Zum Gedenken an die Zerstörung der Eberstädter Synagoge vor 80 Jahren hat die Dotter-Stiftung eingeladen. Auch im Stadtteil gab es brutale Gewalt gegen Juden.
DARMSTADT. Eine Veranstaltung ohne Applaus war am Samstag im Ernst-Ludwig-Saal das Gedenken an die Pogrome vom 10. November 1938 in Eberstadt. Organisiert hatte den Abend die „Hans Erich und Marie Elfriede Dotter-Stiftung“. Vorstand Peter Götz zufolge sei durch die Novemberpogrome vor 80 Jahren auch Eberstadt mit anderen Orten der NS-Verbrechen verbunden, etwa mit dem KZ Bergen-Belsen oder dem Warschauer Getto. „Das war das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.“
Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) erinnerte daran, dass die Bezeichnung „Reichskristallnacht“ eine „zynische Verharmlosung“ sei. In ganz Deutschland brannten Synagogen. „Und eben auch in Eberstadt, in einem Ort, in dem jeder jeden kannte.“ Partsch erinnerte an Frieda Guckenheimer, die mit Tritten in den Unterleib so schwer verletzt wurde, dass sie zwei Monate später starb.
Die Novemberpogrome waren „der Moment, in dem die Firniss der Zivilisation riss“, sagte Daniel Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. „Der Virus von damals lebt nach wie vor als Mutation im zeitgemäßen Gewand“, warnte er. „Ein starkes Immunsystem entwickelt sich nur durch Kontakt mit dem Erreger.“ Die Erinnerung, wie eine Kulturnation versagen konnte, dürfe daher nicht verloren gehen. „2018 ist nicht 1938“, sagte Daniel Neumann. „Lassen sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es auch so bleibt.“ Der Schauspieler Stéphane Bittoun und das Orchester unter Leitung Roman Kuperschmidts trugen abwechselt Texte und Lieder vor. Bittoun rezitierte vier Strophen aus Jizchak Katzenelsons „Großen Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“. Der polnische Lyriker und Dramatiker beschrieb drastisch, wie Menschen jüdischen Glaubens gequält, deportiert und getötet wurden. Er war Anfang Mai 1944 in Auschwitz ermordet worden. Sein „Großer Gesang“ konnte aus den Lagern herausgeschmuggelt werden.
Die Schauspieler Stéphane Bittoun, Svenja Kleinschmidt, Robert Lang, Janosch Ott, Margit Schulte-Tigges, Stefan Schuster und Sarah Weingärtner trugen Aussagen aus Gerichtsprotokollen vor. 1946 wurden Beteiligte am Eberstädter Pogrom wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Während der November-Pogrome wurde die Eberstädter Synagoge in Brand gesetzt. „Wir erhielten den Befehl“, hatte einer der Täter vor Gericht ausgesagt. 20 Liter Benzin für die Brandstiftung habe man im Gasthaus Haus Heidelberg geholt und danach einen Cognac getrunken.
Eine Zeugin hatte dem Gericht geschildert, wie Ferdinand Reinheimer aus der Pfungstädter Straße 22 von einem 18-Jährigen so fest geschlagen wurde, dass er mit dem Kopf gegen eine Wand geworfen wurde. Er starb im Februar 1939 an den Folgen seiner Verletzungen. Seine Frau Selma wurde 1942 deportiert und vermutlich im KZ Sobibor ermordet. Im Prozess wurden fünf Männer zu Haftstrafen zwischen acht Monaten und zwei Jahren verurteilt, einer wurde freigesprochen.
41 Eberstädter Juden flüchteten ab 1933 ins Ausland. 16 wurden ermordet, zehn verstarben, zehn gelten als verschollen, bei dreien ist ihr Schicksal unklar.