Für den Oberbürgermeister ist der außergerichtliche Vergleich mit der Deutschen Umwelthilfe "das kleinere Übel". Zumindest ein flächendeckendes Fahrverbot sei verhindert worden.
DARMSTADT. Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) hat am Freitag noch einmal offen angesprochen, dass es im Streit mit der Deutschen Umwelthilfe und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) über die Verbesserung der Luft in Darmstadt auch Differenzen zwischen der Stadt und dem Land Hessen gab. "Es gab unterschiedliche Haltungen", sagte er auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) in Wiesbaden.
Das Land hatte im Prozess vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden am 21. November gegen den Willen der Stadt zur Eindämmung der hohen Stickstoffdioxid-Belastung eine Einbahnstraßen-Regelung für die Heinrichstraße und die Sperrung der Hügelstraße für ältere, auch nachgerüstete Dieselfahrzeuge gefordert. Die Stadt hatte die Auffassung vertreten, dass die Umsetzung erster Vorhaben des im Sommer vom Stadtparlament verabschiedeten "Green-City-Plans" ausreicht, um die Stickstoffdioxid-Belastung in der Hügelstraße und in der Heinrichstraße bis 2020 unter den gesetzlichen Grenzwert von 40 Mikrogramm zu drücken. In der Hügelstraße waren es 2017 nach der Messung eines sogenannten Passivsammlers noch 72 Mikrogramm gewesen.
Partsch sagte, die jetzt bei den Vergleichsverhandlungen erzielte Vereinbarung sei "besser als das, was ursprünglich vorgelegt worden war, und besser als ein großflächiges Fahrverbot". So dürften auch nachgerüstete ältere Diesel-Fahrzeuge weiter durch die Hügelstraße fahren, und eine Einbahnstraßenregelung in der Heinrichstraße sei abgewendet. Letzteres hätte nach seinen Worten "zu unkontrollierbaren Verkehrsverhältnissen in Darmstadt geführt". Vor diesem Hintergrund sei er mit dem Vergleich "einigermaßen zufrieden". Dieser sei "das kleinere Übel". Die Stadt hatte als Gast an den Vergleichsverhandlungen teilgenommen. Beklagter war in dem Verfahren das für die Luftreinhalte-Planung verantwortliche Land. Der Vergleich soll jetzt am 19. Dezember noch vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden protokolliert werden.
Ende der Sperrungen 2020 oder 2021?
Konkret werden die Fahrverbote nach Auskunft von Umweltdezernentin Barbara Akdeniz (Grüne) in der Hügelstraße ab der östlichen Tunnelausfahrt und in der Heinrichstraße zwischen Heidelberger Straße und Karlstraße gelten. Die Zahl der Fahrspuren soll in der Hügelstraße sowie in der Heinrichstraße vor den Ampeln reduziert werden. Die Details müssen jetzt in der dritten Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Darmstadt festgelegt werden.
Partsch sagte, man werde mit der Umsetzung des "Green-City-Plans", etwa dem Ausbau des Radwege-Netzes, der Elektrifizierung der Heag-Mobilo-Busflotte und der Verbesserung des Verkehrsflusses durch eine digitale Steuerung, alles daran setzen, dass die Fahrverbote nur möglichst kurz in Kraft bleiben. Ministerin Hinz fügte hinzu, sie gehe davon aus, dass die Grenzwerte 2020/21 eingehalten werden könnten. "Dann kann man irgendwann die Sperrung wieder aufheben", sagte Hinz.
Der Oberbürgermeister räumte ein, dass die Fahrverbote eine Verlagerung des Verkehrs in die umliegenden Straßen zur Folge haben werden. Die Anwohner dort werden die Sache "ausbaden", sagte er. Es werde nicht einfach, hier zu sinnvollen Regelungen zu kommen. Gleichzeitig machte er deutlich: "Die Fahrverbote sind nicht unsere Idee." In seinen Augen seien sie unverhältnismäßig, aber "wir sind verurteilt, sie umzusetzen". Ministerin Hinz sagte zu dem zu erwartenden Ausweichverkehr in umliegenden Wohnquartieren, die "Hintergrundbelastungen" seien in Darmstadt nicht so hoch. Deshalb gingen alle Berechnungen davon aus, dass die Stickstoffdioxid-Belastung trotz des Ausweichverkehrs in den betroffenen Quartieren unterhalb des zulässigen Grenzwerts bliebe.
Kläger und Beklagte sehen Bund in der Pflicht
Das sieht die Umwelthilfe ähnlich. "In Darmstadt wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass durch Diesel-Fahrverbote keine Grenzwertüberschreitungen an anderen Stellen im Stadtgebiet auftreten werden. Anders als in anderen Städten, gibt es nach allen vorliegenden Messungen und Modellierungen in Darmstadt nur an zwei Straßen Überschreitungen der Grenzwerte. Daher konnte sich das Konzept auch auf die Hügelstraße und die Heinrichstraße konzentrieren", erklärte sie.
Neben den Fahrverboten seien auch "die Maßnahmen der Stadt Darmstadt zur Förderung des ÖPNV und des Radverkehrs verbindlicher Teil der Einigung", betonte die Umwelthilfe. Heiko Nickel, Geschäftsführer des VCD Hessen, fügte hinzu, die Stadt müsse nun umgehend die Förderung von Bus-, Bahn- und Radverkehr umsetzen.
Partsch und Hinz, aber auch die Kläger machten deutlich, dass sie zudem die Bundesregierung in der Pflicht sehen, rasch die Voraussetzungen für eine Hardware-Nachrüstung von Euro-5-Dieseln auf Kosten der Autoindustrie zu schaffen. Die betrogenen Besitzer solcher Fahrzeuge dürften nicht auf den Kosten sitzen bleiben, sagte Hinz. "Wir würden hier nicht stehen, wenn die Bundesregierung und die Autoindustrie ihre Pflicht erfüllt hätten", sagte Partsch.
Von Joachim Nieswandt