Sohn rettet Vater mit Stammzellenspende vermutlich das Leben

Heiko und Neel Dede (Mitte) nach der Transplantation auf dem Sportgelände des SV DJK Viktoria Dieburg, wo Neel Dede Fußball spielt. Fürs Foto setzte Heiko Dede kurz die Maske ab, die ansonsten ihn unverzichtbar ist. 

Heiko Dede aus Groß-Umstadt hat Leukämie. Zwei Stammzelltransplantationen verliefen erfolglos - erst die Spende seines Sohnes Neel zeigte Wirkung. Warum das die Ärzte wundert. 

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Groß-Umstadt. Es gab einen Punkt im Sommer 2022, da stand Heiko Dede vor der Frage: „Mache ich mir die letzten Monate noch mal schön – oder gehe ich das Risiko ein?“ Das „Risiko“ für den 59-jährigen Groß-Umstädter, der an Leukämie erkrankt war: die Transplantation von Stammzellen seines Sohns Neel – was mit Blick auf die Spendermerkmale nicht als optimale Lösung galt. Deutlich schlechter sogar als bei den aus dem Knochenmarkt gewonnenen Zellen eines anonymen, über die Deutsche Knochenmark-Spenderdatei (DKMS) ausfindig gemachten, Spenders. Weil die Übertragung von dessen Stammzellen zuvor jedoch zweimal keinen Effekt brachte, ergriff Dede seine wohl letzte Überlebenschance – mit Erfolg.

Der Reihe nach: „Im Dezember 2020 habe ich mich so erschöpft gefühlt, dass ich wegen Burnout-Verdachts zum Arzt gegangen bin“, blickt Heiko Dede zurück. Der fertigte ein großes Blutbild an. Der schockierende Befund: Leukämie. Laut DKMS erkrankt weltweit alle 27 Sekunden ein Mensch an Blutkrebs, was der Überbegriff für Gruppen wie Leukämien, Lymphome und Myelome ist. In Deutschland wird eine solche Diagnose alle zwölf Minuten gestellt. Bei Kindern ist Blutkrebs die häufigste Krebsart, die zum Tod führt.

Sehr gute Heilungschancen verspricht indes die Stammzellen-Therapie – wenn ein geeigneter Spender gefunden ist. Der DKMS zufolge findet sich der jedoch nur in 30 Prozent der Fälle in der eigenen Familie. Weshalb eine Datenbank mit möglichst vielen potenziellen Spendern (mit einem Abstrich des Speichels aus der Wange kann sich jeder 18- bis 55-Jährige unkompliziert registrieren lassen, siehe auch www.dkms.de) wertvollste Dienste leistet. Noch dazu angesichts des Zeitdrucks, mit dem die Behandlung eines Blutkrebs-Kranken vonstattengehen muss.

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In Dedes Fall verdichtete sich eine Verfaserung im Knochenmark weitgehend unbemerkt wohl schon seit Jahren. „Rückblickend ist mir einiges wie Mosaiksteinchen aufgefallen, was ich mir nicht erklären konnte“, erzählt der Groß-Umstädter. „Zum Beispiel, warum ich einen Bauch gekriegt habe, obwohl ich Sport gemacht und mich gesund ernährt habe.“ Bei ihm sei mit der Diagnose der Ausblick einhergegangen, dass „meine Lebenserwartung ohne Stammzellen-Transplantation noch 16 Monate beträgt“. Von Ende 2020 bis Anfang 2022 ging es dann auch weiter bergab: „Meine Werte haben sich schleichend verändert, ich habe Kreuzblut und Medikamente bekommen, war mehr oder weniger anderthalb Jahre lang beim Arzt.“ Dann der Anruf: Über die DKMS war ein passender Spender gefunden worden. Nach der Vorbereitung mit Medikamenten und einer Chemotherapie erhielt Dede am 5. Mai dieses Jahres erstmals Stammzellen.

Erste Transplantationen ohne Erfolg

Doch der erhoffte Effekt blieb aus: „Es haben sich keine Leukozyten, also weiße Blutkörperchen, gebildet.“ Am 23. Juni versuchten es die Ärzte erneut und übertrugen ein weiteres Mal Stammzellen vom selben Spender, wieder ohne Auswirkung. „Ich habe keine Veränderung in mir gespürt, hatte kaum Nebenwirkungen, das ist einfach verpufft“, berichtet der Groß-Umstädter von der schlimmen Phase zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Weil die Zeit drängte, gingen Ärzte und Patient ein Wagnis ein: eine dritte Transplantation, diesmal von seinem 20-jährigen Sohn Neel. „Der hat von den Merkmalen her eigentlich nicht so gepasst wie der vorherige Spender, doch die Qualität seiner Stammzellen war gut“, berichtet sein Vater.

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Der 11. August war schließlich der Tag, der das Leben von Heiko Dede gerettet haben könnte: die dritte Transplantation, diesmal mit seinem Sohn als Spender. Wie in 90 Prozent der Fälle wurden Neel Dedes Stammzellen über das „Apherese“ genannte Verfahren gewonnen. Nachdem der Spender in den Tagen zuvor Spritzen bekommen hatte und sich anschließend noch rund zwei Wochen schonen musste, wurden ihm im Rahmen eines ambulanten Eingriffs schlicht je ein Zugang in beide Armvenen gelegt und sein Blut dann (mehrmals) durch eine Maschine gepumpt. Aus dem Blut werden dabei weiße Blutplättchen entnommen und damit auch Knochenmark-DNA.

„Für die Ärzte bin ich ein Phänomen”

Nach der Übertragung auf seinen Vater nahm der einen ganz anderen Effekt wahr als nach den beiden ersten Spenden: „Die Infusion hat nur fünf Minuten gedauert, danach habe ich mich aber fünf Tage lang gefühlt, als hätte mich eine Elefantenherde überrollt.“ Nach zwei Wochen dann die erste gute Nachricht: Dedes Leukozyten-Zahl begann deutlich zu steigen. „Innerhalb von drei Tagen ist sie dann regelrecht explodiert“, freut er sich, denn das bewies die Wirkung des Eingriffs. „Für die Ärzte bin ich ein Phänomen“, lächelt er. „Drei Stammzellen-Transplantationen in so kurzer Zeit hatten sie bei einem Patienten noch nie.“ Damit ist die Hoffnung beim Groß-Umstädter auf ein langes weiteres Leben zurück. Wobei er weiß, dass die nächste Zeit noch kritisch ist: „Ich kriege nun Medikamente, um ein künstliches Immunsystem zu schaffen.“ Sein natürliches ist noch nicht wieder hergestellt, jedes Virus und Bakterium derzeit hochgefährlich für ihn. Nach einigen Monaten oder auch erst in zwei Jahren könnte sich sein Körper stabilisiert haben. Irgendwann kann und will Heiko Dede auch wieder ohne Mund-Nase-Schutz unter Leute. „Es kann sein, dass es nächste Woche vorbei ist – oder dass ich in zwei Jahren wieder Fußball spiele.“ Damit letztgenannter Fall eintrete, brauche es nun drei Dinge: „Konsequenz, Disziplin und Glück!“