Wenn die Herkunft von Kunstwerken Fragen aufwirft

Provenienzforscherin Jennifer Chrost zeigt Stempel, die sie auf der Rückseite von Kunstwerken entdeckt hat. Sascha Lotz

Dr. Jennifer Chrost von der Zentralen Stelle für Provenienzforschung untersucht Drucke aus dem 18. Jahrhundert. Sie stammen aus dem früheren Besitz der Darmstädter Familie Ströher.

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DARMSTADT. Ein Jahr Zeit steht Dr. Jennifer Chrost für eine Mammutaufgabe zur Verfügung. Im Studiensaal der Graphischen Abteilung des Hessischen Landesmuseums untersucht die junge Expertin von der Zentralen Stelle für Provenienzforschung (Wiesbaden) Druckgrafiken aus dem 18. Jahrhundert. Sie stammen aus dem früheren Besitz der Wella-Familie Ströher und waren lange im Wella-Museum in der Berliner Allee aufbewahrt oder gezeigt worden.

Das Museum mit zuletzt 3000 Objekten existierte zwar erst ab Anfang der fünfziger Jahre, aber es ist möglich, dass sich unter den Sammlerstücken auch NS-Raubkunst befindet, also Kunst, von der sich Verfolgte des Nazi-Regimes, vor allem jüdische Familien, als Folge von Enteignung oder Zwangsverkäufen trennen mussten. Provenienzforscher wie Dr. Chrost prüfen die Herkunft der Werke, besonders jener, die zwischen 1933 und 1945 in den Besitz von Sammlern oder Museen gelangt sind.

Nach dem Verkauf der Haarkosmetikfirma Wella an Procter und Gamble im Jahr 2002 und nach dem Wegzug des amerikanischen Unternehmens im Jahr 2013 wurde die umfangreiche Sammlung zum Thema Schönheit, Friseurhandwerk und Körperpflege samt etwa 1000 Grafiken dem Landesmuseum übergeben. Auf den mitgelieferten Karteikarten sind die Namen der Kunsthändler oder Antiquariate vermerkt, aber manchmal steht darauf auch nur ein Fragezeichen.

Jeden zweiten Mittwoch im April ist "Tag der Provenienzforschung". Aus diesem Anlass führte Dr. Jennifer Chrost Museumsbesuchern vor, wie sie bei ihren Recherchen vorgeht. Zunächst zeigte sie Grafiken aus dem 18. Jahrhundert, auf denen Szenen aus einer Barbierstube abgebildet sind. Spannend wurde es, als sie die Bilder umdrehte. Alle durften auf den braunen, glatten Rückseiten nach Hinweisen auf einen Sammler, Händler oder Rahmenhersteller suchen. Gar nicht einfach. Immerhin konnte Dr. Chrost einen kleinen Stempel mit den drei ineinander verschachtelten Buchstaben H F und R identifizieren - dank der elektronischen Datenbank der Frits Lugt Collection der Fondation Custodia. Demnach war Frederic Robert Halsey einer der Sammler. Nach seinem Tod im Jahr 1918 wurden 13 Drucke aus seinem Besitz verkauft. Unklar ist, in wessen Hände der Druck gekommen ist, der später zum Wella-Museum gehörte.

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"Wir vergeben Ampelfarben", erklärte die Wissenschaftlerin. In diesem Fall leuchtet die Ampel gelb, Rätsel halb gelöst. Und es gibt weitere Fälle, bei denen "Grün" noch lange nicht in Sicht ist. Sie war sicher, das Wappen von Danzig als Bestandteil eines Stempels erkannt zu haben, doch dessen Logo ist weder dem dortigen Stadtarchiv noch dem Danziger Museum geläufig.

Auch der Rehstempel auf der Rückseite von 16 Druckgrafiken bereitet ihr Kopfzerbrechen. Ist es das Symbol für einen Mann, der Rehbein mit Nachnamen hieß? Eine neue Spur ließ Hoffnung aufkeimen: Alle Kunstwerke gehörten Erhardt Ströher, dem Sohn von Georg Ströher. Doch keiner aus der Familie kann sich an den Rehstempel erinnern. Unter einem Klebestreifen fand sie eine neue Spur: den Namen des Rahmenmachers aus Stockholm. Dort müsste die Recherche nun fortgesetzt werden.

Wenn sich herausstellt, dass ein Sammlerobjekt tatsächlich entzogenes Kulturgut aus jüdischem Besitz ist, werden die Erben ermittelt. Mit ihnen soll eine faire und gerechte Vereinbarung getroffen werden, sagte Dr. Chrost. Sei es die Rückgabe des Kunstwerks - oder sein Verbleib im Museum als Geschenk der Erben, versehen mit dem Vermerk über die einstige rechtswidrige Aneignung. Es geht nicht nur um späte Gerechtigkeit. "Alle geraubten Objekte haben auch einen emotionalen Wert".