Fast könnte man darin einen Fußballplatz unterbringen. Nur ist das Bauwerk nicht so breit wie ein gewöhnliches Spielfeld. Doch statt 22 Spielern und einem Schiedsrichter...
BIBLIS. Fast könnte man darin einen Fußballplatz unterbringen. Von der Länge her auf jeden Fall. Nur ist das Bauwerk nicht so breit wie ein gewöhnliches Spielfeld. Doch statt 22 Spielern und einem Schiedsrichter werden dort künftig 648 Container und 744 Fässer stehen - bis oben voll mit radioaktivem Müll. Obwohl das Kraftwerk Biblis stillgelegt ist und der Rückbau gerade begonnen hat, entsteht dort ein neues, gigantisches Zwischenlager mit dem Namen LAW II. Hier werden ab dem nächsten Jahr schwach- und mittelradioaktive Abfälle gelagert. Wie lange sie dort stehen werden, weiß keiner so genau.
Wer die Baustelle betreten will, muss zunächst die Sicherheitskontrolle des AKW passieren. Ohne Personalausweis geht hier gar nichts. Dafür erhält man einen elektronischen Besucherausweis. Dann folgt die Körperkontrolle. Wie am Flughafen. Nur etwas genauer. Alexander Scholl, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Kraftwerk, hilft dem Besucher aber bereitwillig bei jedem Schritt. Das hat er schon unzählige Male getan. Wenn der Sicherheitsmann zufrieden ist, kann die Drehtür mit dem Besucherausweis zur Anlage geöffnet werden. Früher haben hier mal 1000 Mitarbeiter gearbeitet, heute sind es noch 550. "Seit 230 Tagen ist dieser Betrieb ohne Unfall", steht auf einer Digitalanzeige.
Den Rohbau des neuen Lagers im westlichen Teil des Geländes sieht man schon von Weitem: Ein riesiger Klotz aus Beton. Vor wenigen Tagen wurde er fertiggestellt. 109 Meter ist er lang, 28 breit und 17 Meter hoch. Die Bodenplatte ist 1,5 Meter dick und wegen des schlechten Bodens im Erdbebengebiet auf 1243 Mörtelsäulen errichtet. Die Wandstärke misst 0,85 Meter, die Dachdecke 0,5 Meter. "Zu wenig", wie der BUND findet - und hat auch deshalb gegen das Bauwerk geklagt. "Einem Absturz eines Großflugzeugs wie dem A380 hält es nicht stand", meint Dr. Werner Neumann. "Deshalb ist es nicht sicher", sagt das Vorstandsmitglied des BUND Hessen. Es folgt eine Klage, die mit einer Mediation endet. "Man hat unsere Verbesserungsvorschläge, was Lagerung und Standfestigkeit betrifft, angenommen", so der Physiker. Neumann ist Realist genug, um zu wissen, dass nicht mehr drin war und es keine Alternative zu dem Lager gibt. "Im Rahmen der Möglichkeiten sind wir zufrieden. Man kommt nicht drum herum."
Ab 1. Januar 2020 geht das Lager in die Hand des Staates über
Das Atomkraftwerk Biblis hat aktuell zwei Lager. Eines für hochradioaktiven Müll wie Brennelemente - hierfür existiert noch kein Endlager. Und es gibt das Zwischenlager LAW I, wo bereits Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung gelagert werden. Diese sollen in Salzgitter endgelagert werden, wenn das vom Bund ausgewählte Zwischenlager mit dem Namen Schacht Konrad fertiggestellt ist. Das sollte eigentlich schon 2013 in Betrieb gehen, dann 2022. Jetzt voraussichtlich 2027.
Da Biblis aber bereits mit dem Rückbau begonnen hat, musste Lagerfläche her: LAW II. Im Januar 2013 stellt RWE den Antrag, im November 2015 kommt die Baugenehmigung. Nach der Einigung mit dem BUND erfolgt im Oktober 2016 der Baubeginn. Nun steht der Rohbau, das Lagervolumen umfasst 5500 Kubikmeter. 17 Deckenbinder, einer 30 Meter lang, hat die Firma Porr eingezogen. Alles zusammen kostet 13 Millionen Euro.
1750 Lkw-Ladungen Beton sind hier verarbeitet
Alexander Scholl steht in diesem großen Klotz und wirkt ein wenig stolz. In dem Rohbau riecht es, wie es in einem Rohbau eben riecht. Man kann die verbauten Betonmassen förmlich einatmen. Die Dimensionen sind gewaltig: 14 000 Kubikmeter Beton sind hier verarbeitet worden, das entspricht 1750 Lkw-Ladungen. "Die sind hier im Fünf-Minuten-Takt angefahren gekommen", erzählt Scholl. Natürlich streng kontrolliert. "Beim Auskippen war extra ein Mitarbeiter dafür abgestellt, um zu sehen, was aus dem Laster rauskommt", erzählt RWE-Bauleiter Martin Glaser. Vorher hat der Lkw natürlich die Kontrolle passieren müssen, die Fahrer wurden überprüft.
Noch herrscht gähnende Leere im LAW II, doch schon Ende des Jahres soll das Lager fertig sein und Platz für den Atommüll aus dem Rückbau bieten. Die Konrad-Container können fünffach gestapelt werden, eine Krananlage wird noch installiert. "Der Schutz muss vom Behälter ausgehen", erklärt Alexander Scholl. Die Halle diene nur zur zusätzlichen Abschirmung, so der Mitarbeiter. Und dann stehen sie dort erst einmal. Mindestens bis 2027. "Auch dieser Termin kann nicht gehalten werden", glaubt Umweltschützer Werner Neumann. "Ohne den Schacht Konrad wird LAW II ein Dauerlager", weiß auch Horst Kemmeter. Der Kraftwerksleiter erklärt, dass das Lager ab 1. Januar 2020 in die Hand der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung übergeht. "Dann gehört alles, was darin ist, dem Staat", erklärt Alexander Scholl. Der Staat habe die Verpflichtung, alle radioaktiven Abfälle abzubauen.
Die Digitalanzeige am Eingang erfasst zwar nur die Arbeitsunfälle im Kernkraftwerk, doch jeder weitere Tag ohne Unfall kann die Leitung nur freuen. Denn Pressesprecher Scholl weiß: "Wenn radioaktiver Abfall bewegt wird, birgt das immer Gefahren." Und Umweltschützer Neumann warnt, sich nicht von den Wörtern schwach und mittelradioaktiv täuschen zu lassen: "Der Müll hat immer noch eine hohe Radioaktivität und ist alles andere als harmlos." Auf der anderen Seite: Wenn das neue Zwischenlager mit schwach- und mittelradioaktivem Müll komplett voll ist, entspricht die Strahlenbelastung darin der eines einzigen Castor-Behälters mit hochradioaktivem Müll. Und davon stehen in Biblis 50 Meter Luftlinie entfernt aktuell 92, nach Ende des Rückbaus sogar 102. Für die gibt es noch kein Endlager. "Diese Suche dauert noch mindestens 100 Jahre", ist Neumann überzeugt. Bis dahin heißt der Standort: Biblis.