Seit 2004 lebt Ute Keim im Obdachlosenheim: Sie stellt damit einen Ausnahmefall dar. Die 57-Jährige schildert, wie es dazu kam und wie sie lebt.
OBER-RAMSTADT. Ein Schmuckstück ist das Haus in der Friedhofstraße 11, das seit Jahrzehnten als Obdachlosenunterkunft in Ober-Ramstadt dient, wahrlich nicht. Elf Frauen und Männer wohnen dort aktuell: in kargen Zimmern mit fließend Wasser, Untertisch-Boiler und einer Heizmöglichkeit. Kommunen sind rechtlich verpflichtet, unfreiwillig obdachlose Menschen vorübergehend unterzubringen. „Die Unterbringung in eine Obdachlosenunterkunft soll wohnungslosen Personen für einen Überbrückungszeitraum von ein paar Tagen ein kurzzeitiges Obdach ermöglichen und ist von der Ausstattung nicht mit einer normalen Mietwohnung vergleichbar“, betont Ober-Ramstadts Bürgermeister Tobias Silbereis (parteilos).
Umso überraschender, dass man im hinteren Teil des Gebäudes an der Friedhofstraße einen ordentlich gekehrten, renovierten, liebevoll mit Blumenkübeln bepflanzten Eingangsbereich mit Briefkasten vorfindet. „Kommen Sie herein, ich füttere nur noch gerade meinen Hund“, sagt Ute Keim. Sie hat dem ECHO zwar ihre Türen geöffnet, möchte aber nicht mit aufs Foto in die Zeitung. Vorbei an einer Vase mit roten Kunstrosen, einer Hexenpuppe mit Besen und einem mit vielen Herzchen gestrichenen WC linker- und einer kleinen Küche rechterhand, zieren zahlreiche weitere Deko-Objekte das angrenzende Zimmer und das Schlafzimmer der individuell eingerichteten Wohnung.
Ein Agreement mit der Stadt
Ute Keim ist 57 Jahre alt und lebt seit 18 Jahren in der Obdachlosenunterkunft. Sie stellt somit einen absoluten Ausnahmefall dar. Als der Wohnwagen, in dem sie mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann und den drei Hunden vorübergehend gelebt hatte, im Winter 2004 undicht wurde, hatte die Stadt dem Ehepaar die kleine Wohnung in der Unterkunft vorübergehend angeboten. Aus dem „vorübergehend“ sind fast zwei Jahrzehnte geworden.
„Hier reden wir nicht mehr über ein Obdachlosenzimmer, sondern über eine kleine Wohnung, die die Stadt Frau Keim nicht, weil sie muss, sondern aus ‚good will‘ überlassen hat mit einem Agreement, dass sie sich dafür ein bisschen um die Unterkunft kümmert. Sie ist zwar keine Hausmeisterin, aber die gute Seele und der Ruhepol des Hauses“, sagt Silbereis.
Ute Keim weiß aus eigener Erfahrung, mit welchen Problemen die Bewohner des Hauses zu kämpfen haben. Zusammen mit ein paar weiteren, länger dort Lebenden kümmert sie sich darum, dass Dinge im Haus einigermaßen funktionieren. „Die Leute haben auch Respekt vor mir“, sagt sie. Mit einigen Bewohnern hat sie Freundschaft geschlossen, „andere, die nur kurz bleiben, lernt man erst gar nicht kennen“, erzählt sie.
Problem bezahlbarer Wohnraum
Gerade sitzt Corinna, 41 Jahre alt, die auf der Straße gelebt hat und seit dem Frühjahr in der Nachbarwohnung untergekommen ist, bei ihr auf dem Sofa, und erzählt von ihren Sorgen: „Ich möchte meine zwei Kinder wieder zurückbekommen, aber ohne Job ist es nicht möglich, eine Wohnung zu bekommen und ohne Wohnung bekomme ich auch die Kinder nicht zurück. Gibt man Friedhofstraße 11 als aktuellen Wohnsitz an, hat man noch weniger Chancen auf dem Markt“, erzählt Corinna.
Wie Silbereis erläutert, sei Grundsatzziel, den Menschen über die Zeit, die sie kein Dach über dem Kopf haben, dabei zu helfen, wieder auf die Füße zu kommen und längerfristig bei der Wohnungssuche zu unterstützen. „Eine bezahlbare Wohnung auf dem Wohnungsmarkt zu finden ist leider sehr schwierig geworden. Und noch schwieriger, wenn man mal in einer Obdachlosenunterkunft gewohnt hat“, bestätigt Silbereis. Daher sei seit zwei Jahren eine soziale Betreuung seitens des Kreises im Einsatz. „In Ober-Ramstadt gibt es außerdem eine kleine Gruppe von ehrenamtlichen Sozialbetreuern der Evangelischen Freikirche, die Bewohner bei Behördengängen und Anträgen unterstützen“, so Silbereis.
Keine Duschen in der Unterkunft
Dennoch hat auch Frank Carlowitz, der seit mehr als zwei Jahren im Vorderhaus lebt, noch keine Wohnung gefunden. „Ein Angebot mit 16 Quadratmetern für knapp 500 Euro war dabei, aber da hätte ich kein Geld mehr zum Leben gehabt, da bleib ich lieber hier“, erzählt er. Die Toiletten seien mittlerweile saniert worden, aber Duschen gebe es immer noch keine. Manche hätten sich Badewannen vom Sperrmüll geholt, andere wie Ute Keim baden in einer Speisbütt.
Auch Keim, die „zwar selbst nie uff de‘ Gass‘ gelebt“ hat, aber seit Jahren in der Friedhofstraße 11 lebt, hat nie eine andere Wohnung gefunden. „Seit einigen Jahren beziehe ich Hartz IV und muss schauen, wie ich jetzt bei den gestiegenen Preisen über die Runden komme“, erzählt sie. Die Tafel habe sie nie besucht. Wie Bürgermeister Silbereis erläutert, müssen die Bewohner eine monatliche Nutzungsentschädigung für das Wohnen und Nebenkosten von insgesamt 105 Euro zahlen. Sie erhielten vom Sozialamt aber Leistungen wie Mietzuschuss, wenn sie leistungsberechtigt sind.
Während in öffentlichen Gebäuden darauf geachtet wird, die Raumtemperatur zu reduzieren, „wird es seitens der Stadt keine Vorgaben oder Auflagen zu den Höchsttemperaturen in den Wohnräumen geben“, sagt Ober-Ramstadts Ordnungsamtsleiter Manuel Maurer. Sollten aufgrund der allgemein steigenden Energiepreise Mehrkosten anfallen, fange dies die Stadt auf, ergänzt der Bürgermeister.