„Offene Lernlandschaften“: Wer mit Rektoren und Architekten über die Schule von morgen spricht, hört immer wieder diesen Begriff. Auch in der aktuell zweitgrößten...
DARMSTADT-DIEBURG. „Offene Lernlandschaften“: Wer mit Rektoren und Architekten über die Schule von morgen spricht, hört immer wieder diesen Begriff. Auch in der aktuell zweitgrößten Kreis-Schulbaustelle, bei der mehr als 26 Millionen Euro teuren Modernisierung der Kooperativen Gesamtschule Auf der Aue in Münster, spielen solche neuen Lernlandschaften eine zentrale Rolle.
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„Die Idee ist“, erläutert Schulleiterin Sabine Behling, „mit anders konzipierten Räumen eine andere Pädagogik zu unterstützen.“ Wenn es im Biologieunterricht beispielsweise um die Sinneswahrnehmungen geht, können sich dann Schülergruppen in der Klasse – je nach Wissensstand – aufteilen und auf unterschiedlichen Wegen dem Thema nähern. Einige können sich zurückziehen und weitgehend selbstständig lernen, andere bekommen als Gruppe eine Aufgabe, wieder andere werden vom Lehrer intensiver unterstützt. Zum baulichen Konzept der Lernlandschaften gehört, dass der Lehrer alle in diesem Fall drei Lerngruppen auch außerhalb des Klassensaals mit im Blick hat, überall die jeweiligen Lernmaterialien bereits vorhanden sind.
Bessere Bedingungen auch für die Lehrer
Neben dem üblichen großen Lehrerzimmer wird es kleinere Lehrerstützpunkte an den Lernlandschaften geben, auch mit Blick auf den Ganztagsbetrieb. An diesen Arbeitsplätzen sollen die jeweils etwa sechs Pädagogen bessere Bedingungen als bisher vorfinden. „Bisher ziehen Lehrer in einigen Fächern ihr Büro im 20-Kilo-Trolli vom einem zum anderen Klassensaal hinter sich her“, scherzt die Direktorin. Zudem wird es für die Schüler Jahrgangsbereiche geben. So könnten die Fünft- und Sechsklässler in einem Trakt, die siebten und achten Klassen in einem anderen und die ältesten Aue-Schüler in einem dritten Bereich der Schule ihren Platz finden.
Zudem werde der Lehrer in der Schule von morgen „nicht mehr im Mittelpunkt und 45 Minuten vorne an der Tafel stehen“, erläutert die Schulleiterin. „Er – oder sie – geht vielmehr unterstützend zu den einzelnen Gruppen, die sich unterschiedlichen Aufgaben zu einem Thema stellen.“ Unterricht und Lernen werde dadurch deutlich differenzierter sein. Schwächere Schüler sollen dadurch seltener abgehängt werden, öfter Erfolgserlebnisse haben, während die lernstärkeren Mitschüler durch eigene, schwierigere Aufgaben nicht unterfordert sein sollen.
Nach und nach baut der Kreis dort, wo es gewünscht und möglich ist, seine Schulen derart um, um das neue Lernen zu fördern. Eine halbe Milliarde Euro wird für die (energetische) Modernisierung der rund 80 Schulstandorte – verteilt über gut ein Jahrzehnt – bis etwa ins Jahr 2020 zur Verfügung gestellt.
Die erste Schule, die komplett nach dem Prinzip der offenen Lernlandschaften konzipiert und eröffnet ist, ist die neue Hessenwaldschule bei Weiterstadt, auch sie kommt mehr als zwanzig Millionen Euro teuer. Kollegium und Schulleitung aus Münster reisten bereits dorthin, um sich im Neubau Anregungen fürs eigene Innenleben zu holen, erste Erfahrungen von dort für die eigene Planung in Münster zu nutzen, wie Oberstudienrätin Karin Eitel aus der Aue-Schulentwicklungsgruppe schildert.
Trotz des riesigen Kreis-Finanzpakets dauert es oft lang, sehr lang, bis eine Schule modernisiert ist. So stand das Umbaukonzept für die Aue-Schule schon im Jahr 2011. Mittlerweile ist beispielweise ein Trakt für Naturwissenschaften entstanden, doch es wird bis Ende 2021 dauern, bis alles umgesetzt ist. „Das ist eine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2011, als das Konzept fertig war, Inklusion noch nicht in dem Maß wie heute Thema war, dass es keine Flüchtlingswelle mit Intensivklassen gab, dafür aber noch ein G-8“, schildert Sabine Behling.
Was bedeutet: Bis das Baukonzept umgesetzt ist, ist die Schul-Wirklichkeit schon längst weiter. „Und anders als es die Prognose vorsah, ist unserere Schülerzahl nicht mit dem demografischen Wandel zurückgegangen“, sagt die Schulleiterin. 980 Schüler sind‘s derzeit; mehr als Tausend werden es wieder sein, wenn es mit G-9 ab 2018/19 auch wieder eine zehnte Jahrgangsstufe geben wird.
Von Reinhard Jörs