Der indische Filmproduzent Singh will erneut im Kreis Bergstraße drehen, diesmal eine achtteilige Serie in Birkenau. Doch warum ausgerechnet im Dorf der Sonnenuhren?
KREIS BERGSTRASSE. Der Filmproduzent Vinod Kumar Singh plant eine deutsch-indische Produktion, bei der die Gemeinde Birkenau als Schauplatz im Mittelpunkt steht. Das hat Singh bei einem Gespräch im Rathaus mit Bürgermeister Milan Mapplassary (parteilos) vereinbart. Den Kontakt hatte der frühere Bergsträßer Landrat Matthias Wilkes (CDU) hergestellt. Wilkes hatte in seiner Amtszeit (2003 bis 2015) dafür gesorgt, dass die indische Filmindustrie auf den Kreis aufmerksam wurde.
Dass Singh ausgerechnet mit Birkenau in Verbindung kam, ist kein Zufall. Bürgermeister Mapplassary (40) ist der Sohn indischer Eltern. Er wurde in Deutschland geboren. Bei der Wahl war der Politikwissenschaftler 2021 mit 78,6 Prozent der Stimmen gewählt worden. Das war umso erstaunlicher, als Mapplassary mit Frau und Kind erst drei Jahre zuvor von Weinheim nach Birkenau gezogen war. Als er den Amtseid ablegte, wurde das per Livestream übertragen und auf Youtube gespeichert. „Das hat Wellen geschlagen“, sagt Mapplassary selbst. Als im August in Frankfurt der 75. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens gefeiert wurde, war Birkenaus Bürgermeister einer der Festredner.
Populärer Bürgermeister, das Schloss und Sonnenuhren
Neben der Popularität des Bürgermeisters gab es weitere Argumente, die für Birkenau sprechen: das Schloss. Und dass Birkenau mit seinen 9.900 Einwohnern als „Dorf der Sonnenuhren“ bekannt ist. Der Bahnhof, bewaldete Hügel, grüne Täler, die Nähe zu Heidelberg, das sind nach Ansicht von Singh und Wilkes ideale Voraussetzungen für eine Produktion der „Sigma Films“.
„Ich freue mich, dass wir den Faden wieder aufnehmen können“, sagte Wilkes. „Es ist ein Glücksfall, dass Mapplassary Bürgermeister ist. Allein das sorgt in Indien für Schlagzeilen.“ Handel und Gewerbe könnten davon profitieren. Wilkes kennt Indien von Geschäftsreisen, auch als Vorsitzender des Stiftungsrats der Karl-Kübel-Stiftung. Er habe erfahren, dass Deutschland in Indien „extrem hohes Ansehen“ genieße.
Achtteilige Serie geplant
Singh nannte Einzelheiten seiner Filmpläne. „Reincarnation“ soll die achtteilige Serie mit Folgen von jeweils 45 Minuten heißen. Produktionskosten pro Folge: 150.000 Euro; nach Bollywood-Maßstäben eine Billigproduktion.
Singh zeigte schon früher in Heppenheim sein Improvisationstalent. Bei der Uraufführung wurde der Film „Spark“ (Funke) im Kinopolis in Viernheim belächelt. Doch Singh und Wilkes hatten keinen Wert auf Inhalte und Handlung gelegt. Sie wollten testen, ob es grundsätzlich möglich sei, diese Form von Wirtschaftsbeziehungen zu etablieren.
Bunte Bilder vor exotischen Kulissen
Ab 2009 war Heppenheim Anlaufstelle für die indische Filmindustrie in Europa. Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) überreichte damals 126.000 Euro EU-Mittel. „Bollywood“, also die indische Filmindustrie mit dem Zentrum in Mumbai, stellt – was die Umsätze und die Zahl der Produktionen betrifft – Hollywood in den Schatten. Die Sehgewohnheiten der 1,4 Milliarden Inder unterscheiden sich von Zuschauern in der westlichen Welt. Wichtiger als ein Drehbuch sind bunte Bilder vor exotischen Kulissen, prächtige Gewänder, sind Tanz und Musik. Für Inder sind Burgen, Schlösser und Fachwerkhäuser etwas Exotisches. Oder gar eine Spargelkönigin.
Singh kündigt in Birkenau einen Thriller an, bei dem der Titel „Reincarnation“ auf die Handlung schließen lässt: Eine junge Frau wird im Wald ermordet. Kurz darauf taucht in Indien eine Person auf, die nur Deutsch spricht, aber behauptet, eine Einheimische zu sein. Ist es das Mädchen, das im Odenwald sterben musste?
Henry Maske in Heppenheim
Bollywood an der Bergstraße begann 2004. Damals sorgten „Humraah – The Traitor“ (Der Verräter), den ebenfalls Singh realisiert hatte, und „Aap Kaa Surroor“ mit dem indischen Superstar Himesh Reshammiya für Medienrummel. Wilkes durfte damals in einer Szene als Blumenverkäufer auftreten. Das Interesse deutscher Produzenten war geweckt. Boxweltmeister Henry Maske kam für Dreharbeiten nach Heppenheim, als er die Hauptrolle in einem Spielfilm über die Boxlegende Max Schmeling spielte.
„Spark“ wurde 2013 in Heppenheim, Hirschhorn, in Lorsch und an anderen romantischen Plätzen gedreht. Actionszenen wurden in Indien aufgenommen. In den Hauptrollen: die Filmstars Rajneesh Duggal und Subhashree Ganguli.
Grellbunte Produktionen mit Erfolg
2018 wurde in Heppenheim ein Musikvideo des Künstlers Rishi Dutta für den indischen Markt produziert. Neben den beiden indischen Models Angel Gupta und Harry Dabash bekamen Sarah Boss, Miss Rheinland-Pfalz 2016, sowie Prashant Prabhaker Jaiswal eine Rolle. Jaiswal hat unter anderem den Inder in der TV-Serie „Stromberg“ gespielt.
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Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ schrieb schon 2005 über Bollywood und die Bergstraße. Die grellbunten Produktionen hatten über Südasien hinaus in Nahost und in Afrika Erfolg. Dabei hatten die Dreharbeiten zu dem Welterfolg „Slumdog Millionär“ noch nicht begonnen. Der Privatsender RTL II nahm indische Filme ins Programm auf und erzielte Überraschungserfolge.
„Ich brauche Deutschland für den traurigen Teil meines Films“
„Sexkomödie mit Thriller-Elementen“, das – so der Spiegel – sei in Bollywood der „Multi-Genre-Film“. Traumsequenzen zur Handlung dazudichten, das störe keinen. Beschrieben wurde auch, was es in Heppenheim zu filmen gab. Zur Verblüffung der Einheimischen – so heißt es weiter – wollte der Regisseur die meisten Szenen in der eher unromantischen Fußgängerzone drehen. „Ich brauche Deutschland für den traurigen Teil meines Films“, erklärte der Regisseur damals der „Süddeutschen Zeitung“.
Rund 18 Jahre nach diesen Berichten könnte Singh ein neues Kapitel deutsch-indischer Zusammenarbeit verfilmen.