Vertreter aus Politik und Wirtschaft äußern Hoffnungen und Sorgen zur Vertagung des Diesel-Urteils, äußern aber zum Teil auch heftige Kritik an der Stadt.
DARMSTADT. Als klaren Teilerfolg wertet Daniel Kaeding die Vertagung des Urteils im Diesel-Prozess vor dem Wiesbadener Verwaltungsgericht am Mittwoch. "Das gibt Anlass zur Hoffnung", sagte der Verkehrsexperte der Industrie- und Handelskammer Darmstadt. Aus Sicht der Wirtschaft wäre ein Diesel-Fahrverbot unfair, denn "die Wirtschaft tut schon viel, um die geforderten Grenzwerte einzuhalten." So gebe es in Südhessen immer mehr Lkw mit einem Motor nach Euro-6-Norm. "2016 waren es 3,5 Prozent der Lkw, 2017 hatten 8,5 Prozent der Lastwagen eine entsprechende Zulassung, in diesem Jahr schon 18 Prozent."
Rund 5000 Logistikfirmen in Südhessen
In Südhessen gebe es rund 5000 Logistik-Unternehmen, so Kaeding. Wenn sie von einem Fahrverbot auch betroffen wären, wäre das unverhältnismäßig. Hinzu komme, dass zwar das Verkehrsaufkommen steige, die Luftqualität zugleich aber auch: "2009 wurden noch 66,7 Mikrogramm Stickoxide je Kubikmeter Luft gemessen, 2017 nur noch 52,3", zitiert Kaeding aus den Jahresberichten des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie.
Die Darmstädter SPD steht der Aussicht, dass das Wiesbadener Gericht nun möglicherweise Diesel-Fahrverbote für einzelne Straße ausspricht, kritisch gegenüber. "Wir sind gegen partielle Fahrverbote", erklärt Tim Huß, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, auf Anfrage. "Das ergibt einen Umleitungsverkehr mit der Gefahr, dass auf den Ausweichstrecken dann die Schadstoffbelastung steigt."
Diese Gefahr sehe er zum Beispiel in der Landgraf-Georg-Straße und auf dem Cityring - hier müssten die Pendler aus dem Ostkreis fahren, wenn die Heinrichstraße als Einfalltor für sie gesperrt würde. Auch wenn die Stadt Darmstadt im aktuellen Verfahren nur beigeladen ist: Der grün-schwarze Magistrat trägt nach Ansicht von Huß mit Schuld an der heiklen Situation. "Der Green-City-Plan, den die Stadt im Sommer vorgelegt hat, ist in Ordnung - aber er kam viel zu spät." Lange Jahre sei die Stadt untätig gewesen. Die drei Pläne zur Luftreinhaltung, die in den vergangenen Jahre vorgelegt wurden, "haben nichts gebracht, sie sind ein schlechter Witz".
Von der angekündigten Verkehrswende spüre er wenig. Die Initiativen von SPD und Linke zu einer Senkung der Fahrpreise im Öffentlichen Nahverkehr beispielsweise hätten beim Magistrat kein Gehör gefunden. Auch für den Fahrradverkehr sehe die Bilanz nicht beeindruckend aus: zwei Fahrradstraßen und neue Spuren auf der Heidelberger Landstraße. Dass ausgerechnet die Grünen in der Darmstädter Umweltpolitik so wenig Initiative zeigten, führt Huß auf die Konzessionen an den schwarzen Regierungspartner zurück. "Man muss abwarten, was es zu bedeuten hat", sagt der Landrat des Kreises Darmstadt-Dieburg, Klaus Peter Schellhaas, zur Vertagung des Diesel-Urteils. Überraschend sei es schon. So drohe nun am 19. Dezember ein "Weihnachtsgeschenk": "Im Prinzip ist alles, was zur Verschlimmerung der Situation führt, eine große Katastrophe für uns", sagt er. Der Kreis könne nun nichts mehr dazu beitragen, ein Fahrverbot oder eine Einbahnstraßenregelung auf der Heinrichstraße noch abzuwenden. "Hätte man unsere Mithilfe gewollt, hätte man uns vorher gefragt", sagt Schellhaas.
In einer ersten Reaktion hatte der Landrat die Verhandlungsstrategie des Landes mit der Einbahnstraßenregelung als "Scherbenhaufen" und "Offenbarungseid" bezeichnet. Die Staus vor den Toren Darmstadts würden dann noch länger. "Da entsteht eine neue Stadtmauer", hatte es Schellhaas zusammengefasst. Bei einem Fahrverbot wären wohl auch Tausende von Dieselfahrzeugen aus dem Kreis betroffen. Sollten diese auf den Nahverkehr umsteigen, könnte es dort zu Engpässen kommen.
Georg Hang, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Uffbasse, ist "wenig optimistisch" ob der Vertagung des Urteils. Das müsse nicht heißen, dass Darmstadt von einem Fahrverbot verschont bleibt. "Erst wenn ein Urteil gefallen ist, weiß man, woran man ist", so Hang. Bis zur Urteilsverkündung müsse die Stadt nun ihren guten Willen zu weiteren Verbesserungen zeigen, auch wenn sich in so kurzer Zeit "nichts Messbares verbessern wird".