Sie sind grau und teilweise rötlich und etwa doppelt so lang wie breit. Unscheinbar sehen die Fliesen des alten Fußbodens der 1938 von den Nazis zerstörten Heppenheimer...
HEPPENHEIM. Sie sind grau und teilweise rötlich und etwa doppelt so lang wie breit. Unscheinbar sehen die Fliesen des alten Fußbodens der 1938 von den Nazis zerstörten Heppenheimer Synagoge aus. Doch die Entdeckung auf dem Grundstück am Starkenburgweg ist eine kleine Sensation. „Den hat seit fast 80 Jahren niemand mehr gesehen“, sagt Dr. Hermann Müller, Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung Heppenheim.
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Vier Arbeitseinsätze und bis zu 70 Helfer
Erst 38 Jahre vor der Zerstörung war der Sakralbau des Architekten Heinrich Metzendorf am 10. Oktober 1900 mit einer großen Feier eingeweiht worden. Mittlerweile liegen die Reste schon mehr als doppelt so lange in der Erde, wie die Synagoge bestand. Die im Juli 2016 gegründete Bürgerstiftung ist seit 18. Januar für das Synagogengrundstück verantwortlich. In vier Arbeitseinsätzen haben bis zu 70 Helfer das 3500 Quadratmeter große Grundstück entrümpelt und versucht, die Pflanzen einzudämmen (das ECHO berichtete).
Im Oktober wurde die obere Gartenhütte auf dem terrassierten Gelände abgerissen und dabei der Fund gemacht. Bekannt war, dass die Hütte aus der Neuzeit teilweise auf dem Synagogen-Grundriss stand. In der unteren Gartenhütte ist der Rest eines alten Toilettenhäuschens der Synagoge verbaut – bisher neben Teilen des Treppenaufgangs eines der wenigen oberirdischen Relikte. Von Bauplänen sei bekannt gewesen, dass das Sanitärgebäude in der Fortsetzung der Apsis steht, erläutert Müller. Die nach Osten orientierte Apsis ist ein halbrunder Anhang des Gebetsraums. Daher habe man gewusst, wo man graben müsse, so Müller.
Die Arbeiten waren aufwendig, weil das Grundstück hoch über dem Starkenburgweg liegt. Mit einem auf einem Laster installierten Kran habe die Firma Antes einen Kleinbagger und einen Schaufellader auf das Grundstück gehoben, berichtet Müller. Der Bagger musste sich dann erst einen Weg über die Terrassen nach oben bahnen.
Der Graben, in dem die Fliesen liegen, ist sechs Meter lang und bis zu 1,20 Meter breit. Die Fliesenfläche ist auf wenige Quadratmeter beschränkt. Mittendrin ist ein Schacht zu sehen, der vermutlich zur Heizungsanlage gehörte. Auch Grundmauern und eine Säule sind zu erkennen. Müller deutet auf halbrunde Mauerreste, die die Bürgerstiftung der Apsis zuordnet. Weiter hinten ist das Fundament einer großen Säule zu sehen. Ein Metallkranz dahinter könnte zu einem Versickerungsschacht gehören. Reste einer weiß verputzten Stützwand am Hang stammen dagegen aus der Neuzeit. Bedeckt waren die Relikte von 70 Zentimetern Schutt und Erde. Dazwischen sind verbrannte Holzteile zu erkennen.
Bis auf zwei Zentimeter genau kartiert
Ein Mitarbeiter der Hessenarchäologie, der nicht genannt werden will, hat nun die Lage des Funds mit Hilfe eines sogenannten GPS-Rovers vermessen. Das Gerät logge sich mit einem Handy beim Landesvermessungsamt in Wiesbaden ein. Bis auf zwei Zentimeter genau werden die Relikte kartiert. Doch sobald die Lage sicher dokumentiert sei, müssten die Funde vor dem Winter wieder mit Erde zugedeckt werden: „Sonst friert alles auf“, so der Experte. Mit einem Bauvlies könnten diese zusätzlich geschützt werden. Dann sei es auch einfacher, sie später wiederzufinden.
Wie es weitergeht mit den Schätzen aus der Erde, ist noch unklar. Bei eventuellen weiteren Grabungen will Hessenarchäologie auf alle Fälle dabei sein. „Das geht nicht mit sieben rüstigen Rentnern“, betont der Archäologe. Die Funde müssten dokumentiert werden, zeichnerisch oder fotografisch. Außerdem könnten Fragmente der Inneneinrichtung gefunden werden. Von der 200 Quadratmeter großen Grundfläche der Synagoge wurde schließlich erst ein sehr kleiner Teil freigelegt. Möglich sei aber eine Arbeit unter Aufsicht.
Das nächste Problem der noch jungen Bürgerstiftung: Wie umgehen mit dem Erbe aus der Vergangenheit? Wie könnten die Funde gezeigt, aber gleichzeitig konserviert werden? Ein Schutzbau über den Fliesen wie in archäologischen Parks könnte teuer werden. Und auch sonst ist auf dem riesigen, teilweise verwilderten Grundstück ständig etwas zu tun. Ohne Konzept und eine gesicherte Finanzierung gehe gar nichts, betont Müller.