Das Rätsel um „Klaa Paris“

Das Café „Zum Knusperhäuschen“ in der Angelstraße 56 hatte nicht nur ein chinesisches Zimmer, sondern ab 1926 sogar ein Schwimmbad im Garten – ganz schön mondän im bäuerlichen Groß-Zimmern! Archivfotos: Kerbverein Groß-Zimmern   Foto:

Post an die Redaktion: „Wo ist es eigentlich hin, das ,Klaa Paris‘? Wieso nennt Groß-Zimmern denn heute niemand mehr so?“, will ein Leser wissen. Und wieso überhaupt?...

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GROSS-ZIMMERN. Post an die Redaktion: „Wo ist es eigentlich hin, das ,Klaa Paris‘? Wieso nennt Groß-Zimmern denn heute niemand mehr so?“, will ein Leser wissen. Und wieso überhaupt? Schließlich ist das Glöckelchen bei aller Liebe nicht der Louvre; die Gersprenz hat recht wenig mit der Seine gemein; und die Blöcks reichen glücklicherweise nicht an die Banlieues heran. Eiffelturm? Moulin Rouge? Fehlanzeige! Was hat Groß-Zimmern da also sonst zum Klein-Paris gemacht? Eine Spurensuche.

Das Café „Zum Knusperhäuschen“ in der Angelstraße 56 hatte nicht nur ein chinesisches Zimmer, sondern ab 1926 sogar ein Schwimmbad im Garten – ganz schön mondän im bäuerlichen Groß-Zimmern! Archivfotos: Kerbverein Groß-Zimmern   Foto:
Thalia Bühnengemeinschaft, Plakat 1947 nach 2. Weltkrieg RevueKlaa ParisKerbverein Archiv Groß-Zimmern Kerbverein Archiv Groß-Zimmern  Foto:

Wikipedia hat’s: „Groß-Zimmern (mundartlich: Klaa Paris) ist eine Gemeinde im südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg“ kann man da lesen. Mehr Erhellendes gibt’s allerdings nicht dazu. Also direkt nach Groß-Zimmern. Analoge Quelle: Vielleicht der Bürgermeister? Achim Grimm seufzt, zuckt, auf den Kosenamen seiner Gemeinde angesprochen, die Schultern.

Sitten waren nicht so streng wie in der Nachbarstadt

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Eine Szene fällt ihm dazu ein: „,Aus Klaa Paris?!‘ hat mich damals bei meinem Vorstellungsgespräch im Schaafheimer Rathaus der Mann am Empfang gefragt“, erzählt Grimm und fügt hinzu: „Und das hat er abfällig gemeint. Ein Manko, aus diesem Klaa Paris zu kommen.“ Das ist jetzt, wo Grimm Bürgermeister und kein Schulbub mehr ist, über 40 Jahre her. Und mit dieser Konnotation ist Grimm auch gar nicht so traurig drum, dass der Name wohl nicht mehr so geläufig ist.

Oder? „Ganz vergessen ist es nicht, das mit dem Klaa Paris“, glaubt Helmut Kriha, Ur-Zimmner und Lokalgeschichtler. In Groß-Zimmern werde der Name noch gebraucht, und auch ältere Dieburger haben Kriha schon erzählt, dass „damals in Klaa Paris die Sitten nicht so streng waren wie in der Nachbarstadt“. Damals? Wann den eigentlich? Womit man wieder bei der Frage angelangt wäre, wo Klaa Paris eigentlich herkommt... Also Manfred Göbel. Der Ortshistoriker, der die jüngere Geschichte seiner Gemeinde kennt wie kein anderer. Und der, akribisch, wie er ist, nach der Echo-Anfrage mal ein flottes Traktat verfasst: „Zwei Theorien“, sagt er, und wedelt mit seinen Aufzeichnungen. „Erstens: Klaa Paris bezieht sich auf die feinen Cafés vor dem Zweiten Weltkrieg.“ Göbel erzählt von dem 1922 eröffneten „Zum Knusperhäuschen“. Ein findiger Konditor Johann Jakob Göbel (nicht verwandt) bot das Feinste vom Feinsten, erzählt er, da standen die erste Torten im Schaufenster, da gab es ein Chinesisches Zimmer und ein Schwimmbad.

Und das war nicht das einzige schicke Café dieser Zeit, sagt Göbel, und zählt noch die Lokalitäten Zum Rheingold, Mager und Weber auf. „Vielleicht waren es solche mondänen Cafés, die weltmännisches Flair ins bäuerliche Groß-Zimmern brachten – und so Klaa Paris begründeten.“

Oder es war anders. Denn Göbel hat ja auch noch eine zweite Theorie für Groß-Zimmerns Kosenamen. Sie spielt nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit des Wirtschaftswunders. Als man zu begreifen begann, dass man überlebt hatte. Und das in Groß-Zimmern recht bald rauschend feierte. All die Bälle, die dann in den siebziger und achtziger Jahren wieder aus dem Ortsgeschehen verschwanden, haben in der Nachkriegszeit ihren Ursprung: Schon 1946 gründete sich die Bühnen-Gemeinschaft Thalia, die bald mit Revuen „einen ersten Glamour ins Groß-Zimmern der Nachkriegszeit brachte“, hat Göbel recherchiert. Ab 1947 wurden Fastnachtsumzüge veranstaltet; ab 1950 nahm der Karneval mit der Gründung der Abteilung „Narhalla“ so richtig Fahrt auf – einer dieser Bälle in den 50ern übrigens in der Kulisse von Paris.

Aber ob Klaa Paris daher stammt... „Es braucht ja nur jemand in einer Büttenrede genannt haben und schon hat man das Etikett“, mutmaßt Göbel. Gefunden hat er eine solche Büttenrede im Archiv des Narhalla aber nicht.

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Dafür hat Göbel eine Verszeile entdeckt, die hellhörig macht. „Durch Maurer, Sänger und Athleten/ und durch Verkauf des Federviehs/ ist es in der Welt vertreten/ unser Klein-Paris.“ In dem Lied ist er verbrieft, Groß-Zimmerns Name.

Nur: Göbel weiß nicht, von wann das Lied stammt. Und beide von Göbels Theorien bleiben im Rennen. Dann lächelt der Ortshistoriker plötzlich. „Will ich’s eigentlich wissen, hab’ ich mich dann gefragt“, sagt Göbel. „Am Ende verbirgt sich gar nichts hinter diesem Nimbus. Am Ende wird Klaa Paris noch ganz banal aufgelöst. Und das wär’ doch schad’!“