eingerichtetes Zimmer, die fünf Toiletten und vier Bäder werden gemeinsam benutzt. Insgesamt 20 Mitarbeiter kümmern sich darum, den Demenzkranken ein Leben in Geborgenheit zu ermöglichen, Alltagsfähigkeiten so lange es geht zu erhalten und spürbar Lebensfreude zu vermitteln. „Wir gehen auf die Wünsche der Bewohner ein und Angehörige haben die Möglichkeit, das Angebot der WG durch ihr Engagement mitzugestalten“, sagt Hauskoordinatorin Zehner. Sie organisiert die WG Waldmühle zusammen mit dem Begleitteam des Pflegedienstes Hessen-Süd.

So kümmern sich zwei Pflegekräfte morgens darum, die Männer und Frauen beim Aufstehen, Anziehen oder Waschen zu unterstützen und zum Frühstück in den Gemeinschaftsraum zu begleiten. „In der Küche ist ein Buffet aufgebaut, manche brauchen beispielsweise Hilfe beim Brotbestreichen“, erzählt Zehner.

Gerade für die jüngeren Bewohner gilt: „Ein Demenzkranker, der körperlich fit ist, hat völlig andere Anforderungen und sollte in den Alltag integriert werden“, sagt Zehner. Das ambulante Konzept habe hier viele Vorteile: Die Bewohner können ihren Hobbys nachgehen, sie können malen, wenn sie möchten beim Zubereiten der Mahlzeiten helfen, beim Bügeln oder Wäsche aufhängen. Im Sommer habe man gemeinsam ein Hochbeet angelegt und den Garten gestaltet. „Die Fähigkeiten, die sie noch haben, sollten so lange wie möglich erhalten bleiben“, sagt Zehner.

Vor allem die jüngeren Bewohner haben noch einen ganz anderen Bewegungsdrang: „Der Heimtrainer wird bei uns viel genutzt, wenn es zeitlich klappt und die Angehörigen nicht selbst vorbeikommen können, geht unsere FSJlerin mit dem ein oder anderen spazieren, und es wird viel Boule gespielt.“

Für mehr Sport an der frischen Luft wollen die Angehörigen ein bis zwei Elektro-Parallel-Tandems anschaffen. „Das ist ein teures Vorhaben, aber es ist eine Möglichkeit, gemeinsam mit den Angehörigen oder auch mit unserer FSJlerin Sport zu treiben, man kann bei den Rikschas oder E-Tandems nebeneinander sitzen, einer tritt, der andere kann das Lenkrad halten“, erklärt Adrienne Zehner. Allerdings sind die Räder teuer. Hier hofft die WG auf die „Echo hilft!“-Aktion.

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Freundschaften unter Demenzkranken sind zwar eher eine Ausnahme: Aber in der Waldmühle hat sich vor einigen Monaten ein Pärchen gefunden. „Am 2. August ist ein 70-jähriger Bewohner hier eingezogen und bereits am Mittwoch darauf hat er sich mit einer 73-jährige Dame befreundet, die schon länger hier lebt – die Sympathie beruhte sofort auf Gegenseitigkeit“, erzählt Adrienne Zehner. Seither machen die beiden alles gemeinsam, warten immer aufeinander, gehen händchenhaltend spazieren und wurden auch schon von ihren Kindern abgeholt, um gemeinsam zum Italiener Essen zu gehen.