Wie die Wärmewende in Darmstadt gelingen kann

Wie die Wärmewende gelingen soll, HDA-Professor Martin Führ zum Ausbau der Fernwärme.

Quartiersnetze sind ein Beitrag für den klimaneutralen Umbau der Stadt, sagt HDA-Professor Martin Führ. Die Schader-Stiftung lädt zu einem öffentlichen Dialogforum am Mittwoch.

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Darmstadt. Etwa 40 Prozent der treibhausgaswirksamen Emissionen stammt aus der Erzeugung von Wärme. Bislang gilt die Dämmung von Häusern als ultimative Antwort auf alle Klima-Umbaufragen diesbezüglich. In Gründerzeitvierteln wie dem Johannes- oder dem Martinsviertel mit seinen Altbauten funktioniert das aber nicht, stellt HDA-Professor Martin Führ fest. „Technisch nicht möglich und optisch eine Katastrophe” nennt er die Vorstellung, 20 Zentimeter Styropor um die Altbaugebäudehüllen zu packen. Das würde den Häusern schaden, die vor gut hundert Jahren einfach anders konzipiert wurden. Und dass die Eigentümer ihr Fischgrätenparkett rausreißen, um eine Fußbodenheizung im Estrich zu verlegen, hält er auch nicht für wahrscheinlich.

Öffentlicher Dialog zur Wärmewende

Martin Führ ist Mitglied des Nachhaltigkeitsnetzwerks „Syteminnovation für nachhaltige Entwicklung”, kurz s:ne an der Hochschule Darmstadt. Die Hochschule lädt gemeinsam mit der Schader-Stiftung für Mittwoch, 16. November, 18 Uhr, zu einem öffentlichen Dialogforum „Wärmewende in und um Darmstadt” ein. Dort wird nicht nur der Leiter des städtischen Klimaschutzamts, Dr. Patrick Voos, über den aktuellen Stand der kommunalen Wärmeleitplanung reden. Heike Boehler von der „LEA Landes-Energie-Agentur Hessen“ informiert über Fördermöglichkeiten. Und Harald Meyer vom Nachhaltigkeitsprojekt der HDA stellt die Ergebnisse des Projekts „Interaktive Wärmenetze” vor, an dem er mit Martin Führ und anderen forscht. Wärmenetze oder auch sogenannte Quartiersnetze sind sinnvoll, „einfach deshalb, weil es in den Gründerzeitvierteln in Darmstadt keine klimaneutrale Alternative gibt”, sagt Führ.

Die Grundlage zur Wärmeversorgung in diesen Vierteln sieht Führ in der Fernwärme des Müllheizkraftwerks – solange es noch Müll gibt, wie er sagt. Die vorhandenen einzelnen Gas- und Ölfeuerungen könnten durch ein Netz ersetzt werden, das Verbrauchsspitzen damit abfängt, dass Wärme zurückgeleitet wird ins Netz. Zumindest neue Gasthermen hätten diese Möglichkeit, stellt er fest. So könne man das Netz robuster – „neudeutsch resilienter” – aufstellen. „Das erleichtert auch diejenigen, die jüngst investiert haben”, sie müssten ihre neue Gastherme dann nicht abschreiben, sagt Martin Führ. Das Prinzip ist das selbe wie bei Photovoltaik-Anlagen, die überschüssigen Strom ins Netz einspeisen.

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Das Problem mit Fernwärme: Der Anschluss ist teuer. Die bestehende Fernwärmesatzung in Darmstadt stammt aus dem Jahr 1972. Seit 50 Jahren sind keine weiteren Stadtteile dazugekommen. Auch deshalb, weil die Satzung einen Anschluss- und Benutzungszwang umfasst, zusätzliche Heizungen wie Kaminöfen – oder klassische Kachelöfen in Altbauten – verboten sind und der Anbieter nicht gewechselt werden kann, also eine Monopolstellung innehat. „Eine Fernwärmeleitung rechnet sich nur über Jahrzehnte”, sagt Führ. Deswegen gebe es ja den Anschluss- und Benutzungszwang.

Krise sorgt für Erwägung von Fernwärme

Noch im Februar sei eine erneute Diskussion über Fernwärme „undenkbar” gewesen, sagt der Umweltrechtler. Nun aber gebe es zum einen durch die Gaskrise ein „Window of Opportunity”, ein Möglichkeitsfenster. Martin Führ, ganz praktisch: „Das wäre eine super Gelegenheit, in der aufgerissenen Frankfurter Straße schon mal Fernwärmerohre mitzuverlegen und den Eigentümern ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen können.” Schließlich sei die Straße insgesamt 15 Monate eine Baustelle. Das zweite Möglichkeitsfenster sei die Verpflichtung für Kommunen, eine kommunale Wärmeleitplanung aufzustellen. Und schließlich werden die Energiepreise immer weiter steigen. Führ hofft daher auf die Mitwirkungsbereitschaft der Hauseigentümer. Ziel müsse sein, alle Altbauviertel anzuschließen.

„Wenn man Netz hat, kann man auch Speicher einrichten”, sagt er. Im Sommer könne die Wärme aus den Gebäuden raus in den Speicher geleitet und im Winter aus dem Speicher wieder abgerufen werden. So funktioniert zum Beispiel auch die neue Klimatechnik der Ausstellungshallen auf der Mathildenhöhe. Der Speicher ist dort das alte Wasserreservoir unter dem Hochzeitsturm, das früher die Stadt versorgt hat. „Das geht mit Wärme und mit Kälte”, betont Führ. Es wird in aufgeheizten Städten ja immer wichtiger, auch Kühlung einzurichten.

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„In solchen interaktiven Quartiersnetzen hätte man ganz viele Möglichkeiten: Fernwärme, Erdwärme, Wärmespeicher”, sagt Martin Führ. „Ohne Netz ist das technisch auch möglich, aber es rechnet sich nicht.” Und für ihn ist auch klar, dass die Konzepte überzeugend sein müssen. „Mit Anschluss- und Nutzungszwang geht das auch, aber wir brauchen positive Stimmung in den Vierteln”, sagt er. „Gegen massiven Widerstand kann man das nicht durchsetzen.”

Die Fragestellung des Dialogabends bei der Schaderstiftung am Mittwoch – „Wärmeversorgung schnell und günstig klimaneutral, Wärmenetze für erneuerbare Energien auch im Bestand” – soll „einen Stein ins Wasser werfen und eine Debatte anstoßen”, sagt Führ. Er hofft, dass sich möglichste viele Bewohner aus diesen Vierteln daran beteiligen.