Am Dienstag hat vor dem Landgericht Darmstadt der Prozess gegen einen 19 Jahre alten Afghanen begonnen. Dieser war am 20. Februar 2017 von seiner Unterkunft aus...
MÜHLTAL/DARMSTADT. "Im Haus habe ich dann überall Blut gesehen", schildert der Zeuge seine Beobachtung, nachdem er mit zwei anderen jungen Männern den Angeklagten und den Geschädigten getrennt hatte. Am Dienstag hat vor dem Landgericht Darmstadt der Prozess gegen einen 19 Jahre alten Afghanen begonnen. Dieser war am 20. Februar 2017 von seiner Unterkunft aus Darmstadt-Arheilgen nach Nieder-Ramstadt gefahren und hatte vor der dortigen Flüchtlingsunterkunft mit einem Messer auf einen heute 17 Jahre alten Landsmann eingestochen.
Die Attacke endete erst, als drei aus Eritrea stammende Bewohner den Angreifer fortzogen. Der Geschädigte hatte die Messerstiche zunächst nicht bemerkt und war blutend zurück ins Haus gegangen. Der ebenfalls aus Afghanistan stammende Geschädigte war durch die neun oder zehn Stiche lebensgefährlich verletzt und mit einer Notoperation gerettet worden. Die Anklage lautet auf versuchten Totschlags.
Nachdem Oberstaatsanwalt Andreas Kondziela die Anklage verlesen hatte, ließ der Angeklagte seine Verteidigerin Natalie Daum ein knappes Geständnis vorlesen, in dem er die Vorwürfe vollumfänglich einräumte. Der Angeklagte ließ weiterhin erklären, dass er und der Geschädigte eine freundschaftliche Beziehung gehabt hätten, die Rangelei außer Kontrolle geraten sei und ihm die Tat sehr leid tue. Zum Tatablauf und Motiv sagte der Angeklagte nichts, die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage von einem Streit wegen eines Diebstahls aus.
Messer extra für Tat besorgt
Zum Motiv konnte aber der psychiatrische Gutachter Dr. Peter Haag etwas sagen, er hatte den Angeklagten im Gefängnis untersucht. "Diebstahl als Motiv wurde nicht erwähnt", sagte der Facharzt. Aber der Angeklagte glaube, dass der Geschädigte ihn bei einem Besuch in Arheilgen im Schlaf vergewaltigt habe, so der Mediziner. Allerdings will der Angeklagte das erst später realisiert haben. Daraufhin habe er sich das Messer extra für die Tat besorgt, gab der Gutachter die Aussage des Angeklagten aus der Exploration wieder. "Ich hatte den Eindruck, dass er intellektuell begrenzt ist", sagte der Arzt. Ob der Angeklagte eine Psychose haben könnte, wird allerdings erst Thema am dritten Verhandlungstag (22. Februar) sein.
Der Geschädigte schilderte, dass er den Angeklagten nur flüchtig aus Groß-Umstand kenne, wo man einen Monat zusammen in einer Unterkunft war. Bei der Polizei hatte er zudem vermutet, dass der Angeklagte "nicht ganz richtig im Kopf" sei.
Da der Angeklagte bei seinen verschiedenen Vernehmungen unterschiedliche Aussagen zu seinem Geburtsdatum und seiner Herkunft gemacht hatte, fragte der Vorsitzende Richter Jens Aßling auch da nach. "Es gab unterschiedliche Angaben, ob die Eltern verstorben sind oder nicht", nannte er ein Beispiel. Nach einer Pause erklärte der Angeklagte, dass seine Eltern noch leben. Er sei als Kind mit seinen Eltern aus Afghanistan in den Iran geflüchtet und 2015 mit einem Cousin über die Türkei und Bulgarien nach Deutschland gekommen.
Die Kammer hatte die Altersangabe des Angeklagten (18 Jahre) bezweifelt und überprüfen lassen. Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess (Frankfurt) erklärte, dass man dazu die körperliche Entwicklung, die Weisheitszähne, das Handskelett und das Schlüsselbein untersuche. "22 bis 23 Jahre ist aus unserer Sicht das wahrscheinliche Alter", sagte sie. Aber vor Gericht gehe es um die "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", so Niess und da sei der Angeklagte unter Berücksichtigung aller Toleranzen mindestens 19 Jahre alt.
Der Prozess wird am 20. Februar um 9 Uhr fortgesetzt.