Thorsten Wenzel, Oberarzt am Klinikum Darmstadt, berichtet von neuen Wegen bei der Behandlung durch präzisere Analyse des Tumors.
DARMSTADT. Wenn aufgrund von Symptomen und Untersuchungen der Verdacht auf eine Krebserkrankung besteht, ist die Entnahme und Untersuchung des verdächtigen Gewebes der entscheidende Baustein und definierend für die Diagnose. Schon lange weiß man, dass zum Beispiel eine Brustkrebserkrankung zweier Patientinnen selbst im Falle gleicher „klassischer“ Voraussetzungen wie Tumorgröße, Fehlen von Metastasen, Alter oder Begleiterkrankungen einen unterschiedlichen Verlauf nehmen kann.
Folglich versucht man, Tumorerkrankungen beziehungsweise die Tumorzellen immer genauer zu charakterisieren, um daraus Hinweise auf die Prognose und insbesondere auf erfolgversprechende therapeutische Optionen zu erlangen. Mittels hoch spezialisierter Verfahren können Pathologen immer weiter in die Tiefe der Tumorzelle vordringen – beginnend auf Ebene der Eiweißmoleküle, etwa auf der Zelloberfläche, bis hinein in den Zellkern, wo die DNA, das Erbgut, detailliert analysiert werden kann.
Mittlerweile werden hier während einer Untersuchung verschiedene Veränderungen (Mutationen) gleichzeitig untersucht und es wird sozusagen ein molekularer Fingerabdruck erstellt. Wichtig ist für uns Ärzte, dass wir uns auf die Veränderungen konzentrieren, die eine entscheidende Rolle für die Tumorentstehung oder das Tumorwachstum (Treibermutationen) spielen und bei denen bereits Medikamente im Einsatz sind, um die Erkrankungen personalisiert behandeln zu können.
Dies können sogenannte Antikörper sein oder auch kleinmolekulare Substanzen („small molecules“), die meist als Tablette eingenommen werden. Zusehends im Einsatz ist die sogenannte „liquid biopsy“, bei der die Veränderungen im Blut festgestellt werden können. Beispielsweise können in der Therapiesteuerung oder in der Nachsorge hierdurch sehr frühzeitig Veränderungen festgestellt werden, bevor zum Beispiel in bildgebenden Verfahren Veränderungen oder auch Rezidive zu sehen sind.
Da sich Tumorzellen im Laufe der Zeit verändern können, (Entwicklung neuer Mutationen), muss dies wiederholt überprüft werden. Anstelle von immer neuen Gewebeentnahmen kann dies teilweise schon im Blut festgestellt werden. Die Rolle der „liquid biopsy“ und die Verfeinerung dieser Untersuchungsmethode ist allerdings noch keine Routineuntersuchung, sondern Gegenstand zahlreicher nationaler und internationaler Studien.
Sollten bei einer Tumorerkrankung die zugelassenen Therapien ausgeschöpft sein, aber gleichzeitig eine genetische Veränderung vorliegen, für die es wirksame Substanzen mit einer anderen Zulassung gibt, stellen wir ein Kostenübernahmeantrag an die Sozialleistungsträger, um die individuelle maßgeschneiderte Therapie zu ermöglichen. Häufig kombinieren wir verschiedene Formen der Systemtherapie, sodass Patientinnen und Patienten eine klassische Chemotherapie und gleichzeitig eine Immuntherapie erhalten. Es können auch beispielsweise orale Therapien mit einer Immuntherapie kombiniert werden.
Von herausragender Bedeutung ist der zunehmende Einsatz der personalisierten Systemtherapie im Kontext von interdisziplinären Therapiekonzepten. Hier wird die Systemtherapie als ein Baustein neben der chirurgischen Therapie, der Strahlentherapie und neben endoskopischen und radiologisch-interventionellen Verfahren eingesetzt. Gerade in den Frühstadien vieler Tumorerkrankungen gibt es hier erfreuliche Entwicklungen, die die Prognose erheblich verbessern.
Von Dr. Thorsten Wenzel