Eine Sensation, von der fast 50 Jahre niemand etwas wissen wollte

aus Leseraktion "Echo hilft"

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Der Nachweis, dass sich die Sumpfschildkröten am Reinheimer Teich vermehren: 2014 wurde "Susanne", ein Schlüpfling, entdeckt. Laut Naturschützer "eine kleine Sensation".

Am Reinheimer Teich gibt es ein Vorkommen der einheimischen Europäischen Sumpfschildkröte, das für Biologen und Naturschützer das „Highlight” der Flora und Fauna ist

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Reinheim. Das größte biologische Kleinod des Reinheimer Teichs bekommen die vielen Spaziergänger, Jogger und Radfahrer, die auf dem Rundweg um das Gewässer unterwegs sind, kaum zu sehen. Die Europäische Sumpfschildkröte zeigt sich nicht oft, man muss schon Glück haben, um eine zu Gesicht zu bekommen. Dennoch leben mittlerweile etwa 120 Tiere am und rund um den Reinheimer Teich. Das war nicht immer so: Die Art galt in Hessen lange als ausgestorben. Dabei gab es die Tiere „mindestens seit den 1950er Jahren in Reinheim”, wie Fritz Fornoff vom Arbeitskreis Naturschutzscheune berichtet. Gebietsbetreuer, die die Sichtung der Tiere meldeten, wurden jedoch abgetan von den Behörden, so Fornoff. „Es wurde dann gesagt, es handele sich sicherlich um Rotwangen- oder Gelbwangenschildkröten”, sagt er. Die sehen der Sumpfschildkröte ähnlich, sind aber Schmuckschildkröten, die es in der Tierhandlung gibt und die am Teich von den Besitzern ausgesetzt wurden. Somit galt die Art als ausgestorben im Bundesland, obwohl es immer wieder Hinweise aus Reinheim gab. Etwa 50 Jahre mussten vergehen, bis die Naturschützer Gehör fanden.

Im Jahr 2000 gab es eine hessenweite Umfrage – eine „Schildkröten-Volkszählung”, bei der von der eigens initiierten AG Sumpfschildkröte den Hinweisen nachgegangen wurde. Ergebnis: Es gibt zu dem Zeitpunkt tatsächlich eine kleine Restpopulation der Art von etwa zehn bis 20 Tieren am Reinheimer Teich. Das einzige in Südhessen, wie sich herausstellt. Denn, so erklärt Fritz Fornoff, Europäische Sumpfschildkröte ist nicht gleich Europäische Sumpfschildkröte. Die in Reinheim lebende Unterart ist tatsächlich einheimisch. Es gibt andere Unterarten, die auch in Spanien, Italien oder Frankreich vorkommen. „Die gibt es häufiger”, sagt Fornoff. Bestimmen kann man die Unterart nur mittels einer Blutuntersuchung.

Als feststand, dass in Reinheim tatsächlich einheimische Tiere leben und keine, die eventuell aus anderen Ländern mitgebracht und dort ausgesetzt wurden, startete 2001 ein Programm, bei dem Tiere zur Nachzucht in den Frankfurter Zoo gebracht wurden. 2002 wurden die ersten nachgezüchteten Tier unter Betreuung wieder am Reinheimer Teich ausgewildert. Obwohl danach auch ältere Jungtiere und Eiablagen entdeckt wurden, kam die eigentliche „kleine Sensation”, wie es die AG Sumpfschildkröte nennt, erst 2014: Da wurde ein Schlüpfling – eine frisch geschlüpftes Jungtier — entdeckt, der am Barfußpfad der Naturschutzscheune unterwegs war. Also an der Scheune, die mit Hilfe von ECHO hilft! nun eine multimediale Dauerausstellung erhalten soll. Das Tier erhielt nach seiner Finderin den Namen Susanne und diente als endgültiger Beleg, dass die Tiere sich die Tiere reproduzieren am Reinheimer Teich.

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Eine Reinheimerin kehrt ins angestammte Gewässer zurück. Mit Nummer und Sender versehen, wird eine Europäische Sumpfschildkröte aus dem Nachzuchtprogramm des Frankfurter Zoos in den Reinheimer Teich eingesetzt. FOTO: KARL-HEINZ BÄRTL
Mit Nummer und Sender versehen wurden die Europäischen Sumpfschildkröten aus dem Nachzuchtprogramm des Frankfurter Zoos Anfang der 2000er-Jahre in den Reinheimer Teich eingesetzt. (© EM)

Es kam auch High-Tech zum Einsatz am Teich: Den kleinen Schildkröten, die zum Auswildern ausgesetzt wurden, wurden zum Teil Sender auf den Panzer geklebt, um ihre Gewohnheiten und Wege nachvollziehen zu können. Maßgeblich dafür verantwortlich war die Biologin Silke Schweitzer. Einen Haken hatte die Sache allerdings: Mit den Tieren wuchsen auch ihre Panzer, die obersten Platten lösen sich dabei ab und zwangsläufig gingen damit auch die Sender verloren. Daten konnten also immer nur über einen gewissen Zeitraum gesammelt werden. Die Sender liegen nun vermutlich immer noch im Teich, nach all den Jahren.

Um den Einsatz für unsere Natur geht es in der neuen „Echo hilft!“-Aktion.
Um den Einsatz für unsere Natur geht es in der neuen „Echo hilft!“-Aktion. (© VRM)

Aber auch in jüngster Zeit sind die Bemühungen um die Europäischen Sumpfschildkröten nicht abgeebbt: Im Juni 2020 gab es einen Gelegefund auf dem alten Parkplatz, der in Nähe der Tannenmühle liegt. Es kam zu einer Notbergung des Geleges und einer künstliche Bebrütung der zehn Eier durch die AG Sumpfschildkröte. Mit Erfolg: Am 1. September waren aus zehn Eiern neun Jungtiere geschlüpft. Die Rückführung der Jungtiere an den Reinheimer Teich ist im Sommer 2023 oder 2024 geplant, so Fritz Fornoff. Und es gibt Beweise, dass sich die ausgesetzten Tiere am Teich akklimatisieren: Ebenfalls 2020 wurde eine in den Schlamm des trocken gefallenen Scheunenteiches eingegrabene Schildkröte gefunden, die dort am 23. August 2016 ausgewildert worden war. Nachweisbar war das durch einen Chip, den alle ausgewilderten Tiere am linken Hinterbein tragen. Die Zeit der großen Sender ist vorbei. Und erst 2021 wurden wieder fünf Jungtiere an der Naturschutzscheune ausgewildert. Die Sumpfschildkröte wird in Reinheim also gehegt und gepflegt und auf diese Weise wird die Art erhalten.