2019 soll Hessen den Vorsitz der Kultusministerkonferenz übernehmen. Ein Kernauftrag: Entwicklung einer deutschlandweiten Digitalstrategie für Schulen. Wie digital sind die...
HESSEN. 2019 soll Hessen den Vorsitz der Kultusministerkonferenz übernehmen. Ein Kernauftrag: Entwicklung einer deutschlandweiten Digitalstrategie für Schulen. Wie digital sind die hessischen Klassenzimmer, wie digital sollten sie sein? In einer mehrteiligen Gesprächsreihe mit Experten, Lehrern, Schülern, aber auch Kritikern, wird dieses wichtige Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Den Auftakt macht Tanja Miehle, Leiterin des Referats für Besondere Bildungsaufgaben im hessischen Kultusministerium.
Stimmen Sie folgender Einschätzung zu? Die Digitalisierung verändert die Art, wie wir als Gesellschaft kommunizieren elementar und somit auch die Art, wie wir uns über unsere Werte und unsere Identität verständigen?
Ja. Die Digitalisierung hat alle Lebensbereiche erreicht. Unsere Gesellschaft ist durchdrungen von digitalen Medien und deshalb müssen wir uns auch im Bildungsbereich darauf einstellen, junge Menschen gut darauf vorzubereiten, in dieser digitalen Welt kompetent mitzuwirken.
Beobachter sagen, dass wir noch in einer Phase der "mentalen Pubertät" im Umgang mit den neuen Möglichkeiten leben. Teilen Sie diesen Befund?
In gewisser Weise, ja. Die Bedienkompetenz ist ja sowohl bei jungen Menschen als auch bei vielen Älteren durchaus vorhanden. Aber das, was uns herausfordert, ist der kompetente Umgang mit der Digitalisierung und der Technologie dahinter.
Die Technologie dahinter?
Es geht um kompetentes Kommunizieren mit digitalen Medien. Das erfordert auch ein Grundverständnis davon, wie Informationen verarbeitet werden, wie sie zustande kommen, wie belastbar sie sind. Und das ist eine ganz wichtige Kompetenz, über die sowohl Jung als auch Alt zukünftig verfügen müssen, um wirklich sicher mit digitalen Medien umgehen zu können.
Wir sprechen also über Medienkompetenz und Medienmündigkeit. Wie groß ist die Bildungsherausforderung, die diese mediale Umwälzung an Politik und Institutionen formuliert?
Letztlich ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gerade junge Menschen zu mündigen Bürgern zu machen - und dazu gehört auch der kritische Umgang mit digitalen Medien - liegt natürlich im Erziehungsauftrag der Eltern. Aber die Schulen müssen sie dabei unterstützen, weil viele Eltern mit dieser Aufgabe alleine überfordert wären.
Die Kritik an den aktuellen Programmen lautet: Kleinteilige Didaktik- und Medienkompetenz-Programme, die der Herausforderung nicht annähernd gerecht würden. Es fehle an konzeptioneller Klugheit. Ist das zu hart?
In dieser Pauschalität: Ja. Es gibt nicht "das" didaktische Konzept. Der Einsatz von digitalen Medien im Unterricht sollte sich an dem Ziel orientieren, den Unterricht methodisch zu bereichern und den einzelnen Schüler individueller zu fördern. Je nach Schülerklientel, je nach Schulprogramm, ist ein spezifisches Konzept gefordert. Mit den Angeboten des Landes unterstützen wir die Schulen darin, dass sie das für ihr jeweiliges Profil passende Konzept erarbeiten können.
Ist dieser Bildungsauftrag schon vollständig entziffert oder muss man da noch viel substanzieller herangehen?
Bildung mit und über Medien ist nichts Neues und im Hessischen Schulgesetz verankert. In Hessen passiert dazu schon viel. Es gibt Projekte für Schulen, wie das Internet-ABC für Grund- und Förderschulen, Fortbildungs- und Beratungsangebote für Lehrkräfte, etwa zum Einsatz von Lernplattformen oder zum Jugendmedienschutz. Gerade im Bereich der pädagogischen Unterstützung durch die Fachberatung Medienbildung an den Schulämtern und über die kommunalen Medienzentren, die mit der Fachberatung zusammenarbeiten, haben die Schulen eine kompetente Unterstützung vor Ort. Diese leisten Hilfestellung, damit Schulen die Herausforderung meistern, ein jeweils passendes Konzept umzusetzen. Ohne regionale Hilfsangebote vor Ort geht das nicht.
Wenn Sie die Herausforderung der Digitalisierung abgleichen mit dem, was wir aktuell an Schulen vorfinden: Wie weit sind wir?
Es lässt sich nicht auf einer Skala bemessen, wo wir stehen. Hessen ist ein Flächenland und natürlich gibt es regionale Unterschiede. Die Zusammenarbeit mehrerer Akteure ist erforderlich: Das Land, das die pädagogischen Unterstützungsangebote und die Qualifizierung der Lehrer sicherstellen muss. Die Schulträger, die für die technische Infrastruktur zuständig sind. Hier besteht zwischen dem Land und den Schulträgern eine über die Jahre gewachsene Zusammenarbeit über das Programm "Schule@Zukunft". Auch muss es für Schule geeignete digitale Bildungsmedien geben. Dazu stehen wir im Austausch mit den Verlagen. All das muss zusammenspielen, um gute Bedingungen für Unterricht mit digitalen Medien hinzubekommen. In Hessen kooperieren wir auch mit externen Partnern, wie den Medienanstalten. So können wir auf historisch gewachsenen Kooperationsstrukturen aufbauen und mit unseren Maßnahmen dazu beitragen, dass wir landesweit gleiche Verhältnisse hinbekommen. Das ist eine große Aufgabe, aber wir sind auf einem guten Weg.
Hat das Thema Digitalisierung im Bildungswesen schon die Bedeutung, die es haben sollte?
Ich sehe eine gute Entwicklung. Zum einen haben sich die Kultusminister der Länder mit der Strategie "Bildung in der digitalen Welt" darauf verständigt, dass der Aufbau von digitalen Kompetenzen bei Schülern eine zentrale Aufgabe darstellt. In der Strategie ist das Zieldatum 2021 für Lernen und Lehren in digitalen Lernumgebungen verankert. Auch in den Schulen prägt sich zunehmend die Haltung aus, dass Digitalisierung als Teil des Bildungsprozesses wichtig wird.
Was muss jetzt konkret unternommen werden, um Ergebnisse zu erzielen?
Die Lehrkräfte müssen in den einzelnen Ausbildungsphasen qualifiziert werden und die Schulen brauchen eine gute Infrastruktur. Ohne belastbares W-LAN wird es schwierig. Weil die Belastung der kommunalen Schulträger groß ist, gibt es hoffentlich finanzielle Unterstützung durch den Bund. Und natürlich müssen wir die Schulen pädagogisch unterstützen. Medienbildung ist eines der sogenannten Prio-Themen der Fortbildungs- und Beratungsangebote des Landes. Dazu zählt auch das Angebot der Fachberatung Medienbildung. Das Ziel sind auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmte Bildungskonzepte.
Mit Blick auf die Lehrkräfte: Sind Schüler ihren Lehrern in Sachen digitale Medien nicht meist überlegen?
Kinder und Jugendliche können nicht besser mit den Neuen Medien umgehen als Erwachsene, sie verfügen gegebenenfalls über eine bessere Bedienkompetenz. Der kritisch-verantwortungsvolle Umgang lässt dann doch häufig zu wünschen übrig. Hier setzen die Maßnahmen des Jugendmedienschutzes an. Aber natürlich müssen wir alle Lehrer in Sachen Medienkompetenz mitnehmen und dafür passgenaue Fortbildungsangebote schaffen. Auch niederschwellige für die Kollegen, die Berührungsängste haben.
Welche Ideen gibt es da?
Lehrkräfte müssen einen pädagogischen Mehrwert durch den Einsatz digitaler Medien erfahren. Durch die Hessische Lehrkräfteakademie werden Qualifizierungsformate entwickelt, die den Lehrern einfache Zugänge ermöglichen, beispielsweise durch die Bereitstellung von Unterrichtsbeispielen. Nicht losgelöst von ihrem Fach, denn sie sollen den pädagogischen Mehrwert digitaler Medien auch sehen und empfinden.
Die Digitalisierung ist auf bundespolitischer Ebene erst relativ spät in den Fokus genommen worden. Und in Hessen?
In Hessen ist die Digitalisierung kein Neuland. Wir haben schon seit 2001 die Medieninitiative "Schule@Zukunft", mit der wir Kooperationsstrukturen vor allem mit den Schulträgern aufgebaut haben und die technische Ausstattung der Schulen finanziell unterstützen. Die Abstimmung mit den Schulträgern werden wir intensivieren. Weil die Technik sich so rasant weiterentwickelt, können wir es nur im engen Austausch mit den kommunalen Akteuren erreichen, eine lernförderliche IT-Infrastruktur aufzubauen.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen fordert ein eigenes Schulfach "Medienkunde". Inhalte: die Vermittlung eines publizistischen Wertgerüstes für das öffentliche Sprechen. Mediengeschichte, Praxis des Mediengebrauchs in der digitalen Welt, das Lernen, wie Propaganda funktioniert und wie Macht im Netz entsteht. Eine gute Idee? Auch eine Idee für Hessen?
Es braucht kein eigenes Fach Medienkunde. Es ist wirkungsvoller, in den vorhandenen Fächern Medienkompetenz in den einzelnen Jahrgangsstufen zu fördern. So kann der fachbezogene Nutzen (beispielsweise Visualisieren von Grafiken in Mathematik, Aufnahmen von Bewegungsabläufen in Sport, Recherchearbeiten in Deutsch oder Geografie) zum Tragen kommen.
Noch größer gedacht ist die Idee einer "redaktionellen Gesellschaft". Die These: Wir alle, die wir heute mittels Smartphones publizieren und das öffentliche Gespräch mitprägen, müssen ein Stück weit zu Journalisten werden. Ein guter Gedanke?
Kein Zweifel. Jeder Mensch ist heutzutage Medienproduzent. Darauf müssen Schüler vorbereitet werden. Und da sind wir mit Unterstützung von Kooperationspartnern gut aufgestellt. Wir haben mit dem Hessischen Rundfunk und der Landesanstalt für privaten Rundfunk Rahmenverträge, die genau solche Projekte fördern. So gab es aktuell ein Projekt anlässlich des Reformationsjahres mit dem Hessischen Rundfunk, in dem sich Schüler kritisch mit neuen Thesen auseinandergesetzt haben, um auch ethische Fragen und solche zu beleuchten, die in den Bereich der Demokratieerziehung hineinreichen. An dieser Stelle wird Medienbildung zum gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Es gibt auch Projekte und Fortbildungen zum Thema Social Media. Diese Maßnahmen haben gemeinsam, dass die Schüler und Lehrkräfte von Redakteuren unterstützt werden, also von Experten, die sich tagtäglich beruflich mit dem Thema auseinandersetzen.