Sommerinterview: Frau Akdeniz, woher nehmen wir Erzieher?

Bürgermeisterin Barbara Akdeniz wollte sich für ihr Sommerinterview in der Lincoln-Siedlung treffen: "Weil man dort so viele meiner Themen wiederfinden kann". Vor-Ort-Sein mit dem Quartiersmanagement, zum Beispiel, aber auch die fehlenden Fachkräfte für die drei Kitas auf Lincoln.
© Guido Schiek

Die dienstälteste Stadträtin, Sozialdezernentin Barbara Akdeniz, spricht über die Zusammenarbeit mit dem neuen OB, Armut in Darmstadt und darüber, ob unsere Kitas bald leer stehen.

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Frau Akdeniz, was sagt die Grande Dame unter Darmstadts Stadträten denn: Wie klappt es nach ein paar Wochen Zusammenarbeit mit unserem neuen Oberbürgermeister?

Bis jetzt kann ich noch recht wenig sagen. Wir haben bislang einige Gespräche geführt, um Zuständigkeiten klar zu benennen und politische Positionen auszutauschen. Wir hatten im Magistrat die letzten Jahre eine sehr vertrauensvolle und kollegiale Zusammenarbeit, das ist natürlich noch nicht da. Das muss sich erst aufbauen. Da sind wir alle gefordert. Wichtig ist mir, dass die Position der Bürgermeisterin ein Gewicht hat.

Ihre Rolle ist ein bisschen herausgehoben: Sie sind als Bürgermeisterin Hanno Benz‘ direkte Vertreterin. Ist das schwieriger, wenn man nicht das gleiche Parteibuch hat?

Natürlich. Wir müssen erstmal rausfinden, wo wir einer Meinung sind. Und wo wir gar nicht auf einer Linie sind. Bei Vertretungsregelungen ist es so, dass ich nicht nur schöne Grüße ausrichte, sondern mich auch politisch positioniere, wenn ich für den Magistrat spreche. Da habe ich noch keine Erfahrung, wie der Oberbürgermeister und ich damit in der Praxis umgehen werden. Gleichzeitig werde ich meine politische Linie einbringen, das ist ja klar. Wir Dezernenten und Dezernentin führen unsere Dezernate in eigener Verantwortung, wir sind keine Mitarbeitende des OBs, das ist in der Hessischen Gemeindeordnung klar geregelt.

Erst fällt Barbara Akdeniz das Umweltamt weg, jetzt das Sportamt

Es gibt in der neuen politischen Konstellation eine Veränderung, die Sie ganz direkt betrifft: Sie haben das Sportamt abgegeben. Noch gar nicht lange her, da hatte Ihnen OB Partsch auch das Umweltamt weggetauscht. Langweilig wird es aber trotzdem nicht, oder?

Auf keinen Fall, es gibt sehr viel zu tun. Trotzdem: Beim Umweltamt war es in meinem Sinne und abgestimmt, weil es bei Michael Kolmer und seinem Dezernat gut gepasst hat. Das ist beim Sportamt nun anders, das ist mir weggenommen worden. Das bedauere ich, weil der Sport zu den Bereichen Kinder, Jugend und Soziales so gut passte. Und wir einige Projekte angestoßen haben, die nun in den Sozialbereich hineinwirken. Zum Beispiel Angebote für Kinder in Lincoln, die vom Verein Rot-Weiß übernommen werden oder Inklusionsprojekte.

Die Pandemie, die alle sozialen Bereiche sehr belastet hatte, ist vorbei. Dafür ist die Inflation ein ernstes Problem für viele Menschen geworden. Und es kommen wieder mehr Geflüchtete in Darmstadt an. Was ist derzeit die größte Herausforderung für die Sozialdezernentin der Stadt Darmstadt?

Immer wieder unsere Angebote so bekannt zu machen, dass sie von den Menschen, die Unterstützung in unterschiedlichen Lebensbereichen brauchen, auch gefunden werden, ob das die Schuldnerberatung ist oder präventive Beratungsangebote. Das ist leider nicht immer der Fall, aus drei Gründen: Weil die Struktur erfordert, dass die Menschen zu den Angeboten kommen müssen und nicht die Angebote zu den Menschen kommen. Weil vieles dabei mit Scham zu tun hat. Und weil die Menschen von den Angeboten gar nichts wissen. Alle drei Bereiche müssen wir bearbeiten, weiter in die Sozialräume gehen, vor Ort sein und informieren.

Dafür braucht man aber Manpower.

Die haben wir in vielen Bereichen bereits. Wir haben z. B. in acht Quartieren hauptamtliche Gemeinwesenarbeiter*innen oder Quartiersmanager*innen, an die sich die Menschen direkt wenden können und die über alle Angebote informieren. In vier Stadtteilen haben wir Gemeindepflegerinnen, die den Zugang zu Gesundheitsangeboten zeigen. Und es gibt die Ämterlotsinnen, die an den Besuchsdienst für Ältere gekoppelt sind. Den letzten Schritt aber müssen immer die Menschen gehen. Denn unser System ist leider fast immer antragsbasiert.

Daran ändern Sie als Sozialdezernentin auch nichts ...

... nein, das ist durch den Bund geregelt. Was wir in Darmstadt aber gemacht haben, und da sieht man, dass schon was möglich ist: Auf unsere Teilhabecard ist das Bildung- und Teilhabepaket digital automatisch drauf gebucht. Und all die zusätzlichen Angebote sind drauf, etwa der freie Eintritt für die Schwimmbäder ganzjährig oder Musikunterricht an der Akademie für Tonkunst. Das kriegen Darmstädter Kinder automatisch.

Wie viele Darmstädter haben die Teilhabecard denn?

Etwa zehn Prozent hätten Anspruch darauf. Genutzt wird sie leider aktuell erst von der Hälfte, hier informieren wir immer wieder intensiv.

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Ihr Kollege André Schellenberg hat in seinem Sommerinterview deutlich gemacht, dass es mit dem Haushalt für 2024 richtig schwierig wird. Der Sozialetat ist der größte der Stadt. Wo wehren Sie den Rotstift besonders vehement ab?

90 Prozent des Sozialetats sind für Pflichtaufgaben bzw. Transferleistungen hinterlegt. Es gibt da also wenig Spielraum. Und es ist keine Binsenweisheit, dass präventive Angebote uns vor weiteren Kosten schützen. Wenn wir beispielsweise eine Obdachlosenhilfe anbieten würden ohne pädagogische Begleitung, wie andere Städte es tun, würden sie ewig in den Unterkünften verbleiben. So könnte ich jetzt vieles nennen. Es ist nicht so: Wir tun eine Sache nicht und sparen. Sondern so: Wir tun eine Sache nicht und haben dadurch Konsequenzen und Folgekosten.

Da ist wirklich gar nichts, wo Sie sparen könnten?

Die Haushaltssperre gilt natürlich bei uns auch. Es geht also um die Frage, wie viele neue Angebote dann noch geschaffen werden können. Ich sage aber immer, eine Stagnation ist ein Rückschritt. Corona, Krieg und Inflation haben es gezeigt: Auf diese Herausforderungen müssen wir mit neuen Angeboten antworten. Wir müssen mit den Umständen arbeiten, in denen die Menschen sich befinden. Die größere Frage wird jetzt also sein, wie wir auch Förderungen akquireren können, vom Bund oder durch EFS-Mittel, da haben wir zum Beispiel unseren kommunalen Corona-Folgenfonds durch zusätzliche Fördermittel in Millionenhöhe aufgestockt. Für Nice-to-have allerdings ist gerade nicht die richtige Zeit.

Nennen Sie ein Beispiel für ein Nice-to-have zu anderen Zeiten?

Ich wüsste eins, aber lieber nicht.

Die Luise-Büchner-Kita auf Lincoln ist eine von drei Kindertageseinrichtungen in dem neuen Quartier. Doch genug Erzieher zu finden ist schwierig.
Die Luise-Büchner-Kita auf Lincoln ist eine von drei Kindertageseinrichtungen in dem neuen Quartier. Doch genug Erzieher zu finden ist schwierig.
© Guido Schiek

Kommen wir zu den Kitas: Die Stadt hat in den vergangenen Jahren viele Einrichtungen gebaut, um dem Rechtsanspruch gerecht zu werden. Bei Ü3 hat Darmstadt eine Versorgungsquote von 105 Prozent, bei U3 immerhin auch bei gut 46 Prozent. Aber jetzt rollt das nächste Problem an: Die Erzieherinnen und Erzieher fehlen. Was tun?

Das ist ein gravierendes Thema. Das nicht nur Darmstadt betrifft, sondern bundesweit ein Problem ist. Wir können jetzt schon nicht alle vorhandenen Plätze belegen. Beispiel Lincoln: Wir haben dort drei neue Kitas gebaut, was für ein neues Quartier absolut nötig ist, aber das Personal fehlt. Deswegen kann die aufgebaute Infrastruktur nicht voll in Betrieb genommen werden. Wir arbeiten mit etlichen Fachleuten an dem Problem. Wir bilden aus, und zwar auch bezahlt und berufsbegleitend. Und wir versuchen, die Fachkräfte zu halten. Aber das sind ja offengestanden keine besonders kreativen Ideen. Die Fachkraftkampagne läuft, um auf die guten Arbeitsbedingungen bei der Stadt aufmerksam zu machen.

Sind die denn so gut, wenn doch nicht genügend Fachkräfte in städtischen Kitas arbeiten wollen? Oder zahlt Darmstadt einfach zu schlecht?

Jetzt kommt’s natürlich: Wenn wir alle Stellen besetzt haben, haben wir optimale Bedingungen: einen guten Betreuungsschlüssel, höhere Vorbereitungszeiten, Fortbildungsmöglichkeiten. Es fehlen aber in unseren 30 Kitas derzeit ca. 40 Fachkräfte. Und dann können wir diese Freiräume nicht nutzen, weil wir die Basics erstmal hinbekommen müssen. Da müssen wir aufpassen, dass die Katze sich nicht in den Schwanz beißt. Am Geld liegt es glaube ich nicht hauptsächlich. Unsere Fachkräfte werden tarifkonform nach SuE 8b bezahlt, das sind je nach Berufserfahrung zwischen 3100 und 4500 Euro brutto.

Auch das umgebaute Strabag-Verwaltungshaus im Verlegerviertel dient jetzt als Unterkunft für Geflüchtete.
Auch das umgebaute Strabag-Verwaltungshaus im Verlegerviertel dient jetzt als Unterkunft für Geflüchtete.
© Sascha Lotz

Anderes brandheißes Thema: Andere Kommunen schreiben Brandbriefe, weil sie mit der Unterbringung und Integration geflüchteter Menschen Schwierigkeiten haben. Aus Darmstadt hört man dagegen wenig Knirschen. Täuscht das?

Seit 2015 bearbeiten wir das Thema intensivst. Unsere Haltung ist, dass wir die Geflüchteten in den Sozialräumen unterbringen und sie in die Nachbarschaft integrieren wollen. Wir nennen Gemeinschaftsunterkünfte bewusst Erstwohnhäuser, die Menschen sollen da raus, schneller oder langsamer, aber das ist das Prinzip: Die Leute sollen ankommen.

Das streiten auch andere Kommunen nicht ab. Was macht Darmstadt also so anders?

Als Oberstes würde ich sagen: die politische Haltung zur humanitären Hilfe. Dem müssen wir uns stellen, was ich anderen Kommunen nicht absprechen will. Aber wir stecken da viel Mühe rein. Wir reden keine Probleme weg, aber wir bearbeiten sie in vielen Austauschrunden. Die AG Unterbringung tagt seit Beginn des Ukrainekriegs wöchentlich, wir suchen ganz aktiv nach Liegenschaften. Das passiert nicht von alleine. Und ja, wir nehmen da viel Geld in die Hand. Wir setzen Standards, und die heißen nicht Zelt. Und am besten auch nicht Turnhalle. Wir haben Hotelzimmer angemietet, oder nun das Strabag-Gebäude. In der Perspektive sind solche Liegenschaften ja auch nutzbar, falls sie für Geflüchtete nicht mehr benötigt werden, aber davon gehe ich in den nächsten Jahren aufgrund zahlreicher Kriege und Krisenherde in der Welt nicht aus. Dennoch, wenn der Standard gut ist, gehen wir da kein Risiko ein. Dort können auch zum Beispiel Studierende leben.

Kindernotdienst: Ärztemangel steht für viele soziale Bereiche auf der Agenda

Die Debatte um die mögliche Schließung des Kinderärztlichen Notdienstes tobt. Sie als Jugenddezernentin haben sich noch gar nicht öffentlich geäußert.

Ich habe mich mit meinem Kollegen André Schellenberg ausgetauscht, und der hat genau das richtige gesagt. Der Kindernotdienst muss nicht reduziert, sondern ausgebaut werden. Wenn Eltern Sorgen haben, dann verstärkt, wenn ihr Kind krank ist. Das ist daher ein sehr emotionales Thema. Ich habe viele Schreiben von Eltern an mich in den vergangenen Tagen beantwortet und mich so positioniert. Wir wissen aber alle, dass die Kassenärztliche Vereinigung dafür zuständig ist. Und wir müssen auch ganz grundsätzlich schauen, denn auch der Bedarf an Kinderärzten ist in Darmstadt nicht überall gut. So wie auch bei Hausärzt*innen oder bei psychosozialen Angeboten braucht es mehr, das steht oben auf der Agenda in sehr vielen sozialen Bereichen. Da muss grundsätzlich was passieren.