Bis zum 24. Dezember öffnen wir für unsere Leser täglich ein Türchen in unserem Adventskalender der Regionen. Die Geschichten sollen Freude bereiten und Ideen geben.
Darmstadt. Fotograf Andreas Kelm hat Mühe, „Perla“ scharfzustellen. Das Hündchen zittert in seinem Tarnfarbenjäckchen so heftig – eine Chihuahua-Dame im deutschen Winter. Zur Kamera schauen will die Kleine auch nicht. „Schmeiß mal eine Salami aufs Objektiv, dann guckt sie“, scherzt Marco. „Sie frisst alles ohne Getreide und mit viel Fleisch“, weiß „Perlas“ Herrchen. „Ihr Essen kostet mehr als meins“. Egal: „Perla ist klein, aber Familie. Sie ist meine kleine Schwester“. Deshalb ist Marco an diesem Sonntagmittag auf dem Europaplatz. Dort gibt es Mahlzeiten - für Herr und Hund.
Marco selbst war anderthalb Jahre auf der Straße, hat drei Jahre „Couch-Surfing“ hinter sich. Sein eigenes Essen hat er bereits bekommen, jetzt gibt es was für seine Perle mit vier Pfötchen. „Hier kriegst du Futter, das du dir sonst gar nicht leisten könntest“, sagt Marco, während „Perla“ – selbst nur so lang wie zwei Futterdosen – in einen Rucksack mit Proviant kriecht.
Stephanie Dolata ist an diesem Tag mit ihrem Mann Andreas aus Groß-Umstadt wieder nach Darmstadt gekommen: das Heck voll mit Futter - trocken und nass und, für Hunde, aber auch für Katzen. Mit ihrer Aktion „Abby Blue Team“, benannt nach der Husky-Hündin des Paares, sammeln sie unter der Woche Futter, aber auch Maulkörbe, Trasportboxen oder Leinen, um dann sonntags auszuteilen. Seit 2018 ist das ihr Ding, wobei sie in der Pandemie pausieren mussten. Im vergangenen Sommer haben sie dann wieder losgelegt - flankiert von anderen Hilfsgruppen wie „Herzenssache Odenwald“ oder „Obdachlosen helfen Darmstadt“. „Es dauert, bis es sich wieder rumgesprochen hat“, sagt Stephanie Dolata, Geschäftsführerin einer Druckerei. Mal seien es fünf oder zehn Bedürftige, mal 30. „Seit Covid ist die Spendenbereitschaft aber extrem zurückgegangen.“
Die Dolatas, die ihre ehrenamtliche Aktion nicht als Verein organisiert haben, kriegen viele Sachspenden aus dem Kunden- und Bekanntenkreis. Es geht dabei nicht nur um Futter und Zubehör, auch Mittel gegen Milben und Zecken sind gefragt. Heute notiert Stephanie Dolata Adventswünsche auf einem Zettel. Am 18. Dezember soll Bescherung sein. Bald schon sind Katzenspielzeug, Mäntelchen, Schlafdecken, Unterwollbürste und bissfeste Leinen notiert. Man soll sich bei der Gelegenheit auch was für sich selbst wünschen, doch die meisten Leute, die hier Hilfe für Hund und Katz suchen, wollen nur etwas für ihren Liebling.
„Ich bin wunschlos“, sagt denn auch die Dame, die mit Nudeln und Salat in einem Styroporschälchen auf eiskaltem Beton hockt. Hauptsache, ihr „Enno“ hat es gut. Der Mischling aus Beagle („gucken treudoof”, sagt Frauchen) und Labrador („ist gefräßig“) jault und fiept. Hundi hat Hunger. Nudeln sind nichts für ihn, aber dafür wird er sich später heimlich über einen Muffin hermachen. „Ich häng’ an ihm“, sagt die Frau, die über die Wohnraumhilfe eine Unterkunft hat. Jetzt auch mit Klappbett, vorher nächtigte sie auf dem Boden. Aber um ihre Bedürfnisse soll es jetzt nicht gehen. „Enno“ wiederum soll eine passende Winterjacke kriegen. Wasserdicht wäre gut. Jetzt steckt der Mischling mit der angegrauten Schnauze in einem Mantel, der noch einen weiteren halben Hund bedecken könnte. „Enno“ ist schon ihr sechster Hund. Mit einem Jahr hat sie ihn gekriegt. Nun ist er Neun. „Er ist für mich wie ein eigenes Kind. Tiere sind wahre Freunde.“
Diese enge Verbindung kennt Steffi Dragomirx, die alle zwei Wochen im „Abby Blue Team“ Futter verteilt. „Für viele hier ist der Hund der beste Partner und die einzige Familie.“ Dass so eine Kreatur Geld kostet, das eigentlich gar nicht vorhanden ist, spielt da keine Rolle. „So ein Tier gibt man nicht weg.“ Auch wenn es das Leben am Rande der Gesellschaft bisweilen noch schwerer macht. Steffi Dragomirx kennt das, hat selbst gerade keine eigene Bleibe, wohnt bei ihrer Mutter, ist aber als Diabetikerin auf Begleithunde angewiesen, die eine Nase für ihren Blutzuckerspiegel haben. Doch selbst mit solch existenziellem Argument hat sie es als potenzielle Mieterin schwer. Allzu oft sind Tiere in der Wohnung unerwünscht. Allein, mit einem Dach über dem Kopf oder in Gesellschaft auf der Straße – das ist im schlimmsten Fall die bittere Alternative. Oder wie es Andreas Dolata beim Verteilen des Hundefutters formuliert: „Das hier zu erleben, holt einen auf den Boden der Tatsachen zurück.“