Nur wenig ist von der prächtigen, von Nazis zerstörten Heppenheimer Synagoge am Starkenburgweg noch übrig: Treppenstufen und Reste eines Sanitärgebäudes beispielsweise. Karl Härter, Hermann Müller und Kurt Vettel von der Bürgerstiftung (von links) zeigen, wo das Gebäude von 1900 bis 1938 stand.  Fotos: Sascha Lotz  Foto:

Friedlich liegt das Grundstück in der Nachmittagssonne. Die Apfelbäume haben viele Früchte angesetzt, der Hibiskus blüht, Kirschen und Johannisbeeren sind abgeerntet....

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HEPPENHEIM (SE). Friedlich liegt das Grundstück in der Nachmittagssonne. Die Apfelbäume haben viele Früchte angesetzt, der Hibiskus blüht, Kirschen und Johannisbeeren sind abgeerntet. Trockenmauern unterteilen das steile Gelände in Terrassen. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das 3500 Quadratmeter große Gelände der früheren Synagoge an der Ecke Starkenburgweg und Eisenpfad nicht von vielen anderen Gärten am Heppenheimer Schlossberg.

Nur wenig ist von der prächtigen, von Nazis zerstörten Heppenheimer Synagoge am Starkenburgweg noch übrig: Treppenstufen und Reste eines Sanitärgebäudes beispielsweise. Karl Härter, Hermann Müller und Kurt Vettel von der Bürgerstiftung (von links) zeigen, wo das Gebäude von 1900 bis 1938 stand.  Fotos: Sascha Lotz  Foto:
Karl Härter, Hermann Müller und Kurt Vettel von der Bürgerstiftung (von links) zeigen, wo das Gebäude von 1900 bis 1938 stand.  Fots: Sascha Lotz  Foto:

Die nach den Plänen von Heinrich Metzendorf errichtete Synagoge stand einst auf halber Strecke zwischen den Kirchen Sankt Peter und Heilig Geist mit schönem Blick auf die Altstadt. Die exponierte Lage sei ein Zeichen, wie stark integriert und akzeptiert die jüdische Gemeinde gewesen sei, erläutert Professor Karl Härter vom Stiftungsrat der Bürgerstiftung beim Ortstermin auf dem Grundstück. Für die Verbundenheit mit der Heimat spreche der burgenähnliche Stil mit gelbem Sandstein vom Schlossberg, so Härter. Zur feierlichen Einweihung am 10. Oktober 1900 war die ganze Stadt eingeladen. Gestiftet hatten die Synagoge die in London zu Reichtum gekommenen Brüder Leopold, Adolph und Heinrich Hirsch, „um der Liebe zu ihrer Heimat einen dauernden Ausdruck zu verleihen und zum ehrenden Gedenken an ihre Eltern und Großeltern“.

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Jüdische Männer mussten das Gebetshaus abreißen

Keiner ahnte, dass die Synagoge wenige Jahrzehnte später, am 10. November 1938 während der Reichspogromnacht, in einem Akt der Barbarei zerstört werden würde. Nachdem SA-Mitglieder mit einer Sprengung an den stabilen Mauern gescheitert waren, legten sie Feuer im Innenraum. Schließlich wurden jüdische Männer gezwungen, mit eigenen Händen die Reste ihres Gebetshauses abzureißen. Einer sei so verzweifelt gewesen sein, dass er versuchte, sich unter eine einstürzende Mauer zu werfen, schrieb Stadtarchivar Harald Jost in einem Beitrag für diese Zeitung. Schließlich wurden die Männer mit dem herausgebrochenen Davidstern der Synagoge zum Marktplatz getrieben und eingesperrt. Geschäfte jüdischer Bürger wie das Kaufhaus Mainzer wurden ebenso verwüstet wie Privatwohnungen und die Bibliothek des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Dieser war bereits mit seiner Frau Paula nach Palästina ausgereist.

Andere schafften es nicht mehr, zu entkommen. 29 Heppenheimer Juden wurden von den Nazis ermordet. An die Schicksale der Familien Bach, Baruch, Mainzer, Sundheimer und an Sophie Fischer erinnern Stolpersteine.

Nicht als Bürde, sondern als Verpflichtung sieht die vor einem Jahr gegründete Bürgerstiftung Heppenheim die Geschichte, wie Härter sagt. Am 23. August 2016 hat sie das Grundstück von der Stadt übernommen, die es 2015 von den Vorbesitzern erworben hatte. „Wir wollen das Grundstück aus dem Dornröschenschlaf erwecken und für die Bürger nutzbar machen“, betont Kurt Vettel, stellvertretender Vorsitzender der Bürgerstiftung Heppenheim. Nicht nur ein Gebetshaus, sondern auch ein Ort der Begegnung für die jüdische Gemeinde sei die Synagoge gewesen, sagt Härter. Denkbar seien kleinere Veranstaltungen, „etwas, was zu dem Ort passt“, ergänzt Vorstandsmitglied Dr. Hermann Müller. An historisch-kulturelle Begegnungen auf dem sehr sensiblen Grundstück denkt Härter.

Drei große Arbeitseinsätze mit bis zu 70 Helfern

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Wie gewaltig die Aufgabe ist, stellten die Mitglieder der Bürgerstiftung fest, als sie im Januar an die Arbeit gingen. In drei großen Arbeitseinsätzen mit 60 bis 70 Helfern wurde das Grundstück entrümpelt und der Wildwuchs eingedämmt. BUND und Nabu wollen beim Obstbaumschnitt und mit Beweidung helfen.

Nur wenige oberirdische Spuren sind von der Synagoge geblieben: Ein historisches Toilettenhäuschen mit einer alten Holztür, das an die Apsis anschloss, ist heute Teil einer Gartenhütte. Für die Tür existiert noch ein Originalschlüssel. Der Treppenaufgang ist im Verlauf erhalten, doch etliche Stufen sind durch moderne Materialien ersetzt worden. Einige der Trockenmauern sollen aus der damaligen Zeit stammen. Außerdem haben die Vorbesitzer einen großen Sandstein aufbewahrt, der der Schlussstein der Synagoge sein soll. Dann gibt es noch einen vom Starkenburgweg zugänglichen, gut erhaltenen historischen Gewölbekeller. Dieser sei sicher als Vorratsraum genutzt worden, sagt Vettel. Wie Härter erläutert, bestand der Keller aber schon vor der Synagoge. Bis 1900 habe die Stadt dort Petroleum für die Laternen aufbewahrt.

Auf der Suche nach weiteren Resten soll als erster Schritt voraussichtlich im Herbst eine Gartenhütte abgerissen werden, die direkt im Synagogenumfeld steht, so Müller. Manfred Bräuer vom Amt für Bodenmanagement wolle anhand der Baupläne deren Standort ausmessen. Erst dann könne man daran denken, beispielsweise nach Mauern zu graben, ergänzt Vettel. Um keine Fehler zu machen, werde man zuvor die Experten von der Denkmalpflege und von Synagogenvereinen mit ins Boot holen, versichert Härter. Und noch etwas fehlt: „Erst mal müssen wir dafür sorgen, dass wir das Geld bekommen, das wir ausgeben können“, betont Müller.