Darmstädter Schüler gestalten ihre Lernumgebung am Tablet

Nikola machts vor: Mit neuem digitalen Werkzeug und verschiedenen Apps entwerfen Gutenberg-Schüler einer 9. gymnasialen Klasse in einem VRM-gestützten Projekt Visionen für die Zukunft ihrer Schule.
© Guido Schiek

An Darmstadts Gutenbergschule entwerfen Neuntklässler mit einem neuartigen Werkzeug Visionen einer anderen Schule. Klar ist schon mal: Der Sportunterricht läuft dann ganz anders.

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Darmstadt. Da würde mancher Rathaus-Politiker staunen. Mehr Grün wollen viele Neuntklässler der Gutenbergschule auf ihrem Gelände im Herzen von Eberstadt. Aber nicht unbedingt Bäume, Büsche, Wildwiesenblumen. Knallgrüner Kunstrasen soll es sein, das wäre doch praktisch, sagen die vier Schülerinnen aus der Projektgruppe „Schule der Zukunft“. Nikola sagt: „Das hält einfach länger, wenn da viele Schüler drüberlaufen.“ Wie das in Wirklichkeit aussehen kann: An dieser Darstellung arbeiten die Vier und alle anderen aus der Gymnasialklasse G9a in diesem Schuljahr mit einem neuen digitalen Werkzeug, das viel verspricht: „Zaubar“.

Als App haben die 20 Schülerinnen und Schüler „Zaubar“ schon auf ihren Handys und Tablets. Seit Anfang des Jahres lernen sie, mit dem neuen Werkzeug umzugehen. Es soll, wenns denn mal alles gut läuft, direkt vor Ort zeigen, wie sich beispielsweise ein Schulhof verändern könnte, oder die Turnhalle, alles in 3-D, in einer virtuellen Darstellung. „Augmented Reality“ nennt sich diese Darstellungsform; eine andere Form der Wirklichkeit.

In ganz Deutschland sind Schülerinnen und Schüler mit dem „Zaubar“-Tool unterwegs und setzen es im Unterricht ein. Die VRM unterstützt das Projekt an der Eberstädter Gesamtschule. Die ist nämlich digital hervorragend aufgestellt und somit gut gerüstet für den Einsatz neuer Lernmittel. Nur an diesem Vormittag hakt es grade gewaltig.

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Es ist erstens leider das Schul-WLAN zusammengebrochen und kommt nicht auf die Beine, teilen die beiden Lehrer Arne Huwald und Viktor Kirchner bedauernd mit. Zweitens macht die App nicht immer, was sie soll. Einige Schülerinnen, die vier um Nikola, haben deshalb für die heute geplante Präsentation der ersten Ideen einfach auf eine andere Software gebaut. Nicht so cool wie das, was „Zaubar“ verspricht. Aber dafür läuft’s. Und die Ideen begeistern Lehrer wie Mitschüler. Viel Beifall ist an diesem Vormittag im zweiten Stock der Schule zu hören.

Eine sportliche Schule soll es werden

„Wir wollen, dass es eine sportliche Schule wird“, erklären Maidenur, Haya, Gülsan und Nikola. Auf einem Tablet-Rechner haben sie ihre Ideen skizziert und projizieren diese nun per Beamer an die Leinwand vor der Klasse. Mit blauen Marker-Strichen deuten sie auf ihren Bildern an, wo überall Bänke stehen sollen auf dem Schulhof, wo sie ein kleines Fußballfeld vorsehen, ein Spielfeld für Basketball, eine Tischtennisplatte. „Zoom mal stärker rein“, sagt Haya zu Maidenur. So bringen sie ihre Ideen den Klassenkameraden näher.

Da wird ein Ballfangzaun sichtbar, ein Container für einen Pausenkiosk, eine deutlich größere Sporthalle: „Die wollen wir aufstocken, dann wäre oben Platz für Sport und unten auch“, erklärt Nikola. Und dort, wo bisher vor allem geschotterter Boden ist, das praktische Strapaziergrün, jede Menge davon.

Anderthalb Stunden pro Woche malen sich die Neuntklässler Ideen wie diese aus. Am Ende soll das Ganze als virtuelle 3-D-Visualisierung sichtbar sein. Maidenuar fragt Lehrer Kirchner: „Wird die Schule dann so aussehen, wie wir das wollen?“ Der Lehrer dämpft die Erwartungen ein wenig. Aber: Klar, die Gedankenspiele sollen nicht nur im Klassenzimmer bleiben.

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Eine schönere Lernumgebung schaffen

Kollege Arne Huwald sagt: „Eure Bilder sind beeindruckend. Die könnten wir toll präsentieren, im Kollegium oder bei der Schulleitung.“ Oder wenn der Bildungsdezernent mal wieder nach Eberstadt kommt. „Dem können wir dann ein Tablet in die drücken, mit ihm übers Schulgelände gehen und vor Ort anschauen, was sich die Schüler anders vorstellen.“ Bis dahin sind noch ein paar Anlaufschwierigkeiten zu überwinden. Denn „Zaubar“ macht noch nicht das, was es verspricht. Das ist die Erfahrung vieler Schülerinnen und Schüler. Beim Gang übers Gelände zeigen die vier Mädchen, wo es hakt.

Nikola richtet ihr Tablet auf die Stelle, wo sie gern den Kunstrasen verlegen würde. „Scanne zuerst den Boden“, sagt die App. Die Schülerin klickt auf Bildschirmknopf, schwenkt den Rechner langsam hin und her, um die Geländedaten und die Ansicht zu speichern. So. Dann ploppt eine schematische Karte des Schulgeländes auf. Jetzt müsste Nikola die Daten genau dem Ort, an dem sie mit dem Rechner grad steht, zuweisen. Das sollte mit einem Klick gehen. Geht aber nicht. „Die Karte springt immer hin und her an andere Standorte“, erklärt sie Lehrer Kirchner. Der schaut aufmerksam zu, kann im Moment auch nichts ändern. Kollege Huwald sagt: „Das braucht immer ein bis zwei Minuten.“ Und: „Lasst euch nicht frustrieren, so ist Technik!“

Ihre eigene Lernumgebung empfinden viele der Gymnasiasten offenbar als verbesserungswürdig. Von ekligen Klos ist an diesem Vormittag die Rede, von einer wenig appetitlichen Essensausgabe und immer wieder zu wenig Platz für Sport. „Und warum sind die Gebäude alle so unterschiedlich?“, fragt eine Schülerin. Sind halt aus vielen Jahrzehnten, erklärt Kirchner, daher der unterschiedliche Baustil, vom gründerzeitlichen Schulhaus mit Uhrtürmchen bis zum funktionalen Lerntrakt mit viel Glas. Yannick hat dafür eine Lösung: Der Schüler hat Elemente für einen Neubau gesammelt und stellt den Entwurf schon mal vor.

Inspiriert von US-Vorbildern

„Ich hab mich von amerikanischen Schulen inspirieren lassen“, erklärt er vor der Klasse. Seine digitalen Pläne zeigen das neue Schulgelände an der Modau, etwa zwischen Eberstadt und Pfungstadt gelegen, aus der Aufsicht: ein Campus mit großer Sportarena, drei großen Unterrichtsbauten, dazwischen verstreute weiße Quadrate, die Kioske darstellen sollen. Um die Kosten müssen sich die Visionäre ja keine Gedanken machen, erstmal.

Auch andere Neuntklässler denken groß. Sie zeigen Entwürfe einer lichtdurchfluteten Mensa, „am Nachmittag auch als Ort zum Lernen zu gebrauchen“. Bilder vor Sporthallen mit vielen Tribünen, auf denen die Gäste den Schulmannschaften zujubeln. Einen üppig blühenden Schulgarten (kein Kunstrasen!); „in unserem sieht man ja kaum Pflanzen.“

Die Fantasie ist durch „Zaubar“ jedenfalls angeregt. Die Lehrer fordern aber noch mehr von ihren Schülern als nur hochfliegende Träume. Huwald fragt: „Wie stellt Ihr euch denn den Unterricht der Zukunft vor? Was soll sich da ändern?“ Viel Stoff noch fürs restliche Schuljahr. Muss demnächst nur noch die Technik mitspielen.