Recherche steht auch bei der Aufarbeitung der Vergangenheit an erster Stelle. Dr. Hermann Müller, ehrenamtlich aktiv beim Verein „Stolpersteine – Erinnern für die...
HEPPENHEIM. Recherche steht auch bei der Aufarbeitung der Vergangenheit an erster Stelle. Dr. Hermann Müller, ehrenamtlich aktiv beim Verein „Stolpersteine – Erinnern für die Zukunft“ sowie bei der Bürgerstiftung, hat alles verfügbare Material im Stadt- und Kreisarchiv und beim Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt genutzt, Zeitungsmeldungen und Inserate studiert, Dokumente transkribiert und dabei auch weniger interessant erscheinende Quellen nicht vernachlässigt. Denn daraus ergeben sich unter Umständen wichtige Rückschlüsse auf das zu rekonstruierende Gesamtbild, wie zahlreiche Zuhörer seines Vortrags „Die Heppenheimer Synagoge – Auf Spurensuche“ am Mittwochabend im Marstall erfahren konnten.
Als Baruch Hirsch II., von 1861 bis 1876 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, als treibende Kraft den Bau eines neuen Gotteshauses initiiert hatte, waren die 150 jüdischen Bürger Heppenheims noch wohlgelitten im gesellschaftlichen Leben der Kleinstadt. Errichtet auf einem „Filetstück“ mitten in der Gemarkung, mit Blick auf den Maiberg und die Pfarrkirche Sankt Peter, hatten Baruch Hirschs Söhne Leopold, Adolf und Heinrich, Bankiers in London und wohnhaft an der vornehmen Adresse 10 Kensington Palace nahe am Hyde Park, es übernommen, auf eigene Kosten eine Synagoge zu bauen, „um der Liebe zu ihrer Heimat einen dauernden Ausdruck zu verleihen und zum ehrenden Andenken an ihre seligen Eltern und Großeltern“.
Nach der Einweihung des von Wilhelm Metzendorf entworfenen Gebäudes am 10. Oktober 1900 dankte die israelische Religionsgemeinde der Bevölkerung für die „herzliche Beteiligung an dem Feste“ (mit Festkonzert, Ball und feierlichem Einzug unter geschmückten und beflaggten Häusern); 1908 wurde den „Herren Hirsch in London“ sogar für die „Opferwilligkeit und Anhänglichkeit an ihre Vaterstadt“ auf Beschluss des Stadtvorstandes die Ehrenbürgerschaft verliehen – die Originalurkunde jedoch ist verschollen.
Handfeste Belege kommen zum Vorschein
Wie es weiterging mit der Synagoge, ist bekannt – am 10. November 1938 wurde das Gotteshaus in Brand gesteckt und zu sprengen versucht, „die Trümmer kamen in der ganzen Umgebung herunter“, so Hermann Müller.
Seitdem die Bürgerstiftung sich im Vorjahr darangemacht hat, das 3000 Quadratmeter umfassende Areal zu entbuschen und zu entrümpeln, erstreckt sich die Spurensuche auch auf handfeste Belege. Durch die Einsicht alter Inventarlisten konnten zwei Fundstücke aus Messing als Haltestangen für Läufer identifiziert werden, nach dem Abriss einer Hütte kamen Fliesen zum Vorschein, die der Synagoge zugeordnet werden konnten. Landesarchäologen, beauftragt von der Denkmalschutzbehörde, legten ein Rohr frei – möglicherweise der Eingang zu einem Sickerschacht für die Dachentwässerung –, eine weitere Öffnung könnte zu einem Heizungsschacht geführt haben. Ein Firststein, Bruchstücke von Dachziegeln und ein metallener Deckel sind ebenso erhalten wie das Toilettenhäuschen, das auf jeden Fall stehen bleibt.
Was Müller anhand einer Fotografie zudem herausgefunden hat, betrifft den Keller unterhalb des Areals: Da wurde der Eingang versetzt, sodass das Gewölbe wohl nicht zur Synagoge gehörte, sondern zu dem Grundstück, das ein gewisser Leonhard Bund 1930 der jüdischen Gemeinde abgekauft hatte. Und die Spurensuche ist noch nicht beendet: „Weitere Informationen werden gesucht und gesammelt. Es gibt noch viele offene Fragen.“