„One Billion Ring“ auch in Darmstadt: Auf dem Theatervorplatz wurden Schrittkombinationen eingeübt. Dann zog der Demonstrationszug über den Luisenplatz bis zum Ludwigsplatz. Foto: Dagmar Mendel
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DARMSTADT - „Wir stehen hier für null Toleranz gegenüber Gewalt an Mädchen und Frauen, in Darmstadt, in Deutschland, in Europa, weltweit!“, sagte Sozial- und Frauendezernentin Barbara Akdeniz in ihrer Rede auf dem Ludwigsplatz am Dienstagnachmittag. „One Billion Rising“ ist eine Bewegung, die seit Jahren darauf aufmerksam macht, dass laut Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen (Unifem) sowie UN jede dritte Frau gewalttätige Übergriffe erlebt. „Noch heute werden weltweit eine Milliarde Frauen („one billion“) Opfer von Gewalt; jede dritte Frau wird geschlagen, vergewaltigt, genitalverstümmelt, zwangsverheiratet, zur Prostitution gezwungen, erniedrigt und unterdrückt.“
Jedes Jahr am Valentinstag
Weltweit finden die Tanz- demos am Valentinstag statt, allein in Deutschland in zahlreichen Städten. In Darmstadt nahm die Demonstration ihren Anfang auf dem Georg-Büchner-Platz, wo eine „Generaltanzprobe“ stattfand zu dem englischsprachigen Song „Brake the Chain“ (Sprenge die Ketten), der als eine Art Hymne für die One-Billion-Bewegung gilt. Auf ihn wird getanzt, und unter fachkundiger Anleitung konnten die Frauen, Kinder und wenigen Männer auf dem Theatervorplatz die Schrittkombinationen einüben. Dann zog der Zug weiter, über den Luisenplatz bis zum Ludwigsplatz – dort waren rund 170 Menschen zur Kundgebung und noch einmal zum Tanzen versammelt.
Ka Chung, ein junger Mann, der mit einer Gruppe vom Jugendhaus „Huette“ gekommen war und ein großes Transparent hielt, sagte, dass er die Gewalt gegen Frauen als präsenter wahrnehme als die gegen Männer – deshalb sei er hier. „In anderen Ländern, etwa im asiatischen Raum, ist die Unterdrückung sogar gesetzlich verankert.“
Steffi und Esra, zwei junge Frauen, die in der Jefferson-Siedlung arbeiten, haben gleich einige geflüchtete Frauen mitgebracht – „auch einige Männer wollten mitkommen“, sagten sie. Und tanzen habe etwas friedliches. Es sei deshalb eine schöne Art und Weise, auf die Problematik hinzuweisen. Esra meinte, es gehe aber noch weiter. „Tanzen hat etwas Freizügiges; es zeigt auch, dass wir cool sind mit unseren Körpern, selbstbestimmt“.
Ellen (78 Jahre) und ihre Freundin Gerlinde Bauer, Anfang sechzig, haben sich der Tanzdemo aus Solidarität angeschlossen. Sie kennen die Frauenbewegung aus früheren Zeiten. Es habe sich zwar viel geändert, aber Gleichheit herrsche immer noch nicht – auch in Deutschland, so ihre Meinung.
„Die ungleiche Verteilung von Geld und Macht ist die Basis von Abhängigkeitsverhältnissen“, darauf verwies Christiane Schär vom Frauenbüro am Rande der Demo – und damit auf die strukturelle Gewalt in unserer Gesellschaft.
„Gewalt hat eben viele Gesichter“, meinte Alex Kiefer, Studentin der Sozialen Arbeit, die sich mit Gender-Studien befasst. Es fange schon an mit dem Kauf von Klamotten für ihre kleine Tochter: das bauchfreie T-Shirt für kleine Mädchen als Ausdruck früher Sexualisierung.
Solidarität zeigen für alle Gewaltopfer, Mädchen wie Jungen, die als billige Arbeitskräfte, Dienstboten oder sexuell ausgebeutet würden, so Susanne Müller, die für das Jugendamt der Stadt sprach, die zur Tanzdemo aufgerufen hatte. „Eingreifen, unterstützen, helfen – nicht wegsehen“, sagte sie, „immer wenn Unrecht geschieht, bis hin zum mobben in den sozialen Netzwerken.“
Ein paar Zahlen belegen: Von 175 Delikten häuslicher Gewalt 2015 waren 29 Opfer männlich, „dabei hat sich die Zahl der Übergriffe mit den Flüchtlingen nicht signifikant erhöht“, führte Akdeniz aus. „Sexuelle Übergriffe gehen durch alle Schichten.“