Rückblick: Wie hat sich Oberbürgermeister Jochen Partsch in...

Jochen Partsch und der Direktor des Museums Künstlerkolonie, Philipp Gutbrod, vor Ludwig von Hofmanns "Frühlingssturm" (1894/1895). Archivfoto: Andreas Kelm
© Andreas Kelm

Was hat Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) in seiner ersten Amtszeit erreicht, und wo lief es gar nicht rund? Die ECHO-Redakteure Daniel Baczyk, Frank Horneff, Patrick...

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DARMSTADT. In der Stichwahl vor sechs Jahren gelang dem Grünen-Politiker Jochen Partsch ein Kantersieg gegen den damaligen Amtsinhaber Walter Hoffmann (SPD). Partsch holte 69,1 Prozent und wurde 2011 der erste grüne Oberbürgermeister einer hessischen Großstadt. Bereits im ersten Wahlgang hatte Partsch, von 2006 bis 2011 Sozialdezernent in Darmstadt, mit 37,4 Prozent die Nase vorn gehabt. Bei der Oberbürgermeister-Wahl am 19. März ist diesmal der Diplom-Sozialwirt Partsch der Amtsinhaber, der sich gegen acht Herausforderer behaupten muss. Wie sieht also die Bilanz des Rathauschefs nach sechs Jahren aus? Partsch war in den vergangenen Jahren nicht nur Repräsentant der Stadt, sondern als Fachdezernent unter anderem für Wirtschaftsförderung, Bürgerbeteiligung, Kultur und interimsweise sogar für Stadtplanung zuständig.

Seine erste Krise hatte Jochen Partsch bereits wenige Monate nach Start seiner Amtszeit zu bewältigen, als er dafür eintrat, 40 Prozent der Anteile an der HSE (heute Entega) vom Energiekonzern Eon zurückzukaufen. Die Stadt hielt damals rund 53 Prozent der Anteile. Zwar wusste Partsch die große Mehrheit des Stadtparlamentes hinter sich, doch stellte sich das Management der HSE, vor allem die Vorstandsvorsitzende Christine Scheel (Grüne), aber auch die Arbeitnehmerschaft der HSE gegen Partsch. HSE-Mitarbeiter demonstrierten mit Autokorsos gegen die Stadtpolitik, sie fürchteten um die Zukunft des Energiedienstleisters. Rückblickend war es eine zukunftsweisende Entscheidung, für einen Kaufpreis von 234 Millionen Euro Entega fast komplett in die städtische Holding zurückzuholen. Partsch hielt als Aufsichtsratschef Kurs und setzte die renitenten Manager Christine Scheel und Holger Mayer vor die Tür. Entega schreibt nach den Krisenjahren heute wieder schwarze Zahlen und kann Überschüsse an den städtischen Haushalt abführen.

Rückkehr von Wella und Ansiedlung von Alnatura

Auch in seiner Verantwortung für Wirtschaftsförderung konnte Partsch punkten. Die Rückkehr von Wella nach Darmstadt sowie die Ansiedlung von Alnatura schlagen sich positiv in seiner Bilanz nieder. Darmstadt hat den niedrigsten Gewerbesteuerhebesatz unter den Großstädten im Rhein-Main-Gebiet. Das Darmstadtium mit Partsch als Aufsichtsratsvorsitzenden konnte mit neuer Geschäftsführung bessere Zahlen vorlegen.

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Als Erfolg für sich kann Partsch den Erwerb der Konversionsflächen Lincoln-Siedlung und Kelley-Barracks verbuchen. Nach zähen Verhandlungen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) kann die Stadt die Areale nun entwickeln. Noch keinen Abschluss mit der Bima gibt es allerdings bei den Arealen Cambrai-Fritsch und Jefferson-Kaserne.

Eine große organisatorische Leistung, für die der Oberbürgermeister mit seinem Stab verantwortlich war, war das Bewältigen des Flüchtlingsstroms, der im August 2015 einsetzte. Innerhalb kürzester Zeit konnte Darmstadt knapp 200 Betten in Zelten auf dem Gelände der Starkenburgkaserne stellen. Hunderte weitere Betten in Turnhallen und einem Bürgerhaus folgten. Mittlerweile steht am Sensfelder Weg eine komplett neue Wohnanlage für 924 Flüchtlinge. Trotz der enormen Belastungen für alle Beteiligten aus Verwaltung, Rettungsdiensten und Ehrenamtlichen gelang die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge nahezu reibungslos. Die Stadt hat Deutschkurse für Flüchtlinge bezahlt und das Thema Integration in den Fokus genommen.

Als Darmstadt das berühmte Jugendstil-Bild "Frühlingssturm" von Ludwig von Hofmann zu verlieren drohte, versuchte Partsch als Kulturdezernent zu verhindern, dass das Bild meistbietend versteigert wird. Letztlich gelang der Erhalt für die Stadt nur mithilfe der Mäzene Sylvia und Ulrich Ströher, die das Gemälde vor der Versteigerung von den Erben erworben haben. In seiner Amtszeit gelang auch die Sanierung der Centralstation sowie des Mollerhauses.

Ob die Welterbe-Bewerbung Darmstadts mit dem Ensemble Mathildenhöhe am Ende von Erfolg gekrönt wird, wird sich noch zeigen müssen. Immerhin unterstützt der Bund mit fünf Millionen Euro das Darmstädter Bestreben. Was bislang nicht gelungen ist, den Spirit der Welterbe-Bewerbung in die Bevölkerung zu tragen.

Insgesamt wird in der Kulturszene immer mal wieder die fehlende Präsenz des Oberbürgermeisters bei Veranstaltungen moniert, den von ihm geplanten Kulturbeirat hat Partsch bis heute nicht gegründet.

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Partsch und mit ihm die Grünen stehen für das Nein zur und das Abplanen der Nordostumgehung. Trotz anderslautender Versprechen ist es dem Amtsinhaber seit 2011 nicht gelungen, verkehrliche Alternativen zu schaffen. Der versprochene Ausbau der Radwege ist mit insgesamt 13 weitgehend kleinen Maßnahmen nur unbefriedigend umgesetzt. Darmstadt hat pro Einwohner die höchsten Unfallzahlen bei Radfahrern von allen Großstädten Hessens. Trotz des hohen Anteils an Radfahrern kommt der Bau sicherer Radwege kaum voran.

Paradebeispiel für Lähmungserscheinungen im Städtebau ist die Entwicklung des Marienplatzes. 2013 sagte Partsch im ECHO-Interview: "Sie können davon ausgehen, dass der Marienplatz in drei Jahren nicht mehr so aussieht, wie jetzt. Entweder stehen dort Baugerüste für Wohnungen oder für andere Nutzungen." Es ist 2017, und der Platz ist noch immer ein Parkplatz - mittlerweile jedoch kostenpflichtig.

Völlig verhoben hat sich Partsch mit der Frage zum Stadionneubau. Er hat die Zuständigkeit an sich gezogen. Aus Gründen der Rechtssicherheit schwenkte man 2013 auf ein Bauleitverfahren um, um dann nach drei Jahren Planung festzustellen, dass sich das Stadion wegen baurechtlicher Bedenken am Böllenfalltor nicht realisieren lässt. Unter Partschs Führung gelang es nicht, die TU in der Stellplatzfrage an Bord zu holen. Wohl völlig außer Acht gelassen hatte die Stadt die gesetzlichen Vorgaben zum Lärmschutz, und mit einigen Anwohnern war auch kein rechtssicheres Einvernehmen zustande gekommen. Gut ein halbes Jahr vor dem Scheitern hatte Partsch noch beim Neujahrsempfang der Lilien verkündet, das neu gebaute Stadion werde zum Saisonauftakt 2018/2019 fertig.

Die Paradedisziplin der Grünen, das Thema Bürgerbeteiligung, hat viel Luft nach oben. Beim Stadionbau, bei der Lichtwiesenbahn oder etwa beim Umbau Frankfurter Straße waren die Betroffenen ungehalten, dass sie an der Entscheidung eben doch nicht beteiligt werden.

Bürgerbeteiligung wurde beim Aldi-Markt ganz vergessen

Im jüngsten Fall der Ansiedlung eines Aldi-Marktes im Arheilger Ortskern, hat Partsch ganz darauf verzichtet, die Bevölkerung zu informieren. Da agierte er in erster Linie als Wirtschaftsdezernent.

Was auch negativ auf das Stadtoberhaupt abfärbt, sind die teils enormen Kostensteigerungen bei Großprojekten wie Nordbad, Friedensplatz oder Woogsanierung. Das Steuerungsproblem hat er zu spät erkannt.

Der 56-Jährige, hat, wenn er (öffentlich) redet eine außerordentliche Präsenz. Doch gilt der machtbewusste OB auch als dünnhäutig und nachtragend.