Vor knapp 60 Jahren begann der von Angst geprägte Umbau der...

Im neuen Bett kann sich die Weschnitz entfalten. Das untere Bild zeigt einen Arbeitseinsatz nach dem Hochwasser 1956. Der hessische Landwirtschafts-Staatssekretär Tassilo Tröscher setzt am 12. August 1958 den ersten Spatenstich zum Umbau der Weschnitz. Bald darauf vertieft ein Kran deren Sohle.Fotos: Thorsten Gutschalk, Heimatverein  Foto:

Mit großem Aufwand wird seit Sommer ein knapp drei Kilometer langes Teilstück der Weschnitz zwischen Heppenheim und Lorsch renaturiert. Zwischen den in der ersten Hälfte des...

Anzeige

KREIS BERGSTRASSE. Mit großem Aufwand wird seit Sommer ein knapp drei Kilometer langes Teilstück der Weschnitz zwischen Heppenheim und Lorsch renaturiert. Zwischen den in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts angelegten beiden Armen des Flüsschens darf sich dieses auf der sogenannten Weschnitzinsel wieder in Maßen selbst gestalten.

Im neuen Bett kann sich die Weschnitz entfalten. Das untere Bild zeigt einen Arbeitseinsatz nach dem Hochwasser 1956. Der hessische Landwirtschafts-Staatssekretär Tassilo Tröscher setzt am 12. August 1958 den ersten Spatenstich zum Umbau der Weschnitz. Bald darauf vertieft ein Kran deren Sohle.Fotos: Thorsten Gutschalk, Heimatverein  Foto:
Aus einem Bogen der Wattenheimer Brücke hat ein Fotograf den Umbau der Weschnitzdeiche im Jahr 1963 festgehalten.Foto: Heimat- und Kulturverein Lorsch  Foto: Heimat- und Kulturverein Lorsch

Der vom Gewässerverband Bergstraße betreute Landschafts-Umbau steht nicht zuletzt für ein dramatisch verändertes Denken, wie mit der Weschnitz zu verfahren ist. Ein gewisser Oberleutnant und Ingenieur Eykemeyer beschrieb sie im Jahr 1782 so: „Dieser Fluss ist vielmehr als ein allgemeiner Feind zu betrachten.“

Die Bürgermeister dringen auf die „große Lösung“

Anzeige

Diese Einschätzung hielt sich noch gut zwei Jahrhunderte, und in den Jahren 1958 bis 1964 schritt der Mensch zur Tat, die heute überwiegend als Untat gesehen wird: Im hessischen Unterlauf der knapp 60 Kilometer langen Weschnitz bekam diese höhere Dämme, eine tiefere Sohle und bauliche Zutaten: Stauwehre, Einlaufbauwerke und Brücken dienten fortan dazu, das „Problem Weschnitz“ – eine gängige Formulierung – zu beheben.

Warum der Fluss wie ein wildes Tier eingehegt wurde, fasste Ferdinand Koob in einer vom Verlag der Südhessischen Post 1956 herausgegebenen Schrift zusammen: „Die Ableitung des Wassers aus ihrem äußerst umfangreichen Einzugsbereich, das den Bewohnern heute wie damals sehr großen Schaden bereitete.“ Das war nicht übertrieben. Immer wieder gab es Dammbrüche (zuletzt 1948), und Hochwasser (1956); die Schäden für die bäuerlich geprägte Gegend waren enorm. In einer ans Land Hessen gerichteten Denkschrift vom November 1956 formulieren die „hessischen Weschnitzgemeinden“ Bensheim, Biblis, Bobstadt, Bürstadt, Einhausen, Heppenheim, Heppenheim, Lorsch, Riedrode und Wattenheim dramatisch: „Die Geschichte der Weschnitz stellt überhaupt nichts anderes dar als ein Hängen und Würgen von einer Katastrophe zur anderen.“

Knapp sieben Jahre später wird in einer Broschüre des hessischen Landwirtschaftsministeriums über den „Ausbau der Weschnitz“ triumphierend festgestellt: „Schon heute kann von einem vollen Erfolg der bisher durchgeführten Baumaßnahme gesprochen werden.“ Der am 11. Juni 1958 in Heppenheim gegründete Weschnitzverband sorge dafür, dass das so bleibt. Auch gelte: „Das Landschaftsbild hat durch die neu geschaffenen Anlagen keinen Schaden genommen.“

Gerade Letzteres wird heute ganz anders gesehen. Nach den Kategorien der EU ist die Weschnitz ein naturfernes Gewässer, man kann auch sagen: ein kaputtgebauter Fluss. Der im Jahr 2001 gegründete Gewässerverband Bergstraße, der die Aufgaben des Weschnitzverbands übernommen hat, bemüht sich, durch die abschnittsweise Renaturierung den Fluss wieder zum Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen zu machen – weg von der vor knapp 60 Jahren geschaffenen Ablaufrinne Richtung Rhein.

Anzeige

Die Natur hatten ausweislich ihrer Denkschrift auch die Bürgermeister nicht im Sinn. Aus ihrer Schilderung des „Weschnitz-Problems“ leiten sie die Notwendigkeit einer „großen Lösung“ ab: Von Lorsch bis zum Rhein sollte wie schon ab Weinheim ein zweiter Flussarm gegraben werden, der parallel zum Winkelbach verlaufen sollte. Das koste weniger als die veranschlagten zwölf Millionen D-Mark und sei allemal besser als der Bau großer Polder, der Acker und Siedlungsflächen fresse. Erfolg hatten sie nicht, auch nicht mit der Forderung, die Weschnitz zu verstaatlichen, um die Gemeinden von Unterhalt und Hochwasserschutz zu entlasten. Damit, so die Hoffnung, könne Hessen mit Baden gleichziehen, das bald nach dem Weltkrieg die Weschnitz in hohe Dämmer gezwängt hatte. Ein Weschnitzverband sei dagegen „mit Skepsis zu betrachten“. Auch das wird heute anders eingeschätzt. Der Gewässerverband kümmert sich wirkungsvoll um Hochwasser- und Naturschutz.

Selbst die aufwendige Zähmung der Weschnitz hat übrigens die Gefahr nicht für alle Zeit gebannt. Im Mai 2013 entging der Bibliser Ortsteil Wattenheim nur knapp einer Katastrophe, als ein im Umbau befindlicher Damm zu bersten drohte. Da war er wieder, der „allgemeine Feind“, dessen Bekämpfung sich 1956 auch der damalige Landrat Ekkehard Lommel zu eigen gemacht hatte.

Von Christian Knatz