OB-Wahl: TU-Politologe Philipp Stolzenberg über den Darmstädter Wahlkampf
Zum fünften Mal bestimmen die Darmstädter am 19. März in direkter Wahl ihren Oberbürgermeister. Eine Frau und acht Männer haben sich um das Spitzenamt beworben. Der Politikwissenschaftler Philipp Stolzenberg von der TU Darmstadt befasst sich unter anderem mit lokaler Politikforschung und hat auch die kommunalpolitische Entwicklung in seiner Wahlheimat im Blick.
Von Daniel Baczyk
Redaktion Südhessen
"Die Konstellationen werden schwieriger", sagt Philipp Stolzenberg über Machtstrukturen in hessischen Kommunen. Fotos: André Hirtz,Guido Schiek
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DARMSTADT - Zum fünften Mal bestimmen die Darmstädter am 19. März in direkter Wahl ihren Oberbürgermeister. Eine Frau und acht Männer haben sich um das Spitzenamt beworben. Der Politikwissenschaftler Philipp Stolzenberg von der TU Darmstadt befasst sich unter anderem mit lokaler Politikforschung und hat auch die kommunalpolitische Entwicklung in seiner Wahlheimat im Blick.
Herr Stolzenberg, seit 25 Jahren werden in Hessen Bürgermeister und Oberbürgermeister direkt gewählt. Hat sich die damals heftig diskutierte Neuerung aus Sicht der Politikwissenschaft bewährt?
Insgesamt kann man sagen, dass die Direktwahl auf große Akzeptanz bei Bürgern und Kommunalpolitikern gestoßen ist. Allerdings haben sich nicht alle damit verbundenen Erwartungen erfüllt.
Welche wurden nicht erfüllt?
ZUR PERSON
Philipp Stolzenberg ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Der 31 Jahre alte gebürtige Rostocker war für sein Masterstudium 2011 von der Ostseeküste nach Südhessen gekommen. Seine Arbeitsbereiche sind Öffentliche Verwaltung, Staatstätigkeit und lokale Politikforschung.
Es gab auch in der Wissenschaft die Erwartung, dass durch die Direktwahl Haushalte einfacher konsolidiert werden können und die Bürgerbeteiligung überall gestärkt wird. So einfach waren die Zusammenhänge dann aber doch nicht.
Es gab auch die Befürchtung, dass das direkt gewählte Verwaltungsoberhaupt im hessischen System der Magistratsverfassung ein Fremdkörper sein werde.
Es stimmt, dass der direkt gewählte Bürgermeister in Hessen keine besonders starke Machtposition hat. Man kann aber bis jetzt nicht feststellen, dass dies zu größeren Problemen geführt hat. Allerdings werden die Konstellationen schwieriger - gerade nach den letzten Kommunalwahlen.
Das liegt daran, dass immer mehr Fraktionen in den Parlamenten sitzen?
Ja, und an gegenläufigen Mehrheiten, wie zeitweilig in Frankfurt und in Offenbach. Auch in Darmstadt und in Kassel hat der Oberbürgermeister keine eigene Mehrheit mehr hinter sich. Dann ist Führungsqualität besonders gefragt und wird von den Bürgern auch erwartet.
Führungsqualität - oder eher eine ausgeprägte Begabung für Diplomatie und Moderation?
Ich glaube, das widerspricht sich nicht. Die Erwartung an die Führungsqualität eines Bürgermeisters beinhaltet auch, dass er überparteilich ist und Kompromisse schmieden kann.
Es geht also nicht darum, auf den Tisch zu hauen und basta zu sagen?
Nein, autoritäre einsame Entschlüsse sind nicht mehr gefragt.
Sind statistische Aussagen möglich über die Erfolgschancen von Amtsinhabern und Herausforderern? Bürgermeister scheinen gute Aussichten auf Bestätigung im Amt zu haben, gerade in Darmstadt war es beim letzten Mal allerdings nicht so.
Es gibt insgesamt sehr wenig Forschung zur Bürgermeister-Direktwahl. Man kann aber sagen, dass die Amtsinhaber sehr gute Chancen haben.
Woran liegt das?
Das ist natürlich eine Frage der Bekanntheit. Den Bürgermeister kennt jeder. Er hat Verwaltungserfahrung und kennt die Details der Debatten, die vor Ort laufen.
Wie kann es dann passieren, dass der Herausforderer, wie in Darmstadt 2011, die Stichwahl mit fast 70 Prozent der Stimmen für sich entscheidet? Jochen Partsch wurde zudem erster grüner Oberbürgermeister einer hessischen Großstadt.
Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Eine solch klare Niederlage eines Amtsinhabers ist eine Ausnahme. Ursache können entweder parteiinterne Kämpfe sein - das war damals in der Darmstädter SPD der Fall - oder ein großer Skandal, in den der Amtsinhaber verwickelt ist. Was die Grünen angeht, so hat die letzte Kommunalwahl gezeigt, dass die Partei hier durchaus verankert ist. Gegen den Trend hat sie ein sehr starkes Ergebnis geholt. In der Studenten- und Wissenschaftler-Stadt gibt es ein Milieu von typischen Grünen-Wählern.
Wie nehmen Sie den aktuellen OB-Wahlkampf in Darmstadt wahr?
Bisher ist mir daran nicht besonders viel aufgefallen. Es gibt ein Hauptthema: die Wohnungspolitik. Sie steht bei allen Kandidaten auf der Agenda. Das ist auch nicht überraschend. Allerdings ist es dann für einen Kandidaten schwierig, sich dabei besonders auszuzeichnen. Es ist sicher klug, dass der SPD-Kandidat Michael Siebel das Thema aufgreift, aber ob er sich dabei stark vom Amtsinhaber abgrenzen kann, bleibt abzuwarten.
Ein neuer Faktor bei Direktwahlen sind die Kandidaten der AfD. Gibt es da erste Erkenntnisse der Politologen?
Bei der letzten Kommunalwahl in Hessen war es natürlich Thema, dass die AfD so erfolgreich war. Bei Direktwahlen gibt es noch wenig Erfahrungen.
Könnte es sein, dass die AfD bei Persönlichkeitswahlen strukturell schwächer abschneidet als bei Listenwahlen, weil sie ihren Schwerpunkt eher auf bundespolitische Themen wie Eurokrise oder Flüchtlingszustrom legt?
Tendenziell würde man schon vermuten, dass sie bei einer Direktwahl schlechter abschneidet.
Der Darmstädter Kandidat der AfD hat mit seinen frauenfeindlichen Äußerungen Aufmerksamkeit erregt.
Ja, aber es ist bekannt, dass Frauen weniger AfD wählen.
Das heißt, er kann in der Wählergruppe ohnehin nicht viel verlieren?
Es ist jedenfalls nicht die Kernklientel der AfD, die er da abgeschreckt hat.
Thema Ihrer Masterarbeit an der TU Darmstadt waren Bürgerhaushalte in Deutschland. Einen solchen Bürgerhaushalt gibt seit einigen Jahren es auch in Darmstadt. Die Erfahrungen, was die tatsächliche Mitwirkung von Bürgern angeht, waren teilweise etwas ernüchternd.
Die Frage ist, wie die Erwartungen waren. Man kann das nicht mit der Beteiligung an einer Kommunalwahl vergleichen. Es kommt auch darauf an, was für einen qualitativen Input die Stadt bekommt, ob neue Ideen eingebracht werden. Man will ja gerade mit den Bürgern kommunizieren, nicht nur ein Ja oder Nein als Antwort erhalten. Insofern ist die zahlenmäßige Beteiligung immer nur ein Aspekt.
Besteht bei solchen Beteiligungsmodellen nicht die Gefahr, dass man immer nur die gleiche Klientel erreicht: Bürger mit überdurchschnittlicher Bildung und viel Zeit?
Dass sich bestimmte Bevölkerungsgruppen weniger an demokratischen Prozessen beteiligen als andere, kann man seit Jahrzehnten feststellen. Das wird man nicht mit der einen oder anderen Aktion komplett umdrehen können.
Das könnte aber dazu führen, dass bisher schon privilegierte Gruppen verstärkt ihre Interessen wahrnehmen können und andere im politischen Prozess ohnehin unterrepräsentierte Gruppen noch mehr ins Hintertreffen geraten.
Das würde ich so nicht sehen. Der Vorteil an solchen Verfahren ist ja, dass wir die Beteiligung transparent machen. Die üblichen Verdächtigen haben ohnehin ihre Kanäle, über die sie sich einbringen. Das ist bloß nicht so sichtbar, wer da beispielsweise seine Stadtverordneten anspricht, oder den ihm bekannten Dezernenten. In einem Verfahren wie dem Bürgerhaushalt kann man immerhin sehen, wer einen Vorschlag macht und wie darüber abgestimmt wird.
Würden Sie eine Prognose wagen, wie die OB-Wahl in Darmstadt ausgeht?
Da möchte ich mich nicht festlegen. Aber der Amtsinhaber-Bonus wirkt natürlich schon sehr stark.