Mittagspause zum Weltfrauentag am Freitag auf dem Luisenplatz. Es ist fünf vor zwölf, als die Frauen in einem wüsten Regenschauer zum Stuhlstreik Platz nehmen.
(Foto: Guido Schiek)
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DARMSTADT - Frauentag geht auch schöner als am Freitag um Viertel vor zwölf auf dem Luisenplatz. Böen peitschen den Regen übers Pflaster und es ist lausig kalt. Vier Frauen haben sich an den Fahnenstangen vor der Sparkasse versammelt und warten ab, ob sich Mitstreiterinnen von diesem Wetter etwa abschrecken lassen. Tun sie natürlich nicht, am Ende werden es rund 30 Frauen sein, die der Unbill trotzen.
Noch im Regen werden die Klappstühle ausgefahren und Transparente ausgepackt, ruckzuck hängt eines zwischen den Fahnenstangen: „Wenn wir streiken, steht die Welt still“. Es geht um die Gleichstellung von Lohn- und der Sorgearbeit in Haushalt, bei der Kindererziehung oder in der Pflege. Und es geht um die Abschaffung der Abtreibungsparagrafen 218/219a im Strafgesetzbuch.
„Zu dem Thema bin ich schon als junge Frau in den Siebzigern auf die Straße gegangen“, sagt Heidi Kaiser zu ihrer Streiknachbarin. „Nie hätte ich gedacht, dass ich als alte Frau zum selben Thema nochmal gehen muss!“ Die 73 Lebensjahre sieht man Heidi Kaiser nicht an. „Ich bin zwar erst 67, aber ich bin auch auf die Straße gegangen“, sagt ihre Streiknachbarin Gerti Wolf. „Und wir hatten gedacht, die Errungenschaften hätten wir – aber jetzt stellen wir fest, wie fragil das alles ist und wie sich das alles zurückdreht.“
Auf Gesundheitsminister Spahn sind beide dementsprechend schlecht zu sprechen. Und auch das eint sie mit den Veranstalterinnen vom Frauen&Queers-Streik-Komitee, die beklagen, dass das 219a-Reförmchen zum ärztlichen Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche „meilenweit von unserer Forderung nach Abschaffung entfernt“ sei. Allesamt junge Frauen sind es, die zu dem Stuhlstreik fünf vor zwölf aufgerufen hatten. Und nachdem Viertel nach zwölf das Regenband durch ist, sitzt es sich im Trockenen sogar so gut, dass sich Grüppchen bilden, die sich fleißig austauschen.
Im Herbst hat sich das Frauen&Queers-Streik-Komitee Darmstadt gegründet, berichtet Aktivistin Petra Baumann, parallel zu vielen anderen in der Republik und, ausgehend von Südamerika, auch weltweit. Diese Form von Vernetzung und auch die neuen Formen von Protest begeistern die Demonstrantinnen Heidi Kaiser und Gerti Wolf. Sie hätten das Gefühl, dass sich bei den jungen Leuten wieder ein politisches Bewusstsein entwickelt und sich neue Ideen verbreiten, sagen beide. Das sehe man auch an Greta Thunberg mit ihrer inzwischen globalen „Fridays or Future“-Kampagne – natürlich finden die beiden erfahrenen Frauenrechts-Aktivistinnen das einfach prima.
„Unsere Probleme sind unterschiedlich“, spricht eine der Veranstalterinnen ins Megafon. „Aber wir sind viele und wir sind solidarisch und wir halten zusammen!“ Dafür gibt‘s Applaus, ein wenig Wärme ums Herz und da steht sie für einen Augenblick still, die Welt. Frauentag ist eben letztlich immer schön.