Parksünder im Visier der Stadt

Wird hier wirklich nur kurz be- oder entladen? Falschparker an der Grafenstraße (oben) und Elisabethenstraße nimmt Kontrolleur W. ins Visier bei seiner sechsstündigen Streife durch die City. Fotos: Andreas Kelm

In Darmstadt überwachen Kommunalpolizei und Sicherheitsdienstler den ruhenden Verkehr. Die kostenfreien Parkplätze werden weniger, der Druck auf die Autofahrer steigt.

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DARMSTADT. Das fängt ja prächtig an. Genau drei Schritte hat Herr W. auf seiner Fußstreife gemacht, da erspäht er im Nieselregen die ersten potenziellen Parksünder und zückt sein Kontrollgerät. Direkt vor dem Stadthaus an der Grafenstraße, Sitz des Ordnungsamtes, stehen auf zwei der drei Behinderten-Parkplätze Wagen, die da vielleicht nicht hingehören. Herr W. geht um die Autos herum, schaut jeweils durch die Frontscheibe: In beiden liegt der Sonderparkausweis auf der Konsole, aber einer ist abgelaufen, zwei Monate schon. Er erklärt den mitlaufenden Presseleuten: „Einen Monat geben wir Karenz, danach muss ich tätig werden.“ Spricht’s, fotografiert den Tatbestand, rupft den blauen Bußgeldzettel vom Block: Ritsch!

Wird hier wirklich nur kurz be- oder entladen? Falschparker an der Grafenstraße (oben) und Elisabethenstraße nimmt Kontrolleur W. ins Visier bei seiner sechsstündigen Streife durch die City. Fotos: Andreas Kelm
Wird hier wirklich nur kurz be- oder entladen? Falschparker an der Grafenstraße (oben) und Elisabethenstraße nimmt Kontrolleur W. ins Visier bei seiner sechsstündigen Streife durch die City. Fotos: Andreas Kelm
Wird hier wirklich nur kurz be- oder entladen? Falschparker an der Grafenstraße (oben) und Elisabethenstraße nimmt Kontrolleur W. ins Visier bei seiner sechsstündigen Streife durch die City. Fotos: Andreas Kelm

Start zu einer Sechs-Stunden-Schicht, die Herrn W. acht bis zwölf Kilometer quer durch die City führen wird, immer und ausschließlich auf der Suche nach Falschparkern.

Mit der Axt durchgehen oder mit Fingerspitzengefühl

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Herr W., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist einer von sechs Kontrolleuren, die täglich das überwachen, was das Ordnungsamt den „ruhenden Verkehr“ nennt. Alle sind Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma, die für die Kommune arbeiten. Weitere 55 Kommunalpolizisten sind stadtweit im Einsatz. Doch die kommen nur zu einem Fünftel ihrer Arbeitszeit dazu, sich mit Autofahrern zu befassen, die Kreuzungen, Fuß- und Radwege oder eben Behindertenparkplätze zustellen. Bleibt ein halbes Dutzend Leute, für Park-Disziplin in einer 160 000-Einwohner-Stadt zu sorgen. Herr W. macht das mit Routine, seit 13 Jahren, und mit einem gewissen Händchen: „Du kannst da mit der Axt durchgehen oder mit Fingerspitzengefühl.“

Herr W., 44, sportlicher Typ mit Trekkingschuhen, ist nicht der Vertreter der Axt-Schule. Aber veräppeln lässt er sich auch nicht. Ein paar Schritte ist er über die Straße gegangen, um an der Ecke Grafen-/Elisabethenstraße einen schwarzen SUV im Halteverbot zu erfassen. Er zückt eine weiße Schulkreide, zieht einen Strich über den Reifen. „So weiß ich, ob sich der Wagen in der Zwischenzeit bewegt hat. Das ist oft ein Katz- und Maus-Spiel.“

Im „Eingeschränkten“ darf der Wagen nur maximal drei Minuten stehen und das auch nur zum Be- und Entladen. Danach sieht es hier aber so gar nicht aus. Außerdem ragt das pompöse Heck des Autos weit in die schraffierte Fläche, die die Ecke freihalten soll.

Da rollt eine Frau im roten Polo schwungvoll ums Eck, um hinter dem SUV auf dem schraffierten Feld zu parken. Schön dicht fährt sie heran an den Vordermann, dann erblickt sie Herrn W. Der zieht nur kurz die Brauen hoch, winkt sie mit knapper Handbewegung durch: „Sie fahren am besten gleich weiter.“ Was die Frau zügig tut, gespielte Zerknirschung um die Mundwinkel. Oft reiche schon die Anwesenheit eines Kontrolleurs in einer Straße aus, damit Ordnung einkehrt, sagt Herr W. Aber das funktioniert nicht immer.

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Aggressiver als noch vor zehn Jahren gingen Falschparker mit den Kontrolleuren um, sagt Herr W., das höre er auch von Kollegen. Tätliche Übergriffe seien aber die Ausnahme.

Einmal in den letzten zwei Jahren habe er Anzeige wegen Beleidigung erstattet. Parkplätze sind in einer zunehmend dicht bebauten Stadt eben ein Reizthema. Das spüren auch die Kollegen in den Behördenstuben im Stadthaus.

Günter Pleil leitet hier die Kommunalpolizei, ein entspannter Beamter ohne Uniform. Bei ihm landen viele Beschwerden – nicht über die Bußgeldzettelverteiler, sondern über Falschparker in den Wohnstraßen. „Die Qualität der Beschwerden ändert sich“, sagt er. Meist bekomme er „ganz spezielle Aufträge“ – von Leuten, „die nur ihre eigene Nachbarschaft im Blick haben“. Aus Arheilgen wie aus Eberstadt erreichen ihn Anrufe, von der Lichtwiese wie aus dem Martinsviertel. Oben auf der Liste: Warum die Beamten nicht mehr kontrollierten, öfter, schärfer? Pleil lächelt, stellt die Gegenfrage: „Wollen wir ein Polizeistaat werden?“

Wer in einer Großstadt lebe, so das Credo des Amtsleiters, „genießt viele Vorzüge, muss aber auch mit Nachteilen rechnen“. Dass Autofahrer die Gehwege zuparken, gehört dazu. Legal sei das nicht. Aber an „Hotspots“ wie dem Umfeld der Krankenhäuser, wo Angehörige von Patienten mit ihren Autos kreisen, „haben wir ein gewisses Verständnis für die Nöte der Besucher und der Angestellten“.

Mit einem gewissen Ermessensspielraum geht auch Herr W. auf Streife. „Wir arbeiten nach dem Opportunitätsprinzip“, sagt er, während er die Grafenstraße hinaufspaziert, schon zwei Lieferwagen in den Blick nimmt, die in der zweiten Reihe halten, Warnblinker eingeschaltet. Klar, „wie sollen die ihre Ware sonst abliefern“, überlegt er laut. Andererseits: „Ich will auch mal sehen, dass die tatsächlich was ausladen.“

Eine ältere Frau rennt dem Kontrolleur hinterher, winkt mit einem aufgeweichten blauen Bußgeldzettel – die Falschparkerin mit dem abgelaufenen Sonderausweis von vorhin. „Der gehört einer alten Dame, ich fahr‘ die doch nur heute Morgen zum Amt!“ Sie habe keine Ahnung gehabt, dass der Ausweis abgelaufen war, „ehrlich“. Herr W. hört sich die Rede an, nickt, sagt dann: „Sind Sie einverstanden, wenn ich Sie diesmal mündlich verwarne?“

Stellplatzsucher weichen in Nachbarquartiere aus

Nicht nur in der City wächst der Druck, schwinden die kostenlosen Parkplätze. Herr W. und Kollegen sind auch unterwegs in Quartieren wie dem Kapellplatzviertel. Dort hat die Stadt weitere Straßen für die „Parkraumbewirtschaftung“ ausgewiesen. Noch mehr Stress für die Kontrolleure? Amtsleiter Pleil verneint. In solchen Quartieren „überwachen wir in der Anfangszeit stärker, dann kontrollieren wir mit Stichproben“. Das zeige Wirkung. Freilich: Solche Maßnahmen „haben auch einen Verdrängungseffekt“. So muss Herr W. nun auch verstärkt im Woogsviertel und drumherum Streife laufen.

An der Rheinstraße nimmt der Regen ordentlich zu. Herr W. wacht ohne Mütze, Jacke, Schutzweste über den dort ruhenden Verkehr in der Ladezone. Geladen wird hier nichts. Dafür springen die Parkenden aus den angrenzenden Geschäften in ihre Autos. Herr W. seufzt leicht: „Jeder hat seine Gründe, warum er gerade hier parkt. Mal kurz zum Lottoladen, mal kurz zur Sparkasse, mal kurz zum Friseur.“ Schon eilt ein junger Bartträger heran: „Ich war nur mal kurz Geld ziehen – ich darf hier doch eine Stunde, oder?“ Herr W. zückt den blauen Zettel. Ritsch!