Darmstädter Obdachlose: Wer steckt hinter den Hilfsaktionen?

Obdachlose und Arme holen sich am Europaplatz Essen ab.

Jeden Sonntag gibt eine private Gruppe auf dem Europaplatz warme Mahlzeiten, Kleidung, Hygieneartikel und Tierbedarf aus. Wer sind die Helfer und was motiviert sie?

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Darmstadt. Für Timo (49) kommt jetzt „das Highlight der Woche“. Der Europaplatz hinterm Hauptbahnhof ist für ihn und viele andere hier das Wohnzimmer – in Ermangelung einer eigenen Stube. Seit vier Wochen ist Timo, der anders heißt, aber in der Zeitung so genannt werden will, wieder obdachlos. Er mag nicht jammern, aber wenn einer zuhört, dann tut das doch gut. „Den Kopf in den Sand stecken, geht nicht. Mund abwischen, besser machen“, lautet sein Motto. Doch jetzt steht ihm erst mal der Sinn nach Kartoffelsuppe.

Und an diesem noch spätsommerlich lauen Sonntagmittag im Herbst tischen Helfer wieder auf: Petra Bier und ihre Mitstreiter tragen Warmhalteboxen und Brotkörbe heran. Eine Firma aus Bremen hat Einweggeschirr aus Zuckerrohr und Palmblättern gespendet. Von einem jugoslawischen Lokal aus Wolfskehlen kommt Lasagne. Einer hat Pasta mit Bolognese-Soße gemacht. Es gibt auch frischen Salat. Das aber sei eher selten, sagt Petra Bier. Eine mächtige Dose mit 50 Wiener Würstchen wird auch noch aufgemacht.

Auf Sachspenden und ehrenamtliches Engagement angewiesen

Derweil bilden sich zwei Schlangen. Bald schon stehen über 40 Leute beim Mittagessen. Noch mal 20 wollen Brot und Backwaren mitnehmen. Bis zu 120 seien es oft. Als das Neun-Euro-Ticket galt, schnellten die Zahlen sogar auf 150 hoch. Das Angebot am Europaplatz hat sich rumgesprochen. Früher habe es auch noch einen Unterschied gemacht, ob Monatsanfang oder Monatsende war, ob die Leute wieder Geld in der Tasche hatten oder eben nichts mehr. Das könne man vergessen. Der Andrang sei immer groß, sagt Petra Bier. Und die Gruppe privater Helfer aus Darmstadt, dem Odenwald und dem Ried komme an ihre Grenzen.

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Viele sind schon älter. Viele merken selbst, dass ihr Budget kleiner wird. Ein Verein, der Geld annehmen und Spendenquittungen ausstellen kann, sind sie ja nicht. Die Initiative ist auf Sachspenden und ehrenamtliches Engagement angewiesen. Vor über zehn Jahren habe es angefangen mit einer Dame, die auf dem Europaplatz Männer aus dem Übernachtungsheim der Diakonie am Zweifalltorweg sah. Sie brachte ihnen Kaffee mit. Bald kamen Duschgel, Zahnpaste, Rasierer dazu. Schließlich auch Essen.

Kostenloses Essen für Obdachlose, Rentner, Flüchtlinge

Mike Oestreicher, IT-Servicemanager aus Darmstadt, kann sich noch dran erinnern. Die Dame mit der Thermoskanne sei mittlerweile nicht mehr dabei. Er aber kümmert sich seit damals um die Menschen am Europaplatz. Es seien ja nicht nur Obdachlose, auch Rentner kämen zur kostenlosen Armenspeisung. Flüchtlinge aus der Ukraine und Syrien waren auch schon da. Einige kämen später als Helfer wieder: „Sie kochen auch was als Zeichen ihrer Integration.“ Nur mit den organisierten Bettlern aus Osteuropa habe es nicht geklappt. Es gab Ärger und schließlich den Ausschluss. „Das tut uns auch weh, aber es ging nicht anders“, sagt Mike Oestreicher.

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An diesem Sonntag geht es entspannt zu. Eine Woche vorher mussten sie fast vierzig Leute hungrig wegschicken, erinnert sich Petra Bier: „Wenn wir denken, es ist vorbei, kommt oft noch ein Schwung.“ Doch heute wird das Essen reichen. Und nächste Woche? Sind dann genug Mitstreiter verfügbar?

Jenny Konopacsek hat vor sieben Jahren auf Facebook von der Initiative Notiz genommen. Da war sie bei der Flüchtlingshilfe in Biebesheim. Dort hatten sie zu viele Winterjacken in großen Größen für viele schmale Geflüchtete. Also packte die Rentnerin eine Ladung in ihr Auto und fuhr zum Europaplatz. Klamotten verteilt die Obdachlosenhilfe schließlich auch. „So bin ich kleben geblieben“, sagt Konopacsek und schmunzelt. „Ich habe geglaubt, ich mache es ab und an – denkste.“ Es klingt nicht nach einer Beschwerde.

Zuverlässiges Engagement aus Nächstenliebe

Ohne zuverlässiges Engagement geht es ja auch nicht. Petra Bier kommt auch unter der Woche, bringt Konserven, die sich die Menschen am Europlatz auf dem Gaskocher warm machen können. Vor allem aber hört sie zu. „Ich will mich ganz normal unterhalten, will die Geschichten wissen.“ Harke, 50 und sehr krank, ist froh, wenn einer mal zuhört. „Die Geschichte der Menschen sehen die Leute ja sonst nicht.“ Und so erzählt er davon, dass er mal vier Jahre mit Behinderten gearbeitet hat, und von den Erfahrungen mit dem Jobcenter.

Auch für Timo sind die Besuche von Petra Bier wichtig. „Sie ist so herzlich, einer der nettesten Menschen.“ Warme Worte sind schon was hier draußen. Doch jetzt freut sich Timo aufs warme Essen. „Endlich wieder was, das wir nicht auf dem Gaskocher gemacht haben.“ Das schmeckt nicht nur anders. So eine Mahlzeit, die andere Menschen für einen aus Nächstenliebe zubereitet haben, das fühlt sich auch anders an.