Mit einer eindrucksvollen Feier wurde in Heppenheim die Erinnerungsstätte Tonwerk eröffnet. Die Backsteinsilhouette mit den Schornsteinen und die Lore erinnern nicht nur an...
HEPPENHEIM. Mit einer eindrucksvollen Feier wurde in Heppenheim die Erinnerungsstätte Tonwerk eröffnet. Die Backsteinsilhouette mit den Schornsteinen und die Lore erinnern nicht nur an die Zwangsarbeiter, die dort ab 1942 ausgebeutet wurden. Auf einer der beiden Tafeln stehen insgesamt 575 Namen. Die Projektgruppe hat Platz gelassen für eine dritte Tafel. Darauf soll an jene Häftlinge erinnert werden, die in Heppenheim in einem Außenlager des KZ Dachau arbeiten mussten. Einen Kilometer südlich der Tongruben mussten diese Gefangenen Gemüse verarbeiten, das für die Wehrmacht bestimmt war.
100 Bürger kommen ins Neubaugebiet Gunderslache
Eindrucksvoll war die Feier am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, weil bei nasskaltem Wetter weit mehr als 100 Bürger in das Neubaugebietes Gunderslache gekommen waren. Klaus Weber, Gestalter des Monuments, erläuterte, was er sich mit der Anordnung gedacht hat. Nur wer sich verbeugt, kann durch ein Rechteck auf die Szene blicken. Dass die Anlage an einem Kinderspielplatz liegt, auch das haben die Initiatoren so gewollt. „Die Erinnerung an das Unrecht soll in die Zukunft wirken, damit sich so etwas nie wiederholt“, sagte Weber. Wenn Kinder spielerisch mit dem Tonwerk-Modell umgehen und Fragen stellen, sei der Zweck erfüllt. Vom Mahnmal aus gingen die Gäste zur Lagerhalle, die die Firma Vock zur Verfügung gestellt hatte. Besser als in einem Festsaal bildete sich dort eine Atmosphäre, wie sie dem Anlass angemessen war. Bürgermeister Rainer Burelbach, der frühere Geschichtslehrer Peter Lotz und der Initiator Franz Beiwinkel waren sich in ihren Ansprachen einig, dass das Mahnmal durch eine außergewöhnlich gute Zusammenarbeit gelungen ist: Städtische Gremien, Stadtarchiv, Schulen, Gewerkschaften, der Geschichtsverein und andere Vereine, die Kirchen, Initiativen und die Firmengruppe des Bau-Unternehmers Horst Dreher hätten Hand in Hand gearbeitet.
Es waren Jugendliche, die Anfang der neunziger Jahre in den Ruinen des Tonwerks stöberten und dabei auf verstaubte Aktenordner gestoßen sind. Für Felipe Ruiz Larbador, Louis Wood und Gerhard Skora war das Gelände ein Abenteuerspielplatz. Doch sie erkannten, dass es sich bei den Dokumenten um mehr handelte als um die Buchhaltung einer Firma. In Berichten war von „Seuchen“ und von „Verwanzung“ die Rede. Die Schüler brachten den Fund zu ihren Lehrern Franz Schäfer und Peter Lotz an die Geschwister-Scholl-Schule nach Bensheim. Daraus entstand in der Geschichtswerkstatt die viel beachtete Dokumentation „Wer Vater und Mutter nicht ehrt, der muss ins Tonwerk“. Skora und Larbador, längst erwachsene Männer, waren am Samstag unter den Rednern. Sie zeigten sich stolz über das, was aus ihrer Entdeckung geworden ist. „Geschichte lebendig halten, das ist perfekt gelungen“, sagte Lotz.
Beiwinkel beschrieb in seiner „Topografie des Faschismus in Heppenheim“ die unterschiedlichen Ausprägungen der Nazi-Diktatur. Er erinnerte an die Zerstörung der Synagoge, an die Demütigung der jüdischen Bürger und deren Verschleppung in die Vernichtungslager, an die 300 Patienten der „Irrenanstalt“, die wahrscheinlich umgebracht wurden, an die Kriegsgefangenen, die danach in der „Irrenanstalt“ verhungerten oder zu Tode geschunden wurden, an die KZ-Häftlinge, an den polnischen Zwangsarbeiter Jan Rogacki, der ohne Urteil erhängt wurde, sowie an den Bürger Ernst Schneider. Der wurde in Berlin hingerichtet, weil er nicht an den Endsieg glauben wollte.
Beiwinkel wies darauf hin, dass es auch in Heppenheim vor allem Menschen aus der Sowjetunion und Polen waren, die wie Sklaven gehalten wurden. Ab 1943 waren jeweils mehr als 200 Zwangsarbeiter im Tonwerk. Zu zehnt hausten sie in Baracken mit 16 Quadratmeter Grundfläche. Mindestens 60 Frauen – so Beiwinkel – haben im Lager entbunden. „Vom Schicksal der Kinder ist nichts bekannt“, sagte er. „Wir müssen befürchten, dass sie ermordet wurden.“
Beiwinkel wies darauf hin, dass die Erinnerungsstätte Tonwerk nicht das erste Mahnmal dieser Art in Heppenheim ist. Er nannte die Gedenkstätten im Stadtpark, die Scheibe an der Vitos-Klinik, das Martin-Buber-Haus, die Stolpersteine, das ehemalige Kaufhaus Mainzer, die Tafeln am Platz der Synagoge und an der Hinrichtungsstätte, an der Rogacki starb. Das seien Zeichen, dass sich Heppenheim wie die Nachbarstädte Bensheim, Zwingenberg und Lorsch zum dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte bekennen.