Im Darmstädter Postviertel messen Bürger die Feinstaubbelastung jetzt selbst. Die Aktion ist Teil eines bundesweiten Netzwerks.
Von Lale Artun
Direkt vor der Tür am Vordach des Quartierladens in der Postsiedlung befindet sich die Messstation, die über einen Sensor den Feinstaub in der Luft aufzeichnet.
(Foto: Torsten Boor)
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BESSUNGEN - Feinstaub, Grenzwerte, Klagen, Diesel-Fahrtverbote – politisch ist gerade in Darmstadt bei diesen Themen eine Menge (Fein-)Staub aufgewirbelt worden. Dass die Bürger dabei nicht alles den gewählten Vertretern überlassen wollen, zeigt die Initiative einer Gruppe von Bewohnern des Postviertels um den dortigen Quartierladen. Eigenhändig wurde da ein funktionsfähiges Feinstaubmessgerät gebaut und in Betrieb genommen.
Seit Ende letzten Jahres hängt der Messer ziemlich unscheinbar – umschlossen nur vom Stück eines Fallrohres – am Vordach des Quartierladens. Der Bausatz stammt größtenteils aus dem Heimwerkermarkt, etwa 30 Euro hat das Ganze gekostet. „Die Technik ist das teuerste. Man braucht einen Feinstaubsensor und einen Einplatinenrechner“, erklärt Christine Coenen. Von ihr stammt die Idee zum Bau. Coenen lebt im Postviertel und ist gemeinsam mit ihrem Mann seit längerem im Verein des Quartierladens engagiert.
Deutlich erhöhte Werte an Silvester
Für das Ehepaar Coenen ist das Thema Technologie kein Neuland, so viel wird schnell klar: Sie ist Informatikerin, programmiert Virtual und Augmented Reality, ist Mitglied im Darmstädter Chaos Computer Club, er ist Professor für Creative Coding am Mediencampus der Darmstädter Hochschule.
Direkt vor der Tür am Vordach des Quartierladens in der Postsiedlung befindet sich die Messstation, die über einen Sensor den Feinstaub in der Luft aufzeichnet. Foto: Torsten Boor
Der Messer ist umschlossen von einem Stück Fallrohr. Der Bausatz stammt größtenteils aus einem Heimwerkermarkt. Foto: Torsten Boor
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Die Inbetriebnahme des kleinen Feinstaubmessgeräts war demnach kein Problem, kurz nach Weihnachten ging es bereits ans Netz und sendet Messdaten. Zum Jahreswechsel war ein rasanter Anstieg der gemessenen Feinstaub-Werte zu beobachten – mit über 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter deutlich über dem Grenzwert.
Das Projekt fußt auf einer bundesweiten Initiative der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF), einem Verein, der sich für Transparenz und Open Data einsetzt. Für die Aktion gibt es viel Lob, aber auch Kritik. Dorothee Saar, die Leiterin des Bereichs Verkehr und Luftreinhaltung der Deutschen Umwelthilfe, weist auf die Grenzen der Feinstaubmesser Marke Eigenbau hin: „Es ist einfach sehr, sehr schwierig, präzise Daten zu erheben“, so die Expertin. Die relativ einfache Technik der Geräte eigne sich daher nicht, um konkrete Grenzwertüberschreitungen festzustellen.
INITIATIVE
Bastian Ripper, Vorsitzender des Vereins um den Quartierladen, begrüßt die Initiative: „Wir machen das erst mal, weil es da diese Möglichkeit gibt“, erklärt er, „einfach aus Neugierde. Jeder kann diese Daten erheben, und jeder kann sie nutzen. Das ist ein wichtiges demokratisches Prinzip.“ (lart)
Auch Coenen ist klar, dass ihr kleiner Feinstaubsensor nicht die Genauigkeit eines professionellen Messgeräts bereitstellen kann. Dennoch sieht die Darmstädterin in der deutschlandweiten Aktion einen großen Nutzen: „Selbst wenn die jetzt nicht super genau sind, kann man durch die schiere Menge an Daten klare Tendenzen erkennbar machen.“ Das kann auch Dorothee Saar bestätigen: „Es kann beispielsweise gezeigt werden: Wo sind die Belastungen grundsätzlich besonders hoch?“ Außerdem werde durch die Vielzahl an Erhebungen deutlich, dass es nicht nur an einzelnen Hotspots Belastungen gebe, sondern dass erhöhte Feinstaubwerte ein grundsätzliches Problem seien.
Ähnlich sieht das Dr. Jürgen Frick. Der Leiter des Referats Klima, Komfort und Schadstoffbelastung der Materialprüfanstalt der Universität Stuttgart hat die selbst gebauten Geräte mit einem professionellen Referenzgerät verglichen. Das Ergebnis: Die günstigen Sensoren sind laut Frick relativ zuverlässig, „die sind nicht schlecht“, wie der Experte erklärt, wenngleich sie nicht alle Messwerte liefern könnten, die ein professionelles Gerät zur Verfügung stelle: „Man muss aufpassen mit der Interpretation, aber eine Tendenz kann man geben.“ Auch Frick betont hierbei die Relevanz der zur Verfügung stehenden Datenmenge: „Allein im Raum Stuttgart sind das ja inzwischen über 600 Sensoren“, so der Fachmann. „Und da haben Sie schon einen Vergleich. Durch die Masse an Daten erhalten Sie vielerorts einen Mittelwert, der sicherlich nutzbar ist.“
Ein Blick auf die durch die OKF veröffentlichte Feinstaubkarte zeigt: In Darmstadt und Umgebung sind zur Zeit bereits an die 20 Messgeräte registriert und senden stetig Daten, bald wird auch der Sensor am Quartierladen dort verzeichnet sein.
Und die Postviertler? Was haben sie vor, mit ihren Messdaten? Geht es auch darum, eine politische Wirkung für Darmstadt zu erzielen? „Nee“, Coenen winkt ab. „Dazu bin ich auch gar nicht qualifiziert. Mir geht’s jetzt erst mal darum, zu sehen, was Sache ist.“