Beim Vortragsabend mit den Psychiatern und Psychotherapeuten Stefan Weinmann und Volkmar Aderhold steht eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Beruf an.
DARMSTADT. (red). Zum 100-jährigen Jubiläum des Caritasverbandes Darmstadt lädt der Fachbereich Gemeindepsychiatrie/Caritas Krisendienst Südhessen für Mittwoch, 2. November, um 18.30 Uhr zu einem Vortrags- und Diskussionsabend unter dem Titel „Von der Vermessung der Psychiatrie zum Offenen Dialog“ mit den Psychiatern und Psychotherapeuten Stefan Weinmann und Volkmar Aderhold ein. Die Veranstaltung findet in der Orangerie statt. Der Eintritt ist frei.
In seinem Buch „Die Vermessung der Psychiatrie“ wirft der Autor Stefan Weinmann seinem eigenen Fachgebiet Täuschung und Selbsttäuschung vor. Er kritisiert, dass ein Großteil der modernen Psychiatrie als medizinische Disziplin sich unter einen so starken Erfolgsdruck stellt, sich an Krankheitsdefinitionen abarbeitet und der Illusion spezifisch medizinischer Therapien hingibt, aber gleichzeitig die psychosozialen Aspekte zum Nebenschauplatz macht, stellt die Caritas ihren Vortragsgast vor. Für ihn verleugnet die Psychiatrie weitgehend die Tatsache, dass Menschen einfach aufgrund objektiv und/oder subjektiv belastender oder gar traumatisierender Erfahrungen psychisch auffällig werden und Symptome entwickeln. Stattdessen mache sie den Patientinnen und Patienten weiß, sie litten an Erkrankungen des Gehirns mit biologischer Fehlfunktion, die spezifischer „Interventionen“ bedürften.
„Diese Psychiatrie sitzt der Illusion des medizinischen Modells auf und blendet die schädigenden Wirkungen auch unserer modernen Therapien aus. Das ist Hybris“, so der Buchautor. Dabei seien in der Moderne die Verläufe psychischer Erkrankungen insgesamt nicht besser geworden, und die Erkrankungen nehmen eher zu als ab. „Diese ernüchternde Erkenntnis mit den Fortschrittsparadigmen in Einklang zu bringen, schaffen viele Psychiater nur mit den Mitteln der Selbsttäuschung“, so die Meinung von Stefan Weinmann. „Wenn man die gegenwärtige Psychiatrie verstehen will, muss man verstehen, was in den Köpfen von Psychiatern und Psychiaterinnen vor sich geht“, sagt er und plädiert dafür, dass sich die Psychiatrie mehr den sozialen und auch den gesellschaftlichen Bedingungsfaktoren stellt.
In der Orangerie wird er die Themen seines Buches in einem Vortrag aufgreifen und in der Diskussion Visionen einer hilfreichen Psychiatrie benennen, schreibt die Caritas in ihrer Ankündigung. Hier knüpft der „Offene Dialog“ an, für den sich Volkmar Aderhold seit 15 Jahren intensiv einsetzt und Teams im psychiatrischen Arbeitsfeld hierfür qualifiziert. Entwickelt wurde die Methode in Finnland, wo es – wie in vielen anderen EU-Ländern – im Verhältnis etwa halb so viele Betten in der Psychiatrie gibt wie in Deutschland. Im Offenen Dialog geht es insbesondere um eine Haltung in der Begegnung mit Menschen in psychischen und sozialen Krisen, um eine spezifische Gesprächsführung und Einbeziehung der sozialen Lebenswelt.