Als ein Ehepaar am 17. Juni 2017 aus einem Kurzurlaub in ihr Haus in der Darmstädter Seekatzstraße zurückkamen, ertappten sie zwei Einbrecher auf frischer Tat. Die...
DARMSTADT. "Der Täter lief weg, ich stand auf dem Gehweg. Dann habe ich an mir heruntergeguckt und sah, dass mein weißes Poloshirt blutig war. Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film. Aber es schien zunächst nicht schlimm. Ich lehnte mich an unser Auto. Da sackten mir die Beine weg und ich merkte, dass ich keine Luft mehr bekam."
Die 67 Jahre alte Bessungerin kann heute gefasst über ein Erlebnis sprechen, das - wenn man sich schon in einem Film sieht - einem Horrorstreifen zu entstammen scheint. Aber es war die Realität, dass ihr bei der Rückkehr aus einem Kurzurlaub am 17. Juni vorigen Jahres beim Öffnen der Haustür in der Seekatzstraße zwei mit Beute beladene Einbrecher aus dem ersten Stock entgegenkamen. Sie drängten sich aus dem Haus und wollten fliehen, doch der gleichaltrige Ehemann der Bessungerin stürzte sich in spontaner Wut auf einen der Kriminellen, riss ihn zu Boden und hielt ihn kurzzeitig fest. Die 67-Jährige versuchte, ihrem Mann zu helfen.
Was daraus folgte, beschäftigt seit Dienstag die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Darmstadt. Denn der beherzte Einsatz hätte die Bessungerin fast das Leben gekostet. Vier Schnitte und Stiche brachte ihr der 46 Jahre alte Einbrecher mit einem langen Messer bei, ehe er endgültig das Weite suchte. Verletzt wurden die Hüfte und der rechte Arm; ein Stich aber fuhr sieben Zentimeter tief in die Brust, öffnete eine Arterie und verletzte die Lunge. Eine sofortige Notoperation rettete der Frau das Leben. Der Täter muss sich nun vor Gericht nicht nur wegen des Einbruchs, sondern vor allem wegen versuchten Mordes verantworten.
Richter zeigt sich fassungslos
Der mehrfach vorbestrafte 46-Jährige stellte sich wenige Tage nach der Tat der Polizei, die unter Hochdruck nach ihm fahndete. Zwischenzeitlich, so die Anklage, hatte er noch einen Erotikmarkt in der Heidelberger Straße überfallen und dabei die allein im Laden anwesende Verkäuferin mit einem Messer in den Arm gestochen. "Um ihr die Ernsthaftigkeit seines Ansinnens vor Augen zu führen" so formulierte es sein Verteidiger Ulrich Endres, als er ein weitreichendes Geständnis seines Mandanten vortrug. Nach dem Messerstich hatte dieser die 44 Jahre alte Frau gefesselt in eine Toilette gesperrt.
"Da ist man fassungslos. Drei Tage nach der ersten Tat stechen sie schon wieder mit dem Messer zu!" Der Vorsitzende Richter Volker Wagner schreckte nicht vor deutlichen Worten zurück, um den beiden Angeklagten den Ernst ihrer Lage klarzumachen. Beide haben jahrelange Drogenkarrieren hinter sich, beide sind der Darmstädter Polizei gut bekannt. Auch bei den jetzt angeklagten Taten ging es offenkundig um Geldbeschaffung für den Rauschgiftkonsum.
"Wollen sie das Verfahren als letzte Chance begreifen?", fragte Wagner die beiden Männer. "Gibt es für sie noch eine Perspektive? Oder wollen sie ihr Leben aufgeben? Dann stehen sie vor einer Zukunft, die keine Hoffnung mehr bietet für die eigene Existenz, sondern die in der Sicherungsverwahrung endet."
Ablauf bleibt unklar
Vor allem für den Messerstecher kommt diese Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit in Betracht, falls er keinen Hinweis darauf liefert, dass eine Drogenentzugstherapie Aussichten auf eine Verhaltensänderung eröffnet. Der 46-Jährige entschuldigte sich am Dienstag bei der von ihm verletzten Bessungerin. Er betonte zugleich, dass er für seine Tat Verantwortung übernommen habe, als er sich der Polizei stellte.
Der Mitangeklagte entschuldigte sich ebenfalls bei der Frau, deren Verletzungen heute noch schmerzen und die auch psychisch unter der Gewalttat leidet. "Wir wollten einen normalen Einbruch machen und niemandem wehtun", sagte der 45-Jährige. Vom Richter wurde er daraufhin belehrt, dass auch ein "normaler Einbruch" bei den Betroffenen oft schlimme seelische Folgen habe.
Unklar blieb am Dienstag der genaue Ablauf der lebensgefährlichen Konfrontation in der Seekatzstraße. Das Opfer hatte die Messerstiche gar nicht wahrgenommen, erst hinterher das Blut bemerkt. Auch der Ehemann hatte die Stiche nicht gesehen. Der Angeklagte erklärte in seinem Geständnis, er habe das Messer vorgehalten, dann sei die Frau auf ihn zugelaufen. Staatsanwalt Knut Happel ließ erkennen, dass er diese Version für wenig überzeugend hielt.
Für den Prozess sind noch sieben weitere Verhandlungstage angesetzt, die aber möglicherweise nicht alle benötigt werden.