Familienforscher Manfred Bräuer referiert über die erstaunliche Karriere des Mathematikers Peter Helmling.
ERBACH. Er muss schon als Knabe auf sich aufmerksam gemacht haben, der Bauernsohn Peter Helmling: Geboren am 9. September 1817 in Erbach, hat es ihn schon in jungen Jahren aus dem kleinen Heimatdorf in die weite Welt gezogen. Zunächst nach Heidelberg, später ins Baltikum, damals die Ostseeprovinzen des Russischen Reichs.
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An der Kaiserlichen Universität in Dorpat, heute Tartu und die zweitgrößte Stadt in Estland, hat Peter Helmling eine beachtliche akademische Karriere vorgelegt. Er war von 1854 bis 1870 Lehrstuhlinhaber für Reine Mathematik, avancierte zum Dekan der Fakultät für Physik und Mathematik und Prorektor und hat in seinem Fachgebiet zahlreiche Abhandlungen veröffentlicht: Eine außergewöhnliche Vita, die den Erbacher Familien- und Heimatforscher Manfred Bräuer herausgefordert hat, mehr über den Gelehrten, der am 11. April 1901 hochbetagt in Reval (heute Tallin) starb, herauszufinden.
Heirat mit einerFrau von Adel
Auf die Spur gebracht hatte Bräuer ein Verweis im vierten Band des Heppenheimer Sippenbuchs, ausgegraben hat er anschließend erstaunlich viele Dokumente, die den Werdegang des Mathematikprofessors belegen, aber auch einen Einblick erlauben in eher Privates. Denn in seiner Zeit als 19 Jahre alter Studiosus an der Ruprecht-Karls-Universität muss er wohl einmal über die Stränge geschlagen haben: 1838, zwölf Monate nach der Immatrikulation als einziger Mathematiker seines Jahrgangs unter Theologen, Juristen und Medizinern, findet sich ein amtlicher Schriftwechsel bezüglich nicht beglichener Forderungen mehrerer Gläubiger.
Diese „Schuldenaffaire“ hat Manfred Bräuer dank der ergiebigen Quellenlage im Staatsarchiv Darmstadt verfolgen können von der Mahnung des Badischen Universitätsamtes Heidelberg (samt Androhung der Exmatrikulation) über das großherzogliche Kreisamt in Heppenheim bis zum Schreibtisch des Bürgermeisters in Kirschhausen.
Peter Helmlings Vater verpflichtet sich letztendlich, die Ausstände in Höhe von insgesamt elf Gulden und 20 Kreuzern – „relativ viel Geld für einen Studenten“, so Bräuer – zu bezahlen, Wirtin, Kleidermacher und die Universitätsquästur geben Ruhe.
Falls Peter Helmling sich tatsächlich für kurze Zeit als Bruder Leichtfuß den Verlockungen des Lebens in der quirligen Stadt hingegeben haben sollte, wäre das durchaus zu verstehen – kam er doch aus einer Landgemeinde mit damals knapp über 200 Einwohnern und nicht einmal 30 Wohngebäuden. Und wie Peter Helmlings weitere, zielstrebige Laufbahn bis hin zur Promotion als Dr. phil. 1850 in Heidelberg zeigt, wäre dieser Ausrutscher, wenn es denn einer war, der letzte gewesen. In Kurland arbeitet er zunächst als Hauslehrer, legt sein Oberlehrer-Examen in Mathematik in Dorpat ab und erlangt mit einer Abhandlung über „Transformation und Ausmittelung bestimmter Integrale“ die Magisterwürde.
Auch familiär wird er sesshaft, heiratet Anna Katharina Elisabeth von Wulf, eine Frau von Adel, und führt in Dorpat einen angemessen stattlichen Haushalt. Auch derlei Details belegen Quellen, ebenso wie einen Besuch in der alten Heimat, einer damals wohl abenteuerlichen Reise über mehr als 2000 Kilometer Entfernung zwischen Erbach und Estland.
Wie Helmling die Distanz zurückgelegt hat – per Postkutsche oder über die Ostsee –, ist nicht überliefert. Entdeckt im „Verordnungs- und Anzeigeblatt für den Kreis Heppenheim“ hat Manfred Bräuer jedoch eine Annonce vom 2. September 1863: „Allen lieben Verwandten, Freunden und theilnehmenden Berkannten sagt hiermit bei seiner Abreise aus der Heimat ein herzliches Lebewohl Professor Dr. P. Helmling.“ Seine Nachkommen in Erbach sind zahlreich und fanden sich am Mittwochabend auch unter den aufmerksamen Zuhörern im Gasthof Jäger.
Eine „Überraschung“ beim Studium der Ahnengemeinschaften hat sich der Familienforscher zudem selbst bereitet: Peter Helmling ist Manfred Bräuers Ururururgroßvater.