Wie ein russischer Student von Darmstadt aus Ukrainern hilft
"Eine Menge Russen, die hier leben, wollen helfen", sagt der Darmstädter Anton Derbenev. Er versucht, Unterstützung für die Ukraine zu organisieren.
Von Thomas Wolff
Lokalredakteur Darmstadt
Seit Oktober lebt der russische Medienstudent Anton Derbenev in Darmstadt. Jetzt führt sein Heimatland Krieg - was tun? Foto: Guido Schiek
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT - Spontan hat er das Treffen zugesagt. Schon am Telefon klang Enthusiasmus in seiner kraftvollen, dunklen Stimme durch. Anton Derbenev, 30, Student an der Hochschule Darmstadt, weiß, dass er es so viel leichter hat, sich zum Krieg zu äußern, als viele Altersgenossen in seiner russischen Heimat. Leichter auch, aktiv zu helfen: Der angehende Journalist und Medien-Fachmann gehört zu jenen, die in diesen Tagen private Initiativen starten für die Menschen in der Ukraine, für Geflüchtete. Er sei nicht der Einzige: "Eine Menge Russen, die hier leben, wollen helfen"; er will diese Hilfe koordinieren.
Dieser Inhalt stammt aus einer externen Quelle, der Sie aktiv zugestimmt haben. Ihre Zustimmung ist 24 Stunden gültig. Sollten Sie Ihre Zustimmung vorher widerrufen möchten, können Sie dies jederzeit über den Cookie-Widerruf anpassen.
"Es entsteht gerade ein Netzwerk zwischen vielen unterschiedlichen Initiativen" in Darmstadt und Umgebung, sagt Derbenev beim Besuch in der ECHO-Redaktion. Mit anderen Studierenden und Bekannten hat der junge Russe erste Hilfsgüter gesammelt, zwei Autos auf die Reise Richtung polnisch-ukrainischer Grenze geschickt, mit Kleidung, Decken, Lebensmitteln, Hygieneartikeln aus der Drogerie. Das alles, noch bevor der erste Bus-Konvoi mit dem Segen der Kommune auf die Reise ging.
SO HELFEN DIE KIRCHEN
Viele christliche Gemeinden und die beiden kirchlichen Dekanate bieten Unterstützung für Menschen in der Ukraine an. Das Katholische Dekanat in Darmstadt listet auf Anfrage eine Reihe konkreter Aktivitäten auf: Die Innenstadtkirche St. Ludwig organisiert ein Benefizkonzert, ebenso die Katholische Hochschulgemeinde Darmstadt. Die italienische katholische Gemeinde kooperiert mit den Franziskanern in Krakau zur Unterbringung von Flüchtlingen in Polen. Die Edith-Stein-Schule sammelt Spenden und kooperiert mit den Hilfsangeboten von Unicef. In St. Josef/St. Georg (Eberstadt) werden Spendensammelstellen vorbereitet.
Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse vom Evangelischen Dekanat Darmstadt bittet die Gemeinden schriftlich um "geeignete Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Menschen und Personen, die helfen." Neben dem ehrenamtlichen Engagement sei auch eine fachliche Begleitung von geflüchteten Menschen wichtig, so die Dekanin. Zudem helfe das Dekanat bei der Suche nach Sprachmittlern. (two)
Gut vernetzt wirkt der Student allemal. Viele der Ideen für humanitäre Hilfe verbreiten sich über soziale Netzwerke, sagt er. Während unseres Gesprächs meldet sich das Studierendenwerk Darmstadt an seinem Handy: Man könne für weitere Sachspenden Stauraum zur Verfügung stellen, ob er den noch brauche? Und ob. Auch, wenn Hilfsorganisationen inzwischen abraten von solchen Aktionen. Derbenev muss etwas tun.
Studium in Moskau
In Moskau hat er studiert, zunächst Sprachen, dann als Journalist gearbeitet für die international renommierte Agentur Reuters. Sein ehemaliges Institut an der Staatlichen Universität habe gerade einen Offenen Brief formuliert, eine Bitte um Beendigung des Kriegs. Via Internet unterschrieb auch der Darmstädter Student, als Nummer 171 auf der Liste. "Die meisten Leute meiner Generation sind gegen diesen Krieg", sagt er. Aber wer das in Russland, in Moskau äußert, der riskiere einiges.
Mit neuer Brutalität gehe die Polizei gegen die Proteste auf den Hauptstadt-Straßen vor, berichten Medien hierzulande. Derbenev ist nicht vor Ort, kann das nicht wirklich einschätzen. Aber er glaubt: "Brutalität ist bei der Polizei normal, darauf sind sie getrimmt." Es sei allerdings die Hoffnung, "dass die Proteste das Bewusstsein bei manchen Polizisten wecken: Warum zerre ich hier eigentlich eine 18-Jährige von der Straße und werfe sie ins Gefängnis?"
Die Konsequenzen, die den Protestierenden drohen, seien unterschiedlich. "Es gibt eine Strafe, dein Name wird notiert", sagt der Student. "Du kommst vielleicht nicht gleich ins Gefängnis, aber wenn sie dich ein zweites Mal festnehmen, wird die Strafe schon empfindlicher." Und das Unterzeichnen eines Offenen Briefs gegen den Krieg? Derbenev überlegt: "Unwahrscheinlich, dass man noch eine Stelle in der Öffentlichen Verwaltung bekommt."
Als er aufwächst, tobt zehn Jahre lang der Tschetschenien-Krieg. Kurz nach der Krim-Annexion beginnt sein Berufsweg. Die Erschießung des Kreml-Kritikers Nemzow auf offener Straße in Moskau, das Attentat auf Oppositionsführer Nawalny: Ereignisse, die sein Studium und die erste Berufszeit begleiten. Sowas prägt.
Er plant einen Ratgeber für Ukrainer
"Ich bin froh, mich jetzt tatsächlich engagieren und helfen zu können", sagt der junge Mann. Er tut, was Netzwerker tun: Menschen zusammenbringen, die spenden wollen und solche, die Stauraum anbieten können; Menschen, die ihre Wagen für Transportzwecke anbieten; Menschen, die übersetzen würden, wenn Geflüchtete die hiesige Amtssprache nicht verstehen. Derbenev selbst ist dabei, Infos für einen Ratgeber zusammenzustellen: Was tun, wenn ich in Deutschland ankomme? Welche Dokumente brauche ich? Welche Ämter sind wichtig? Welche Hilfe kann ich in Anspruch nehmen? "Eine Art Road Map" soll es werden, ein Plan für jene, die Orientierung brauchen in der Fremde. Und er selbst?
Hofft, in diesem Teil Europas seine Zukunft zu finden. Zwei Jahre sind es bis zum Master-Abschluss. Fürs Erste, sagt er, seien seine Eltern froh über seinen Studienort: "Gott sei dank, dass du in Deutschland bist!"
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 04.03.2022 um 02:30 Uhr publiziert.