„Upskirting“: Bilder an Darmstädter Schule sorgen für Unruhe

Jugendliche tauschen digitale Bilder und Botschaften aus, die teils auch über Gruppen in den sozialen Medien verbreitet werden. Die werden auch benutzt, um Mitschülerinnen und Mitschüler bloßzustellen – was strafbar sein kann. Foto: Schlitt

Darmstädter Schüler sollen illegal intime Motive ihrer Mitschülerinnen geteilt haben. Kein Einzelfall in Darmstadt.

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DARMSTADT. Kurz vor den Ferien traf es mal wieder ein Gymnasium. Jugendliche schickten über private digitale Kanäle Handyfotos herum, auf denen der Intimbereich einer Schülerin zu sehen war. Eine Straftat, wenn sich die Sache so bestätigen sollte. Und kein Einzelfall: Sich gegenseitig unter den Rock oder in die Bluse zu fotografieren, das Ganze dann herum zu posten, um jemanden bloßzustellen – das ist seit etwa 2014 als "Trend" zu beobachten.

An allen Schulformen sind solche Mobbing-Fotos heute unterwegs, beginnend ab Klasse fünf, sagen Darmstädter Medienfachleute. Sie kennen auch den aktuellen Fall.

Elftklässler sollen dabei intime Fotos in einer Whatsapp-Gruppe verbreitet haben. Das Staatliche Schulamt und die Polizei haben Kenntnis davon. Seit 2021 sind solche Vergehen („Upskirting“, „Downblousing“) im Strafgesetzbuch als „Verletzungen des Intimbereichs durch Bildaufnahmen“ festgehalten. Eine Polizeisprecherin sagt auf Anfrage: „Wir können bestätigen, dass in einem Fall eine Anzeige hierzu eingegangen ist“; die Ermittlungen laufen. Und weiter?

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Opferschutz müsse immer an erster Stelle stehen

In einem internen Brief teilte die Schule den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern mit, es habe „Anzeigen im Hinblick auf die Verletzung des Rechts am eigenen Bild“ gegeben. Ein Umstand, der „bestürzend“ für das Kollegium sei, „umso mehr, da wir den Schutzraum, den der Unterricht und die Schule bieten muss, durch diese Handlungen gefährdet sehen.“ Wer kann diesen Schutz künftig gewährleisten?

Nicht unbedingt die Lehrkräfte, sagt Dr. Sigita Urdze, engagierte Mutter und Vorsitzende des Stadtschulelternbeirats. Als Prämisse sei klar, „dass Opferschutz immer an erster Stelle stehen muss“. Sie sieht ein großes Wissensgefälle im Umgang mit solchen Vorfällen zwischen Eltern und Schule auf der einen sowie den Jugendlichen auf der anderen Seite. Am ehesten könnten da wohl die Schulsozialarbeiter mithalten. „Es geht aber nicht darum, Verantwortung nun an die Schule abzuschieben“, sagt sie.

Medienpädagogisch fachkundiges Personal müsste ran, sagt Urdze. „Das bringt allerdings auch nur etwas, wenn die Kiddies für sich einen Raum haben, um sich darüber auszutauschen“ – also ohne die Kontrolle von Lehrkräften. Speziell die Angebote des Instituts für Medienpädagogik (MuK) könnten da helfen, solche Konflikte zu bearbeiten. Die Fachleute des in Darmstadt ansässigen Instituts sind in der Tat schon am Werk – nicht nur an der Oberstufe.

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Fachleute rechnen mit hoher Dunkelziffer

Fotos mit sexualisiertem Inhalt zu posten, „das geht durch alle Schulformen“, sagt Ilona Einwohlt, Pädagogin am MuK. „Diese Vorfälle häufen sich“; am Institut gehen im Schnitt zwei bis drei Hinweise jeden Monat ein. Die Fachleute rechnen mit einer hohen Dunkelziffer.

Denn dem Trend zu sexualisierten Bildern und Botschaften können sich viele Kinder und Jugendliche nicht entziehen. Oft, sagt Einwohlt, bekämen sie die Nacktfotos einfach in ihre Whatsapp-Gruppe gepostet oder unerwünscht zugeschickt – und öffnen sie mit einem unbedachten Klick. Auf vielfältigen Wegen, in vielen Formen kommen die Sexbilder aufs Handy.

Die Mädchen und Jungen schicken Fotos in sexy Posen an ihren Liebsten oder ihre Liebste – dieses „Sexting“ will freilich erwidert sein, erklärt die Pädagogin. So entsteht eine Reaktionskette. Mit der Gefahr, dass die Bilder auch in ganz anderen Kanälen landen. Dann wird’s nicht nur peinlich, sondern eklig: Für Einwohlt fallen Vorfälle wie der aktuelle unter Cybermobbing. Problem: „Viele Frauen schämen sich“, so vorgeführt zu werden. Ihr Rat: „Sie müssen sich Verbündete suchen.“ Um den Spieß mal umzudrehen.

Vertrauenslehrer könnten da helfen, ebenso Schulsozialarbeiter. An einigen Schulen gibt es Medienbeauftragte, wenn es so heftig kommt wie jetzt am Gymnasium, ist auch der „Polizist vor Ort“, den es an jeder Schule gibt, eine gute Adresse, sagt die Fachfrau. Das Wichtigste: „Die betroffene Gruppe muss sich damit auseinandersetzen.“ Das kann beispielsweise über Rollenspiele laufen, schlägt Einwohlt vor. Nach dem Motto: „Versetz dich mal in ihre Lage.“ Hier müsse man den Täter zum Opfer machen. Sonst gebe es das typische Phänomen des „victim blaming“: Das – meist weibliche – Opfer bekommt auch noch die Schuld für den Übergriff.

Forderungen nach besserer Präventionsarbeit

Aufklärung tut Not, sagen die Fachleute vom MuK. Nicht nur im eher biologisch aufgefassten Sexualkunde-Unterricht, sondern auch beim Umgang mit digitaler Kommunikation. Peter Holnick leitet das Institut seit vielen Jahren, er sagt: „Wir brauchen ganz klar eine bessere Präventionsarbeit, nicht erst Gespräche, wenn wieder was passiert ist.“

Davon seien die meisten Darmstädter Schulen noch weit entfernt, heißt es beim MuK. Ilona Einwohlt nennt die Bernhard-Adelung-Gesamtschule als Vorbild: Die bietet ab der sechsten Klasse mediale Laborwochen, in denen die Schülerinnen und Schüler systematisch über die Wirkungsweisen der angesagten Kanäle aufgeklärt werden. Aber die meisten Schulen „machen mal in der Projektwoche vor den Zeugnisse was mit Medien“, ohne nachhaltige Wirkung.

Bleibt Einwohlts Rat an alle Kinder und Jugendlichen, die Nachrichten und Fotos von Unbekannten bekommen: „Öffne einfach niemandem die Tür, den du nicht kennst.“