Verschwörungsideologie: Ärger um Ganser-Vortrag in Bensheim

Das Bensheimer Bürgerhaus heißt seit seiner Renovierung "Kultur- und Kongresszentrum". Die Betreiber wollen bei der Vermietung künftig sensibler vorgehen.

Der ins städtische Bürgerhaus Bensheim eingeladene Schweizer Historiker Daniele Ganser gilt als Verschwörungsideologe. Ein Sponsor springt ab, die Stadt geht auf Distanz.

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Bensheim. Das Thema klingt gar nicht unsympathisch. „Achtsam leben in einer unfriedlichen Welt!“, heißen die nächsten Vorträge der von Justus Keller organisierten Bensheimer Reihe „Lebenskunst“, die seit vielen Jahren mit Themen rund um Psychologie, Gesundheit und Lebenshilfe ein großes Publikum anlockt. Doch der aktuelle Referent sorgte schon im Vorfeld für besonders kritische Aufmerksamkeit. Der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser gilt dem Beratungsnetzwerk Hessen, das sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzt, als „bekannter Verschwörungsideologe“.

Ganser ist Autor erfolgreicher Sachbücher, vier Termine in Bensheim sind weitgehend ausverkauft, bei einem stattlichen Eintrittspreis von 30 Euro. Seine Popularität hat er unter anderem durch Beiträge auf Youtube erworben, in denen sehr freundlich ein sehr eigener Blick auf die Welt geworfen wird. Gerne wendet Ganser sich gegen die Diffamierung von Menschen, die den „medialen Mainstream“ verlassen; in einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Gespräch mit dem Wirtschaftsautor Marc Friedrich verwahrte er sich gegen den Vorwurf, Verschwörungstheorien zu verbreiten: „Ich bin einfach ein Forscher.“ Friedrich war im Dezember bei der „Lebenskunst“-Reihe zu Gast.

Sparkassen-Logo verschwindet als erstes

Nach dem Warnhinweis des Beratungsnetzwerks beschäftigten sich die Sponsoren der Bensheimer Vortragsreihe mit dem Schweizer, der nicht nur als Historiker angekündigt wird, sondern auch als Friedens- und Bewusstseinsforscher. Als erstes verschwand das Logo der Sparkasse Bensheim von der „Lebenskunst“-Homepage. Dies habe indes keine inhaltlichen Hintergründe, betont auf Anfrage Andrea Jäger, bei der Sparkasse zuständig für Spenden und Sponsoring. Sie verweist auf die Vielzahl der Förder-Aktivitäten, „irgendwann ist es an der Zeit, dass man sich vom Alten löst.“

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Anders sieht es das regionale Versorgungsunternehmen GGEW, dessen Logo seit Dienstag nicht mehr erscheint. „Wir haben die Werbepräsenz für diese Veranstaltung komplett ausgesetzt“, sagt Unternehmenssprecher Dominik Rudolf. „Wir nehmen den Vorgang zum Anlass, für die Zukunft die weitere Zusammenarbeit kritisch zu prüfen und gegebenenfalls zu beenden“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Unternehmens.

Ganser tritt im Bürgerhaus der Stadt Bensheim auf, das seit der Renovierung „Kultur- und Kongresszentrum“ heißt. Das Haus befindet sich im Eigentum der städtischen Marketing- und Entwicklungsgesellschaft MEGB, die es wiederum verpachtet hat an die „Bensheim Event GmbH“. Die Stadt nehme die Vorträge „zur Kenntnis“, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung. Über die Einladung Gansers habe die Stadt Anfang Dezember 2022 indirekt Kenntnis erlangt. „Das Beratungsnetzwerk Hessen hat Sponsoren der Veranstaltungsreihe ,Lebenskunst‘ des evangelischen Pfarrers Justus Keller darüber informiert, dass eine Veranstaltung geplant sei, die von einem ,bekannten Verschwörungsideologen‘ gehalten werde.“

Um die inhaltliche Ausrichtung abzuklären, habe die Stadt über die MEGB eine Stellungnahme bei Keller eingeholt. „In seiner Antwort verwies der Veranstalter darauf, dass Ganser überzeugter Pazifist sei, der sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Verhandlungen ausspreche. Viele Menschen seien des Krieges überdrüssig, die darin nicht mehr das adäquate Mittel zur Lösung politischer Konflikte sehen würden. Vor diesem Hintergrund gäbe es für ihn nichts zu verteidigen.“ Keller habe in der Vergangenheit über viele Jahre mit seiner Veranstaltungsreihe mit renommierten Gästen ein anerkanntes pädagogisches und bildungspolitischen Angebot etabliert, betont die Stadt. Eine Anfrage dieser Zeitung ließ Keller unbeantwortet.

Stadt hat auf die Belegung des Bürgerhauses keinen Einfluss

„Soweit der Stadt die Äußerungen bekannt sind, teilt die sie Positionen von Dr. Daniele Ganser nicht und distanziert sich ausdrücklich davon“, heißt es in der Stellungnahme. „Gleichzeitig vertritt die Stadt Bensheim die Ansicht, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Verfassungsgut ist, das im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Ordnung unbedingt zu schützen ist. Solange der Vortrag sich innerhalb der von Verfassung und Strafrecht definierten Grenzen bewegt, sind auch schwierige oder schmerzhafte Meinungen und Ansichten zu tolerieren.“

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Auf die Belegung des Bürgerhauses habe die Stadt keinen Einfluss, „da sie nicht Eigentümerin des Veranstaltungsortes oder gar Vertragspartner ist.“ In der MEGB bildet der Magistrat der Stadt Bensheim allerdings die Gesellschafterversammlung. „Aus aktuellem Anlass“ hätten MEGB und der Pächter zugesichert, bei der Auswahl der Mieter „noch sensibler vorzugehen“.

Anders sehe es bei städtischen Einrichtungen oder Räumlichkeiten aus, beispielsweise bei den Bürgerhäusern in den Stadtteilen. Dort prüfe die Stadt „natürlich den Inhalt der geplanten Veranstaltung und den Veranstalter“. Dabei werde immer einzelfallabhängig entschieden. „Grundsätzlich lässt sich aber natürlich sagen, dass keine rechts- oder anderweitig extreme Gruppierungen toleriert werden“, teilt die Stadt mit.