Sonderbare Müllfunde am Darmstädter Stadtrand

Die Müllcontainer am westlichen Ende der Rheinstraße quellen häufig über. Foto: Guido Schiek

An der Darmstädter Stadtgrenze sammeln sich Wegwerf-Waren der besonderen Art. Warum ausgerechnet hier? Eine Spekulation.

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DARMSTADT. Nicht Stadt ist hier, nicht Land. Ein Flecken zwischen Waldrand, Hundeübungsplatz und drei Autobahnen. Rheinstraße, Höhe Siedlung Tann: Automobile Reisende brausen hier von sonstwoher in Richtung einer kleinen Großstadt, oder sie brausen aus der Stadt hinaus in Richtung sonstwohin. Passieren ein Grundstück von Größe einer Kleingarten-Doppelparzelle. Am Straßenrand fünf Müllcontainer, überquellend. Dahinter, daneben, drumherum: auch jede Menge Müll. Die Reisenden aber fahren an die Seite, laden weiteren Müll ab, von Matratzen bis zu Kleinwagen. Wieso hier?

Nicht Stadt, nicht Land. Aber auch keine Deponie

Gern würde man die Stadt-Soziologie befragen. Die weiß aber auch nicht weiter. Sagt nur Sachen wie: „Ein- und Ausfallstraßen in Metropolen sollen vor allem eins: Menschen und Waren schnell in die Stadt befördern.“ Schnell muss man hier aber offenbar auch so einiges an Waren loswerden. Raum für Spekulationen: ein Fall von Selbstreinigung durch Schmutzabgabe? Muss man, bevor man in die hochkultivierte Polis einfährt, bevor man das historische Rheintor wenn schon nicht durchschreitet, so doch würdevoll passiert, sich noch rasch unliebsamer mitgeführter Gegenstände entledigen?

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Für die Gegenrichtung gilt dies ganz gewiss, nur umgekehrt. Wer an den grünbraunen Restflächen der Autobahnauffahrten nur mal kurz hinschaut, der sieht einen lückenlosen Bericht der vergangenen Großstadt-Nächte. Leergesoffene Büchsen sogenannter Energy-Drinks, aufgeweichte Burgerkartons, durchgetanzte Sneaker: Hier wird alles an Ballast abgeworfen, was man in der Stadt verbraucht und durchgebracht hat. Erst dann geht’s wieder raus aufs Land, gleichsam geläutert und befreit vom Dreck der Massen- und Konsumgesellschaft. Warum aber einwärts das gleiche Bild? Das gibt Rätsel auf. So fallen neben dem üblichen Rotz in Tüten auch Großgeräte auf, die man kaum zufällig im Kofferraum mit sich führt und dann noch an diskreter Stelle abwerfen muss. Ein Radioempfänger. Ein Bürodrucker massiver Bauart. Aktivboxen in eher passivem Status. Ein Flachbild-Fernsehgerät jüngerer Bauart. Ein elektrisch betriebener BMW Z8, maßstäblich nachgebildet für den Einsatz im Kinderzimmer. Motor fehlt, sonst noch prima.

Man kann sich die Freude vorstellen, mit der diese Gerätschaften angeschafft wurden. Ein neues Radio! Ein Drucker, endlich! Ein Fernseher, auf dem man bei Sportsendungen auch mal den Eishockey-Puck erkennen kann! Und dann natürlich der erste BMW für die kleinen Racker! Die Freude hält freilich genau bis zum nächsten Black Friday der Elektronikmärkte. Dann muss der nächste Receiver her, der Flachbild-TV mit noch größerer Diagonale. Der BMW ist ausgereizt. Wann kommt eigentlich der „Tesla 4 Kids“ raus?

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Schwupps wird so aus der angesagten Trend-Technologie ein schnelllebiges Lifestyle-Accessoire. Haltbar wie Fallobst, nur ohne lecker. Zum Verschrotten auf dem Bauhof aber zu schade, eigentlich. Wohin damit? Genau.

Nicht Stadt, nicht Land ist hier. Aber auch keine Deponie. Nicht irgendwie hingeworfen sind die ausgemusterten Dinge hier: Wie in einem Basar werden die Preziosen ausrangierter Unterhaltungstechnik auf dem Grundstück zwischen Straße und Waldrand präsentiert. Ein bisschen wie die abgelegten Bücher, Filmkassetten und Teegarnituren, die das putzige Völkchen im Martinsviertel am Straßenrand zum Mitnehmen abstellt. Nur eben in groß und teuer. Einen Tag nach dem Besuch des Reporters ist der Fernseher weg, der Z8 auch. Den Rest räumt regelmäßig der kommunale Mülldienstleister ab. Bis zum nächsten Wegwerf-Basar.