Wenn das Leben zu Ende geht, bietet der Evangelische Hospiz- und Palliativ-Verein in Darmstadt den Menschen Hilfe. Drei seiner Mitarbeiter im Gespräch.
DARMSTADT. Wenn das Leben langsam erlischt, wollen die meisten Menschen nicht allein gelassen werden. Auch ihre Angehörigen brauchen in dieser schwierigen Phase Unterstützung. Beratung und Zuwendung bietet ihnen der Evangelische Hospiz- und Palliativ-Verein in Darmstadt, der in das Netzwerk der Palliativ-Versorgung der Region eingebunden ist. Seine rund 80 Ehrenamtler betreuen in Darmstadt und Teilen des Landkreises Darmstadt-Dieburg Schwerstkranke und Sterbende in Altenheimen, auf der Palliativstation eines Krankenhauses und im häuslichen Bereich. Wir sprachen mit drei von ihnen.
Was hat Sie zur Mitarbeit im Evangelischen Hospiz- und Palliativverein motiviert?
Schiwy: Vor sieben Jahren habe ich meine kranke Mutter an vielen, vielen Wochenenden in ihrem Pflegeheim in Recklinghausen besucht. Eines Tages saß eine nette Frau an ihrem Bett und hielt ihr die Hand. Es war eine Hospizbegleiterin. Ich war ihr sehr dankbar. Wenn ich mal Zeit habe, sagte ich mir auf der langen Rückfahrt nach Darmstadt, dann mache ich das auch. Als ich in Pension ging, wollte ich einen neuen Bereich für mich eröffnen. Ich glaube, dass wir uns mit Tod und Sterben auseinandersetzen müssen, damit wir damit bewusster und besser umgehen können.
Genrich: Eigentlich wollte ich nur im Besuchsdienst mitarbeiten, aber dann haben mich Schicksal, Gott und die Vorsehung zur hospizlichen Begleitung getragen. Ich hatte irgendwie die Kraft dazu. Und solange ich die habe, höre ich damit nicht auf. Ich bin gottesgläubig und habe von zu Hause ein christliches Fundament mitbekommen.
Herrmann: Wenn ich mit meinem Bücherwagen die Patientenzimmer aufsuche, weiß ich nie, was mich dort erwartet. Manchmal sind es schwierige Gespräche, auch mit Angehörigen. Die Ausbildung zur Hospizbegleiterin hilft mir, mit solchen Situationen besser umzugehen. Sie ist wertvoller und wichtiger, als ich vorher gedacht habe. Da sein und Zuhören, ganz frei und unbelastet, ist fast das Wichtigste. Für uns ist jede Lebens- und Krankengeschichte neu. Wir hören mit frischen Ohren zu.
Was haben Sie im Ausbildungskurs gelernt?
Schiwy: Er dauert neun Monate und wird von Koordinatorinnen, die hauptamtlich vom Verein angestellt sind, geleitet. Dabei erfährt man eine ganze Menge über sich selbst und die eigene Haltung zu Krankheit, Tod und Todesangst. Nur wer bewusst mit den eigenen Ängsten umgehen kann, kann auch mit anderen Menschen arbeiten. Man lernt, in schwierigen Situationen zu kommunizieren und erfährt, wie die Netzwerke der palliativen Versorgung funktionieren. In die Ausbildung sind umfangreiche Praktika im stationären Hospiz und in Einrichtungen der Altenpflege eingebettet. In der Gruppe sprechen wir über unsere Erfahrungen. Jederzeit können wir uns mit all unseren Fragen an die Koordinatorinnen wenden.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Sterbebegleitung?
Schiwy: Ja, das waren drei sehr intensive Monate. Ich war der einzige, zu dem der 69 Jahre alte Patient einen Bezug hatte, sein einziger Besucher. Das tut weh. Er war Fußballfan, und wir unterhielten uns gern über den SV 98.
Genrich: Ich erinnere mich noch gut an die erste alte Dame, die ich betreut habe. Sie lebte im Altenheim, wollte sich zunächst im Rollstuhl nicht zu mir umdrehen und hat mir nach unserem Gespräch ein uneingewickeltes Bonbon geschenkt, das in ihrem Rucksack klebte. Sie achtete streng darauf, dass ich es sofort in den Mund nahm.
Erleben Sie öfter, dass jemand ganz allein lebt?
Genrich: Ja. Einmal waren die Pfarrerin und ich auf dem Waldfriedhof die einzigen, die hinter dem Sarg herliefen. Es gab da zwar einen Sohn, aber der war nicht gekommen.
Halten manche Patienten die Hospizbegleiter für Todesengel?
Genrich: Das kommt vor. Dann drängt man sich nicht auf. Entscheidend ist immer, was der Begleitete will. Ein Mann konnte mich nicht ertragen, weil ich ihn an seine Mutter erinnerte, die er ablehnte. Daraufhin habe ich die Begleitung beendet, die dann eine andere Frau übernahm, und mich um seine Mutter gekümmert.
Herrmann: Meist ist man auf uns vorbereitet. Oft sind es ja Angehörige oder sogar der Betroffene selbst, die wegen einer ambulanten Begleitung Kontakt mit dem Verein aufnehmen. Oder der Verein wird vom ambulanten Palliativ-Team, das Sterbende zuhause ärztlich versorgt, empfohlen.
Schiwy: Die Koordinatorin achtet darauf, dass der Hospizhelfer zu dem Kranken passt. Sie stellt ihn dem Patienten vor, und beide müssen sich sympathisch finden. Sonst klappt das nicht. Wir haben unsere Gesprächsgruppe und unsere Supervision und sind eingebettet in ein Unterstützungs- und Hilfesystem.
Wie alt sind Ihre Patienten?
Genrich: Meine älteste Patientin war 102 Jahre alt. Sie sagte zu mir manchmal: Sie müssen jetzt gehen, meine Buben kommen gleich. Die waren ja auch schon achtzig! Mein jüngster Patient war 45, so alt wie damals mein Sohn. Der Mann ist an Weihnachten in meinen Armen gestorben. Das war eine schlimme Begleitung. Man erlebt Sachen, die einem unter die Haut gehen. Am längsten, nämlich sieben Jahre lang, habe ich eine bettlägerige Frau aus dem Egerland besucht. Wenn sie unruhig wurde, sagte ich: Wir gehen jetzt am Fluss Eger spazieren. Das haben wir uns in allen Einzelheiten vorgestellt.
Wie reagieren Sie, wenn Sterbende nicht über den Tod reden wollen?
Herrmann: Wir reden zuerst über das Leben, die Lebensgeschichte oder über Alltägliches wie Fußball oder Blumen. Unsere wichtigste Aufgabe ist zuzuhören. Wenn der Kranke nicht mehr reden möchte oder kann, biete ich meine Hand an. Eine Berührung kann trösten, manchmal ist auch ein besonderer Duft oder eine Handmassage wohltuend. Es kommt vor, dass Angehörige den nahen Tod nicht wahrhaben wollen. Das belastet den Sterbenden. Es ist an uns zu vermitteln und verbindende Worte zu finden. Das kann später in der Trauer wichtig sein.
Schiwy: Gespräche über das Sterben stehen nicht im Vordergrund. Manche Schwerstkranke brauchen die Erlaubnis, gehen zu dürfen. Sie trauen sich nicht, gegenüber ihren Verwandten offen zu reden. Das können wir denen vermitteln.
Haben Sie die Angst vor dem Sterben verloren?
Herrmann: Durch das Hinschauen und Nicht-mehr-Verdrängen des Todes wird man gelassener und achtsamer dem Leben gegenüber. Diese Gelassenheit macht uns stark. Wir gehören einer Gemeinschaft an, die etwas sehr, sehr viel Sinnvolles tut. Wenn ich von einem Besuch komme, sehe ich, wie die Sonne durch die Bäume scheint, ich nehme die fröhlichen Kinderstimmen im Woog wahr.
Schiwy: Ich kann jetzt anders und bewusster helfen. Wenn ich das Zimmer eines Schwerkranken verlasse, freue ich mich auf mein Zuhause und empfinde eine größere Dankbarkeit für das, was ich an Positivem erleben darf.
Genrich: Nach einer Begleitung fühle ich mich, als hätte ich mein Innenleben gegeben. Dann kaufe ich einen Topf mit möglichst bunten Blumen, um mir eine Freude zu machen. Mein Balkon ist voll davon.
Das Interview führte Petra Neumann-Prystaj.