Sicheres Radfahren in Darmstadt: Der Blog "Darmstadt fährt...

Ein sicheres Gefühl dürften die wenigsten Radfahrer an der Kreuzung Rhein-/Neckarstraße haben - trotz Fahrradstreifen. Auch die subjektive Wahrnehmung der Sicherheit müsse bei der Planung berücksichtigt werden, mahnt Radfahr-Aktivist Timm Kress. Archivfoto: Guido Schiek

In der Diskussion um sicheres Radfahren in Darmstadt wird nun auch Kritik an der Haltung des ADFC laut. Er sei eine Lobby für Radfahrer, die sich auf dem Rad sicher fühlen,...

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DARMSTADT. Mehr Menschen nutzen im Alltag das Fahrrad. Das ist eine verkehrspolitisch erwünschte Entwicklung - gerade in Großstädten, die am Autoverkehr zu ersticken drohen. Mehr und mehr zeigt sich dabei aber auch, dass "die Fahrradfahrer" keine geschlossene Gruppe mit einheitlichen Interessen bilden.

In der Diskussion um sicheres Radfahren in Darmstadt, die durch die beiden tödlichen Fahrradunfälle im November angefacht wurde, wird nun auch Kritik an der Haltung des ADFC laut. Der Regionalverein Darmstadt-Dieburg des Radfahrerverbands gilt bislang als wichtigste Stimme der Fahrradfahrer in Darmstadt und Umgebung.

"Der ADFC fragt: Wie komme ich mit dem Rad schneller voran?" sagt Timm Kress. "Die zentrale Frage muss aber sein: Wie fühle ich mich mit dem Rad sicher?"

Der Darmstädter Architekt war nach eigenen Angaben in seiner Zeit als Student, als er mit dem Rad zwischen dem Wohnort Arheilgen und der Hochschule pendelte, selbst sportlich und unbesorgt auf der Straße unterwegs. "Ich war schneller als die Bahn", erinnert sich der heute 40-Jährige. "Aber heute habe ich zwei Kinder, zwei und sechs Jahre alt. Damit habe ich einen ganz anderen Blick auf die Infrastruktur. Ich sehe ganz viele kleine Details, die stören und Kinder gefährden."

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Aber nicht nur die Perspektive von Kindern versucht Kress einzunehmen. Auch um Senioren geht es ihm und generell um Personen, die noch nicht Rad fahren, aber dazu grundsätzlich bereit wären. Um in Darmstadt eine Diskussion in Gang zu bringen und die Verbreitung neuer Erkenntnisse zum Radverkehr zu fördern, hat er vor etwa einem Jahr den Internet-Blog "Darmstadt fährt Rad" eingerichtet. Zuletzt warb er in einem Offenen Brief an Verkehrsdezernentin Barbara Boczek (Grüne) für ein Umdenken in der Verkehrspolitik.

"Der ADFC ist eine Lobby für Radfahrer, die schon Radfahrer sind und sich auf dem Rad sicher fühlen", sagt Kress. Die Interessen der weniger versierten Alltagsradler gerieten dabei aus dem Blick. In seinem Blog schreibt er: "Es muss Schluss damit sein, dass sich die Kommunen von Rad fahrenden ,Experten' beraten lassen, die eine bessere Infrastruktur für lediglich einen Bruchteil der Radfahrenden fordern, der sowieso schon Rad fährt und dabei außer Acht lassen, dass die meisten Menschen dann doch wieder das Auto nehmen, weil es der Verkehrsführung nicht gelingt, ihnen Ängste oder Bequemlichkeiten zu nehmen."

Deutlich wird der Zwiespalt am Reizthema Radwege. "Der ADFC Darmstadt-Dieburg vertritt die Haltung: Fahrräder sind Fahrzeuge und gehören auf die Straße", sagt Kress. So komme es dazu, dass markierte Schutzstreifen auf der Fahrbahn zu "Allheilmitteln" erklärt worden seien - von der Politik gern aufgegriffen, weil die Farbe für aufgemalte Streifen billiger sei als baulich getrennte Radwege.

Alle Befragungen von Radfahrern zeigten hingegen, dass diese abgetrennte Radwege bevorzugen. Dort fühlen sie sich sicherer.

Die unfallträchtigsten Situationen zwischen Rad- und Kfz-Verkehr entstehen beim Rechtsabbiegen, insbesondere von Lastwagen mit schlechter Rundumsicht. Einig sind sich alle Beteiligten, dass die Sichtbarkeit von Radfahrern ein Schlüssel für mehr Sicherheit an Einmündungen ist. Aber Kress hält es für einen Irrglauben, dass diese Sichtbarkeit nur garantiert wird, wenn die Radler auf der Fahrbahn rollen.

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"Die Ungleichheit zwischen Fahrrädern und Kfz ist zu groß", sagt er. "Es ist absurd zu sagen, die Fahrzeuge gehören zusammen auf eine Fläche. Ist Sichtbarkeit nur zu schaffen, indem man die Radfahrer näher an die Kraftfahrzeuge heranführt? Das Ergebnis ist, dass sich ein Großteil der Radler nicht sicher fühlt." Und wer sich nicht sicher fühlt, lässt das Rad lieber stehen und steigt doch wieder ins Auto.

Dieses subjektive Sicherheitsgefühl, erklärt Kress, müsse stärker berücksichtigt werden. Als Vorbilder, wie auch bei getrennt von der Fahrbahn angelegten Radwegen Sichtbarkeit von Radfahrern gewährleistet werden kann, nennt er die Praxis in Dänemark und den Niederlanden. Dort werde der Radverkehr "konsequent im Seitenraum" geführt. Die Radwege führen klar erkennbar und mit eigener Ampelschaltung auch über Kreuzungen hinweg. Zudem erhalten Radler vorgezogene Haltelinien, um jederzeit auch für Lkw-Fahrer sichtbar zu sein - für Kress ein absolutes Muss an allen Kreuzungen.

Der Blog-Betreiber erinnert auch an Maßnahmen wie die sogenannten Trixi-Spiegel, die ab 2011 testweise an manchen Kreuzungen in Darmstadt angebracht wurden. Sie sollten es Lkw-Fahrern ermöglichen, auch tote Winkel an ihren Fahrzeugen einzusehen. Das Projekt sei jedoch im Sande verlaufen, obwohl sich die Spiegel bewährt hätten. "Ich verstehe nicht, warum man jetzt nach den tödlichen Unfällen wieder diskutiert", sagt Kress, "und nicht einfach mal etwas macht. Diese Maßnahmen sind schließlich alle andernorts schon getestet worden."