Dieter Schnabel berichtet über Schicksale jüdischer Familien...

Dieter Schnabel berichtete im Marstall über seine Forschung zu jüdischen Familien in Heppenheim.Foto: Karl-Heinz Köppner  Foto: Karl-Heinz Köppner

Sie lebten in der Bachgass’, in der Vorstadt, im Hambacher Tal, oft Haus an Haus mit der katholischen und evangelischen Bevölkerung: „Die Heppenheimer Juden waren nicht...

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HEPPENHEIM. Sie lebten in der Bachgass’, in der Vorstadt, im Hambacher Tal, oft Haus an Haus mit der katholischen und evangelischen Bevölkerung: „Die Heppenheimer Juden waren nicht ausgegrenzt, sie waren integriert“, sagte Professor Karl Härter, der Vorsitzende des Geschichtsvereins. Dafür sprach für ihn auch die Tatsache, dass auf dem Kleinen Markt, direkt am alten Standort der Mariensäule, dem traditionellen Treffpunkt der Pilger nach Walldürn, ein jüdischer Metzger seinem Gewerbe nachgegangen war – ein Beleg für das frühere entspannte Zusammenleben der Bürger unterschiedlichen Glaubens in einem kleinen Ort, der in den Zwanzigerjahren etwa 7700 Einwohner gezählt haben dürfte – 130 unter ihnen waren Juden.

Dieter Schnabel, der stellvertretende Vorsitzende des Geschichtsvereins, hatte für einen Diavortrag im Begleitprogramm zur Ausstellung „Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 bis 1945“ im Lorscher Museumszentrum seine umfangreiche Fotosammlung gesichtet und sich über die Schicksale jüdischer Familien kundig gemacht. Ein Thema, das auf überaus großes Interesse gestoßen war, so dass der Marstall am Mittwochabend kaum ausgereicht hatte, die Zuschauermenge zu fassen. „Es ist dennoch ein Thema, über das nicht gerne gesprochen wird“, erläuterte Schnabel.

Glücklicherweise konnte der Heimathistoriker mit zwei Zeitzeuginnen Kontakt aufnehmen, die sich noch gut erinnerten, was nach der sogenannten Machtergreifung der Nazis geschehen war: „von heute auf morgen“ waren die Bachs, die Baruchs, die Lichtensteins, die Oberndorfs, die Morgenthaus, die Mainzers, die Sundheimers und all die anderen zu Verfemten und Entrechteten geworden.

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In einem „Schandzug“ durch die Stadt geführt

„Das muss auch den Kindern schwer gefallen sein zu verstehen, wie aus Freunden Fremde geworden waren“, sagte Schnabel. Klassenkameraden wurden getrennt, katholische Kinder blieben unter ihresgleichen, die Protestanten (in Heppenheim eh in der Diaspora) und die Juden wurden zusammen unterrichtet, „Kauft nicht bei Juden“ trieb Geschäftsinhaber in den Ruin, und mit den Pogromen in der Nacht zum 10. November 1938 erreichte auch in Heppenheim der Terror seinen vorläufigen Höhepunkt. Ein Schwarzweißbild, aufgenommen von der Stadtmühle aus, zeigt dicke Qualmwolken über der 1900 eingeweihten neuen Synagoge am Starkenburgweg, die gebrandschatzt und zerstört wurde. In einem „Schandzug“ wurden die jüdischen Bürger durch die Stadt geführt, am Straßenrand hatten sich, wie Aufnahmen belegen, etliche Zaungäste dieser Demütigung versammelt (Schnabel hat in seinem Fundus auch Fotos, die er nie öffentlich zeigen würde – Schnappschüsse, auf denen beteiligte Personen deutlich zu erkennen sind). Wohnungen und Häuser wurden demoliert und geplündert, auch das Kaufhaus Mainzer in der Friedrichstraße war Ziel der Übergriffe der neuen Machthaber und ihrer Helfershelfer.

Von den 113 jüdischen Bürgern, die 1933 noch in Heppenheim gezählt wurden, waren sechs Jahre später nur noch 37 Frauen und Männer hier ansässig – viele hatten sich ins Ausland retten können, viele wurden aber auch verhaftet und inhaftiert, über 20 getötet.

Zusammengepfercht im „Judenhaus“

Das Haus der Sundheimers in der Lehrstraße 3, nicht gerade ein riesiges Anwesen, diente ab Anfang 1942 als „Judenhaus“: Dortwurden die wenigen verbliebenen jüdischen Einwohner zusammengepfercht, bis sie am 18. März zuerst nach Darmstadt gebracht und anschließend in die Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Fanny Scotti hatte sich zuvor den Transporten durch Freitod entzogen.

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In seinem Buch „Geschichte und Geschicke der Heppenheimer Juden“, 1982 als Sonderband 5 der Geschichtsblätter des Kreises Bergstraße erschienen, hat Wilhelm Metzendorf Grundlegendes zum Thema zusammengetragen. Der Verein „Stolpersteine“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an die jüdischen Bürger wachzuhalten; Recherchen über die Familien und ihre in der ganzen Welt lebenden Nachkommen könnten weitere Aufschlüsse liefern.