Es sind keine neuen Blitzer, sondern Lkw-Mautsäulen, die im Kreis darüber wachen, dass auch auf Bundesstraßen gezahlt wird. Kommunen hoffen auf weniger Ausweichverkehr.
KREIS BERGSTRASSE. Jäh bremst der Vordermann ab. Aber nicht deswegen gibt es keinen Blitz an der B 44 bei Biblis. Die große blaue Säule neben der Tankstelle registriert keine Raser, sondern Lastwagen, deren Fahrer sich vor der Lkw-Maut drücken. „Ich selbst habe das erste Mal auch gezuckt“, sagt Wolfgang Herda, Verkehrsexperte beim ADAC Hessen-Thüringen. Vereinzelt habe es wohl Auffahrunfälle gegeben. Andererseits: „Die Fahrer sollen sich ja an die Regeln halten.“
Auf Facebook sei schon der Vorschlag gemacht worden, die Bibliser Säule für den Kampf gegen Temposünder aufzurüsten, sagt Bürgermeister Felix Kusicka. Lieber wäre ihm ein anderer erzieherischer Effekt: die Zurückdrängung von Lkw auf die Autobahnen. Zwar sei die Zahl der Lastwagen auf der B 44 nicht im Vergleich vor und nach 2008 gemessen worden. Da erfolgte die Einführung der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen. Vier Jahre später wurde sie auf einige Bundesstraßen ausgeweitet; seit 1. Juli dieses Jahres gilt sie ausnahmslos auf dem 40 000 Kilometer umfassenden Bundesstraßen-Netz.
Für Kusicka ist eindeutig: Mit der Maut-Einführung auf Autobahnen wurden die Bundesstraßen und damit deren Anrainerkommunen durch Lastwagen belastet, die zum Geldsparen von A auf B wechselten. Jetzt hofft er auf den umgekehrten Effekt und damit auf weniger Lärm, Abgase und Straßenschäden auf der B 44.
Seit dem 7. August steht die Mautsäule bei Biblis; zwei weitere will der Betreiber Toll Collect im Kreis Bergstraße installieren: eine an der B 38/B 460 in Fürth zwischen Krumbacher Straße und Im Wiesenteich, eine an der B 47 bei Bürstadt in Höhe Wasserwerkstraße. Die Standorte bestimmt das Bundesamt für Güterverkehr, wie Toll-Collect-Sprecherin Claudia Steen erläutert, die Nutzungsverträge werden für 25 Jahre abgeschlossen.
An ihre entlastende Wirkung glaubt Fürths Bürgermeister Volker Oehlenschläger nicht. Zwar gebe es noch keine belastbaren Zahlen seit der Maut-Ausweitung, dafür aber jede Menge leidvolle Erfahrungen von Lkw-Lenkern: „Fahren Sie mal durch den Odenwald“, sagt Oehlenschläger. Das sei zeitraubend, nervig und, was Maut-Umgeher betrifft, jedenfalls „kein Massenphänomen“.
Der Hauptverkehr bleibe auf den regionalen Autobahnen 3, 5, 6 und 67. Gar keine Frage, sagt der Bürgermeister: Gerade Fürth sei durch die Doppel-Bundesstraße erheblich belastet. Ganz überwiegend handle es sich aber bei den Lastwagen um Quell- und Zielverkehr für den Odenwald selbst. „Wo viel Aktivität ist, gehört Verkehr dazu. Ohne Anschluss keine Prosperität.“ Das heiße nicht, dass die Kommune sich in ihr Schicksal ergebe. Mit Vehemenz fordere sie den Bau der B-38a-Ortsumgehung. Oehlenschläger: „Das ist die Lösung.“
Ähnlich sieht es Thomas Ehret, Leiter des Heppenheimer Ordnungsamts. Lkw-Fahrer hätten gelernt, wie lange es dauert, bis sie auf Bundesstraßen „durch die Ortschaften getuckert sind“. In Heppenheim sei ohnehin nur die B 460 merklich betroffen als vermeintliche Abkürzung Richtung Würzburg. Die B 3 dagegen sei nur eine von vielen Parallelstraßen in Nord-Süd-Richtung.
Just die B 3 im Rhein-Main-Gebiet aber nimmt der im Grundsatz für die Lkw-Maut eintretende ADAC als Beispiel für nachweisbaren Ausweichverkehr. „Abschnittsweise lässt es sich da belegen, dass der Verkehr nach Einführung der Maut auf der Bundesstraße zunahm“, sagt Herda. In diesem Sinne wäre eine Verkehrslenkung durch Mautpflicht und Kontrollsäulen „natürlich positiv“.
Das sieht Lampertheims Bürgermeister Gottfried Störmer genau so. Durch seine Stadt geht die B 44 in voller Länge, die nahe A 6 scheint die Attraktivität für diejenigen zu steigern, die hier den Weg nach Norden nehmen wollen. „Mit im Schnitt rund 860 Lkw in 24 Stunden auf der B 44 durch unsere Stadt sind vor allem die direkten Anwohner einer extremen Belastung ausgesetzt“, sagt er unter Bezug auf Zahlen von 2015. „Wir hoffen, dass die Maut auf Bundesstraßen eine Rückverlagerung des Verkehrs auf die Autobahnen bedeutet und somit wieder eine erträgliche Anzahl an Lkw durch Lampertheim fährt.“
Während sein Kollege Oehlenschläger dagegen hält („Wenn das stimmt, was ich sage, werden weiter viele Lkw durch Fürth fahren“), gibt Toll Collect offen zu, dass Verkehrslenkung beim Betreiber keine Rolle spielt. „Die Ausweitung folgt dem Prinzip der Nutzerfinanzierung“, sagt Sprecherin Steen. Es gehe darum, Schlupflöcher zu stopfen und die Einnahmen zu erhöhen, die derzeit bei 7,2 Milliarden Euro im Jahr liegen. Wer es richtig macht, hat eine „On Board Unit“ dabei, über die Lkw-Daten und Fahrstrecken korrekt aufgeführt sind. Wenn dem so ist, werden die drei Fotos augenblicklich gelöscht, welche die blauen Säulen von jedem Fahrzeug machen. Bei Unregelmäßigkeiten erfolge eine Meldung an das Bundesamt für Güterverkehr, das eventuell ein Bußgeldverfahren einleitet.
Begehrlichkeiten von Strafverfolgern wehrt Toll Collect nach eigenen Angaben ab. „Manchmal kommt die Polizei um die Ecke und droht mit der Staatsanwaltschaft, sagt Steen. Außer bei Lkw-Diebstählen würden aber keine Fotos rausgerückt. Pkw erkenne das System und lösche die Fotos sofort. Fahrer seien ohnehin nicht zu erkennen, weil die fraglichen Bildausschnitte automatisch geschwärzt werden. „Das heißt, man kann es nicht als Blitzer benutzen“, erläutert Claudia Steen. Außerdem: „Vier Meter hoch und blau – die Säulen sind nicht zu verwechseln.“
Wenn das System schon auf Dauer Raser nicht schrecke, könne es doch zumindest in überschaubarem Maß Lkw auf den rechten Weg, die Autobahn, bringen, meint Heppenheims Ordnungsamtsleiter Ehret. Für die gedämpften Erwartungen findet er eine salomonische Formel: „Wir erwarten schon positive Effekte. Zumindest keine negativen Effekte.“
Von Christian Knatz