
Der 68-Jährigen wird vorgeworfen, Mitglied der terroristischen Vereinigung zu sein, die die Regierung stürzen wollte. Die Beschuldigte sollte die „Transkommunikation“ übernehmen.
Heppenheim. Die Idylle am südwestlichen Rand von Heppenheim trügt: Während am Freitagmittag viele Menschen zum Spazierengehen unterwegs sind oder den Garten winterfest machen, gibt es ein Gesprächsthema, das nicht wenige Menschen im Wohnviertel der Bergsträßer Kreisstadt beschäftigt: Aktuell deutet vieles darauf hin, dass eine der am Mittwoch bei der bundesweiten Razzia gegen Reichsbürger verhafteten Frauen seit rund 20 Jahren völlig unauffällig mitten unter ihnen lebte.
Der Generalbundesanwalt führt die Verdächtige als Ruth L. aus dem Kreis Bergstraße in der Liste der potenziellen Verschwörer. Der 68-jährigen wird vorgeworfen, mutmaßliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Die Festgenommenen wollten nach derzeitigem Erkenntnisstand die Regierung stürzen und ein völlig anderes Land mit neuen Strukturen etablieren. Auf der Basis dieser Ideologie haben die Beschuldigten spätestens seit Ende November des Jahres 2021 mit Vorbereitungen des Umsturzes begonnen. „Diese umfassen die Planung verwaltungsähnlicher Strukturen, die Beschaffung von Ausrüstung, die Durchführung von Schießtrainings sowie die Rekrutierung neuer Mitglieder“, so die Generalbundesanwaltschaft.
Ruth L. sollte Teil des „Rates“ werden
Zentrales Gremium der Gruppierung ist der „Rat“, der innerhalb der Vereinigung als zukünftiges oberstes Staatsorgan gilt. Das Gremium verfügt ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über verschiedene Ressorts, beispielsweise „Justiz“, „Außen“ und „Gesundheit“. Ruth L. war gemeinsam mit anderen Beschuldigten für die Leitung eines solchen Ressorts vorgesehen. Nach Recherchen des „Spiegel“ sollte die Astrologin in der Schattenregierung für die „Transkommunikation“ zuständig sein.
Ruth L. bezeichnet sich selbst als „Astrologin“ und bietet auf ihrer Webseite „Prognosen für die Zukunft“ an. Sie betreibt einen Verlag für astrologische Bücher und Wahrsagekarten. Unter dem Reiter „Aktuelle Prognosen“ schreibt sie auf ihrer Homepage: „Die Prognose für 2023 habe ich wieder lediglich in 2 Teile gegliedert. Allgemeine Prognosen zur politischen und Weltsituation werde ich nicht öffentlich machen, da diese Zeit zu heikel ist und derjenige, der seine Meinung kundtut, in Gefahr ist. Nur so weit: Die Jahre 2022-2024 sind die Jahre des großen Umbruchs, sowohl wirtschaftlich, medizinisch als auch politisch. Außerdem haben wir eine Jahrhundertkonstellation, wie sie letztmalig 1914 bestand. Ab dem kommenden Jahr stellen sich gänzlich andere Wertigkeiten ein.“ Weiter schreibt sie: „Wie heißt es so schön: Man muss das Richtige zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort tun, dann kann nichts schiefgehen.“
Verschwörungstheorien und AfD-Mitgliedschaft
Liest man die von ihr formulierten Sätze, kann man diese mit dem Wissen von jetzt ganz anders einordnen, als vielleicht noch vor ein paar Tagen. Auf ihrer Facebook-Seite findet man darüber hinaus unter anderem Verschwörungstheorien zur Corona-Politik.
Für viele Anwohner begann der Mittwoch derweil mit einem Schrecken in der Morgenstunde. Zwei Mannschaftswagen und vier Zivilfahrzeuge der Polizei habe er am frühen Mittwochmorgen vor dem Haus der nun in Untersuchungshaft sitzenden Nachbarin gezählt. Die Beamten seien lange vor Ort gewesen – „von 6 bis 13 Uhr“, schätzt der Mann, der nicht namentlich genannt werden möchte. Dass die Nachbarin, die er als „immer freundlich und nett“ bezeichnet, einer terroristischen Vereinigung angehören soll, kann er gar nicht glauben: „Das kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt er. „Sie ist Mitglied der AfD, das wusste ich.“ Aber das allein sage ja noch nichts aus.
Nachbarn haben nichts geahnt
Auffällig sei die Frau, die in einem der Reihenhäuser seit rund 20 Jahren zur Miete wohnt, nie gewesen. Das bestätigen auch andere Anwohner. Man habe stets ein gutes Verhältnis gehabt. Die Kontakte sind bei den meisten Befragten jedoch über einen gelegentlichen Plausch auf der Straße nie hinaus gegangen. Sie fahre eine Luxus-Limousine, berichtet der Nachbar. Der Stromkasten vor der Haustür ist hübsch bemalt. Das sei die Tochter der Frau vor vielen Jahren gewesen, erinnert sich einer aus der Nachbarschaft.
Für Aufregung sorgte der Polizeieinsatz auch bei einigen jungen Eltern. Sie erschraken über die Polizeipräsenz, während sie die Kinder in eine nahegelegene Kita brachten. Andere trauten sich nicht, die Kinder allein auf den Weg in die Schule zu schicken. „Wir wussten ja nicht, was war. Es hat uns keiner was gesagt. Es hätte ja auch eine gefährliche Situation sein können“, so eine Mutter.
Andere Anwohner berichten von rot-weißem Flatterband, das den Einsatzort abgegrenzt habe und von einem großen Polizeiaufgebot. „Wir haben gedacht, es ist ein Mord passiert oder eine Geiselnahme“, so ein junger Mann.