Staufrei und unfallfrei durch die Tempo-30-Zone

So funktioniert das Miteinander: Fußgänger queren die umgebaute Frankfurter Straße in Höhe der Merck-Zentrale, Kraftfahrer zuckeln mit Tempo 30 über ihre verringerten Spuren – das könnte als Vorbild für andere große Straßen dienen. Fotos: Guido Schiek

Stau- und unfallfrei kommen Autofahrer, Fußgänger, Radler und auch Straßenbahnfahrer durch die neu gestaltete Frankfurter Straße: Das ist die Bilanz ein gutes Jahr nach dem...

Anzeige

DARMSTADT. Stau- und unfallfrei kommen Autofahrer, Fußgänger, Radler und auch Straßenbahnfahrer durch die neu gestaltete Frankfurter Straße: Das ist die Bilanz ein gutes Jahr nach dem Start der neuen Verkehrsführung in Höhe der Merck-Zentrale. Dabei war das Projekt vonseiten vieler Bürger mit Argwohn und Ablehnung begleitet worden. Rückbau der Autospuren, Tempo 30, freies Überqueren für Fußgänger ohne Ampel: Das funktioniert, sagen heute selbst die schärfsten Kritiker – und sehen hier ein Beispiel für andere viel befahrene Straßen in der Stadt, auf denen der Verkehr gefährlich ist.

Ute Dupper zählt zu denjenigen, die sich vehement gegen die Neuordnung aussprachen. „Es funktioniert besser als erwartet“, sagt sie heute. Die Arheilgerin hatte mit der Bürgerinitiative Igab rund 3800 Unterschriften gesammelt gegen das Projekt von Stadt und Merck. Was sie antrieb: „Ich hatte das Schreckgespenst vor Augen: Hier queren rund 11 000 Fußgänger jeden Tag die Fahrbahn ohne Ampelregelung. Wir dachten: Die halten dann ja dauernd den Verkehr auf, und wir kommen aus Arheilgen gar nicht mehr in die Stadt hinein.“ Doch die vielen Fußgänger, die in der Planung berechnet waren, „tauchen heute gar nicht mehr auf“, so die gefühlten Werte. Beziehungsweise: Sie kommen so geschmeidig über die neuen Mittelinseln und Spuren, dass keine Behinderung entsteht – und keine Gefahr. Das bestätigt auch die Polizei.

Angestellte äußern sich positiv

Von Januar 2016, als der Umbau noch lief, bis Ende 2017 gab es keinen einzigen Unfall, bei dem Radler oder Fußgänger beteiligt waren, sagt die Polizei. Fünf leichte Auffahr-Unfälle mit Blechschaden zählten die Beamten in der neuen Tempo-30-Zone – das war’s. Auch seither habe die Polizei „kein auffälliges Unfallgeschehen“ festgestellt. Die Beschäftigten des Unternehmens melden ähnlich Erfreuliches.

Anzeige

Die Angestellten, sagt die Firma auf Anfrage, „äußern sich positiv über das flüssige Queren und freuen sich über die gestiegene Rücksichtnahme vieler Autofahrer“. Das Prinzip des „freien Floatens“ ohne ampelgeregelten Übergang, wie es die Fachleute erdacht hatten, funktioniere an dieser Stelle. Und der Autoverkehr?

Auf einem 170 Meter langen Abschnitt müssen sich die Kraftfahrer hier auf einer Spur pro Fahrtrichtung einfädeln. Beim starken Durchgangsverkehr auf der Frankfurter Straße hatten Kritiker üble Rückstaus befürchtet. Doch auch die scheinen auszubleiben.

Der einspurige Verkehr fließt sogar flüssiger, so die Stadt

Der Umbau, teilt die Stadt Darmstadt auf Anfrage mit, habe sogar „zu einem flüssigeren Verkehrsablauf geführt“. Lediglich vormittags und nach Feierabend, wenn Tausende Mitarbeiter von Merck auf die Straße drängen, könne es „zu geringfügigen Wartezeiten kommen, die aber weit entfernt sind von dem, was man unter Stau versteht“. Da seit der Umgestaltung „keine Meldungen über besondere Verkehrssituationen bekannt wurden, werden auch keine speziellen Daten erhoben“, sagt die Stadt.

Andere Autofahrer nehmen lieber einen Umweg über Kranichstein in Kauf

Anzeige

Nicht alle Arheilger unterschreiben das. Aktivistin Ute Dupper bekam bei einer Rundfrage im Bekanntenkreis zu hören, dass manche Autofahrer „seit dem Umbau zu Stoßzeiten lieber über Kranichstein fahren“, also einen größeren Umweg in Kauf nehmen. Sie selbst versuche, „die Hauptverkehrszeiten mit dem Auto zu vermeiden“.

Auch die SPD Arheilgen hatte sich vor Baubeginn skeptisch geäußert. Der Vorsitzende Hanno Benz sagt heute, er fahre diese Strecke zwar nicht selbst, aber er höre „immer wieder, dass es zu Stoßzeiten schwierig ist, da durchzukommen“. Aber auch Posi- tives nehme er wahr. Was ihn zu der Forderung bewegt: „Wenn das so gut funktioniert, muss die Stadt weitermachen.“ Bis zum Nordbahnhof wäre für ihn der nächste Abschnitt der Frankfurter Straße, der „neu gestaltet werden muss – wie und von wem, das muss dann geklärt werden.“

Die Umgestaltung des öffentlichen Straßenraums hatte Merck selbst in die Hand genommen. Einschließlich der umgesetzten Haltestellen hat das Unternehmen nach eigenen Angaben rund vier Millionen Euro ausgegeben.