In einem Heppenheimer Konzentrations-Außenlager schufteten während des Krieges Gefangene. Bis heute erinnert dort nichts an das Unrecht.
HEPPENHEIM. Nur Wenige können sich noch an das KZ-Außenlager in Heppenheim erinnern. Einer von ihnen ist Rudolf Unger (78). Er geht auf eine lange Gebäudewand in der Ehrlichstraße zu und zeigt auf eine alte Fassade. "Dahinter war es", sagt Unger. Er meint damit das ehemalige Fabrikgelände der SS. Die "Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH" (DVA) zwang hier von 1942 bis 1945 bis zu 60 KZ-Häftlinge zur Arbeit. Die GmbH unterstand dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt des "Reichsführers SS". Reinhard Büge (81) aus Heppenheim bestätigt Ungers Erinnerung. "Ein kleiner Turm ragte da raus", sagt Büge. Die steinernen Überreste des Turms sind heute von wildem Wein umwuchert. Daneben steht ein grauer, viel größerer Turm aus der Nachkriegszeit. "Die alten Heppenheimer mauern bei dem Thema. Darüber spricht man nicht", sagt Büge.
In der Fabrik verarbeiteten die Gefangenen Gemüse und Heilkräuter. Auf einem Acker und in Gewächshäusern außerhalb der Stadt bauten die Häftlinge Gemüse an, vor allem Paprika. Deshalb nannten die Heppenheimer das SS-Unternehmen "die Paprika". Die Anlage unterstand 1942 dem KZ Dachau, ab 1943 dem KZ Natzweiler-Struthof.
Auf 6000 Quadratmeter ist ein Holzgroßhandel ansässig
Heute bietet ein Holzgroßhandel auf einem 6000 Quadratmeter großen Teilgebiet des ehemaligen KZ-Geländes Türen, Parkett und Hobelware an. Als Unger ein Junge war, brachte er mit seinem Großvater Getreide zu einer Dreschhalle in der Lorscher Straße. Sie fuhren im Pferdewagen am Lager vorbei. "Die putzen da drin Gemüse", erzählte ihm dann der Großvater. "Was dort wirklich geschah, darüber sprach niemand. Wir durften auch nicht in der Nähe spielen. Es blieb auch nach dem Krieg ein Tabu", sagt Unger.
Ulrich Obermayr, von 1987 bis 2005 Heppenheimer Bürgermeister, wird noch deutlicher: "Das Rathaus hat das KZ-Außenlager jahrelang verheimlicht. Bewusst." Es habe bis in die 70er Jahre etliche Anfragen an die Verwaltung und das Stadtarchiv gegeben. Doch die wurden nicht beantwortet. Der damalige Bürgermeister habe nicht gewollt, dass wir das Image einer KZ-Stadt bekommen, sagt Obermayr.
Der Stadtverwaltung sind das Außenlager und die fehlende öffentliche Dokumentation an diesem Ort bekannt. Das Gelände liegt jedoch auf Privatbesitz, heißt es aus dem Rathaus. Ohne Erlaubnis der Eigentümer könne dort keine Erinnerungstafel angebracht werden. Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) verweist stattdessen auf das Engagement der Stadt beim Gedächtnis an die Zwangsarbeiter in Heppenheim: "Am Standort des früheren Tonwerks in der Gunderslache wird am 27. Januar ein Mahnmal eingeweiht, das an die während des Zweiten Weltkriegs in unserer Stadt beschäftigten Zwangsarbeiter erinnert." Doch für die KZ-Häftlinge gibt es kein Mahnmal am ehemaligen Außenlager.
Große Teile des ehemaligen Lagergeländes gehören seit September der Beka-Holzwerk AG mit Sitz in Umkirch bei Freiburg. Deren Vorstand Dieter Kleinschmidt gibt sich entsetzt. "Wir haben von einem Lager nichts gewusst", sagt er. Beka sei seit dem Jahr 2000 Mieter des Grundstücks gewesen, aber der Vermieter habe nie etwas von dem KZ-Außenlager berichtet, beteuert Kleinschmidt. "An die Geschichte muss man erinnern", sagt er. Doch im Widerspruch dazu möchte er am Beka-Gelände keine Gedenktafel oder Stele anbringen. "Warum sollten wir eine Gedenktafel anbringen? An das Lager erinnert sich nach so langer Zeit eh niemand", behauptet Kleinschmidt.
Historische Gebäudeteile sollen abgerissen werden
Mauern und Gebäudeteile aus der Nazizeit stünden noch dort, sagt Zeitzeuge Unger. Doch alles Alte soll abgerissen werden. Beka plant einen Neubau, sagt Vorstand Kleinschmidt. Dann wird an diesem Ort nichts mehr an das Lager erinnern.
Zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt zeigt das Stadtmuseum die Historie des Ortes. Ganz hinten im Souterrain ist die Nazi-Ecke untergebracht. Ein schmaler Aufsteller mit der Überschrift "Paprika" erinnert dort an das Lager. Ein kleines Foto zeigt den landwirtschaftlichen Betrieb außerhalb des Stadtgebiets. Ein Mann, der anonym bleiben möchte, erzählt, wie einige Heppenheimer mit der eigenen Geschichte umgehen. "Das ist ein schwieriges Thema. Viele möchten nicht darüber reden", sagt er. "Was ich weiß, nehme ich mit ins Grab", habe ihm ein Zeitzeuge anvertraut.
Die historischen Fakten sind jedoch gesichert. Im Bundesarchiv und in der Zentrale der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg sind die meisten erhaltenen Akten einsehbar oder in Kopie zustellbar. Auch zur SS-GmbH DVA liegen zahlreiche wissenschaftliche Publikationen vor.
Die Dokumente zeigen, dass die Gefangenen harte Arbeit auf der Anbaufläche in Richtung Laudenbach verrichten mussten. In der Trocknungsfabrik setzte die dauerhafte Feuchtigkeit den Gefangenen zu. Geschlafen wurde in vergitterten Baracken rund um die Fabrik, aus der die Häftlinge zum Pflanzen und Ernten in Kolonne und gestreifter Lagerkleidung durch Heppenheim marschierten.
Wolfgang Benz, einer der bekanntesten Zeithistoriker Deutschlands, hat jahrzehntelang zu Konzentrationslagern geforscht. "Außenlager wie Heppenheim hat man bewusst verniedlicht, indem man gesagt hat: Das war ja kein KZ, das war ja nur ein Arbeitslager. Dabei unterschieden sich die Arbeitsbedingungen in einem Außenlager nicht von denen im Hauptlager. Die Arbeitsbedingungen waren in jedem Fall existenziell entsetzlich bis tödlich", sagt Benz. Er bestätigt, dass nicht nur in Heppenheim viele Lokalpolitiker nach dem Krieg die Verbrechen verdrängen wollten. "In unserem Ort soll nichts Schreckliches passiert sein. Das war in Dachau und in Auschwitz, aber nicht bei uns", beschreibt Benz das Denken der vermeintlichen Heimatschützer.
"Die Wahrheit ist oft unangenehm", sagt Zeitzeuge Unger. "Aber die Wahrheit muss öffentlich gemacht werden, damit sie nicht vergessen wird. Wir dürfen nicht wegsehen."