Parken, Verkehr, Gewerbegebiet: Worüber Darmstadt streitet

Im Woogsviertel wurden im Frühjahr die Schilder zur Parkzone aufgestellt. Bei vielen Darmstädtern sorgt die Parkraumbewirtschaftung für Unmut. Archivfoto: Guido Schiek

Neue Radwege, Parkraumbewirtschaftung, Straßenreinigung: In Darmstadt gibt es Zoff um so manche politische Entscheidung. Über was grade wo gestritten wird, zeigt der Überblick.

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DARMSTADT. Wer gestalten möchte, macht sich gerne ein deutsches Sprichwort zu eigen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Individuell kann Hartnäckigkeit durchaus zum Ziel führen, gesellschaftspolitisch müsste es aber eher heißen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Gegenwille. Das hat auch die Darmstädter Verwaltung in den vergangenen Monaten immer wieder zu spüren bekommen.

Ob Parkraumbewirtschaftung, Straßenkehren, Gewerbegebiete oder zuletzt ein beschlossener Pumptrack in Eberstadt: An „Widerstandsnestern“ mangelt es in der Wissenschaftsstadt nicht. Das ist auch früher schon so gewesen. Die Initiative „Darmstadt ohne Nordostumgehung!“ (ONO) schrieb Geschichte und pulverisierte 2009 mit ihrem Bürgerbegehren die damaligen Straßenbaupläne im Rathaus. Daran konnte auch ein formaler Mangel wegen 204 fehlender Stimmen nichts ändern, der dem Begehren eine bindende Wirkung beschert hätte. Das Signal war auch so überdeutlich.

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Parkraumbewirtschaftung ist ein Reizthema

Bei den aktuellen Konflikten, die zuletzt öffentlichkeitswirksam zutage traten, geht es nicht immer um Grundsätzliches. Ausnahme bleibt die Parkraumbewirtschaftung, die am Ende das gesamte Kernstadtgebiet umfassen soll. Die Widerstände dagegen entspringen vielmehr dem, was in der Politologie „Einzelinitiativen im soziokulturellen Feld“ bedeutet. Gegenwind gibt es dort, wo es die Leute örtlich betrifft. Das dokumentierten die etwa 50 Anwohner aus dem Woogsviertel, die mit der dortigen Einführung der Parkraumbewirtschaftung nicht einverstanden waren beziehungsweise einen Verdrängungswettbewerb ins Umfeld befürchteten.

Während dieser Protest organisatorisch informeller Art war, treten andernorts Initiativen und Interessengemeinschaften auf. Bemerkenswerterweise muss man in der Eigenbezeichnung nicht gegen etwas sein, sondern kann auch das „pro“ im Namen tragen. Denn wo es einen Interessenkonflikt gibt, kann man auf Bestehendes verweisen. Ein Beispiel hierfür ist die „BI pro Bürgerpark“, die ihrerseits für sich in Anspruch nimmt, für die „grüne Lunge“ der Stadt zu kämpfen, indem sie die Erbauung von 47 Häusern am Elfeicher Weg rund um den namenlosen Teich verhindert. Ein jüngstes Rechtsgutachten gelangt zu dem Schluss, dass ein angestrebtes Normenkontrollverfahren Aussicht auf Erfolg haben könnte - jedenfalls sei es begründet, ein solches Verfahren anzustreben.

Hier sollen Wohnhäuser errichtet werden: Gelände am Nordrand des Bürgerparks. Foto: Andreas Kelm
Hier sollen Wohnhäuser errichtet werden: Gelände am Nordrand des Bürgerparks. (© Andreas Kelm)

An anderen Stellen versuchen Parteien, Proteststimmungen, die zunächst zivilgesellschaftlich getragen sind, entweder zu kanalisieren oder den Bürgern argumentativ beizustehen. Die Unterschriftenaktion gegen die überarbeitete ÖPNV-Anbindung im Woogsviertel, gegen welche die SPD rund 1400 Unterschriften sammelte, ist ebenso ein Zeichen dafür wie die Unterstützung der Sozialdemokraten im Widerstand gegen die Straßenkehrsatzung, die ab 2023 gelten soll.

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Streit um Mountainbike-Parcours in Eberstadt

Wiederum an anderer Stelle springen Interessengemeinschaften wie Kai aus der Kiste. Monate, nachdem das Stadtparlament das aus dem Bürgerhaushalt 2.0 aufgegriffene Pumptrack-Projekt in Eberstadt beschlossen hatte, klagten Anwohner aus dem Umfeld des Mühltalbads über schleppende Kommunikation der Verwaltung. Das Ergebnis ist die IG Eberstadt Ost, die nach eigenen Angaben mehr als 100 Unterschriften gegen den Mountainbike-Parcours sammelte. Vorläufiger Höhepunkt war ein Bürgeraustausch mit Bürgermeisterin Barbara Akdeniz (Grüne), zu dem auch zahlreiche Befürworter des Pumptracks kamen. Wer Widerstand organisiert, kann sich nicht sicher sein, für die Mehrzahl eines Stadtteils, eines Viertels oder einer Straße zu sprechen.

Gegner des Pumptrack-Standorts bringen sich am Mühltalbad in Stellung. Foto: Guido Schiek
Gegner des Pumptrack-Standorts bringen sich am Mühltalbad in Stellung. (© Guido Schiek)

Dass sich in Darmstadt Bürgeranliegen öfters auf Verkehrsthemen konzentrieren, ist für den TU-Politologen Dr. Christian Stecker nicht überraschend. „Da wir alle täglich und häufig zeitintensiv am Verkehr teilnehmen und uns knappen Raum mit anderen Verkehrsteilnehmern beim Parken oder Rad- und Autofahren teilen müssen, sind diese Konflikte besonders intensiv.“

Wo zuletzt Bürgerzusammenschlüsse von sich reden machten, zeigt unsere Übersicht (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Woogsviertel

Im Herbst 2021 kumulierte der Unmut über die Einführung der Parkraumbewirtschaftung im Woogsviertel. Schon im Vorfeld ging die Stadt gegen Gehwegparken an nicht eingezeichneten Stellen vor, was viele Anwohner zuvor als „Gentlemen's Agreement“ zwischen Stadt und sich selbst erachteten. Protest gab es unter anderem an der Argumentation der Stadt, Fremdparker würden den Druck erhöhen. Ein zunächst unveröffentlichtes Gutachten bestätigte das in der Form nicht; auch wünschen sich Anwohner eine Quartiersgarage. Seit dem späten Frühling ist es um das Viertel ruhiger geworden.

Bürgerpark:

Die „BI pro Bürgerpark“ will die „grüne Lunge“ Darmstadts erhalten und tritt gegen die Bebauung der Fläche um den namenlosen Teich zwischen Elfeicher Weg und Kastanienallee ein. Dort sollen einmal 47 Einfamilienhäuser stehen, 2009 änderte die Stadt den Flächennutzungsplan und schaffte Baurecht. Die BI ist aber nicht allein und hat den Bezirksverein Martinsviertel und den Pächter des benachbarten Bayerischen Biergartens auf ihrer Seite. Sie berufen sich auf ein Papier von 1989 und sehen die Vorgabe einer „landschaftsgerechten Bepflanzung des Grundstücks im Charakter des Bürgerparks Nord“ verletzt. Eine Normenkontrollklage wird angestrebt.

Gewerbegebiete

Vehement kämpfte die Projektgruppe Arheilgen-Kranichstein-Wixhausen gegen die Dimension der Voruntersuchungen für potenzielle Gewerbegebiete in Arheilgen-West und Wixhausen-Ost. Rund 220 Hektar an Suchflächen standen im Raum. Vor anderthalb Monaten gab die Stadt dann überraschend bekannt, die Untersuchungen einzustellen, da die „ökologischen Kosten größer wären als der ökonomische Nutzen“. Igab, Landwirte und Naturschützer feierten das als Erfolg, sendeten Respektsbekundungen an die Verwaltung und kündigten an, weiterhin kritische Beobachter der Gewerbegebietsentwicklung in Darmstadt zu bleiben. Auch im Netz ging der Widerstand viral: Achim Possmann initiierte eine Online-Petition - 6555 Unterzeichner gab es hierfür.

Dieburger Straße

Ums Parken geht es auch entlang der Dieburger Straße. Die Stadt strich hier 100 Abstellmöglichkeiten zusammen, die verbliebenen 47 reichen Anwohnern, Vertretern der Gesundheitsberufe und der IG Dieburger Straße aber nicht aus, um die Nachfrage zu bedienen. Vorläufiger Höhepunkt war eine Protestaktion der IG und des Altenzentrums Rosenhöhe. Forderungen: Tempo 30; zentraler Adressat: Mobilitätsdezernent Michael Kolmer (Grüne). Botschaft: „Geben Sie uns Alten und Pflegebedürftigen unsere Parkplätze zurück!“

Straßenreinigung Wixhausen

Selbst kehren oder kehren lassen? In Wixhausen nimmt man diese Frage sehr genau, denn von der Idee, der EAD soll eine „Zwangsbekehrung“ einführen, sind nicht alle Einwohner begeistert. Credo: Was nicht bestellt ist, soll auch nicht kostenpflichtig sein. Unter anderem Uwiga und SPD unterstützen Unterschriftenaktionen gegen die Kehrpflicht. Zur nächsten Stadtverordnetenversammlung soll die Liste an die Verwaltung übergeben werden.

Pumptrack Eberstadt

Völlig unerwartet formierte sich im September Widerstand gegen einen 300 Quadratmeter großen Pumptrack für Kinder. Obwohl die Idee hierzu 2021 entstand und 2022 intensiviert wurde - es gab ein Nutzertreffen, Berichterstattungen, eine Bürgerinfo und einen Stadtverordnetenbeschluss - erklärten Anwohner, erst im August das erste Mal davon erfahren zu haben. Da war die Messe aber schon lange gelesen. Es folgten die Gründung einer IG, Unterschriften und eine Aussprache zwischen Verwaltung und Bürger vor zwei Wochen. Dabei war auch ein erklecklicher Anteil der Bürger für den Pumptrack.

Von André Heuwinkel