Darmstädter Schüler gestalten Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz. Die jüngere Generation müsse die Erinnerung an den Holocaust aufrechterhalten, so Oberbürgermeister Jochen Partsch.
Von Bettina Bergstedt
Beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus berichten die Schülerinnen Chanet Tekeste (links) und Sadia Haji von der Spurensuche zu Lise Juda.
(Foto: Guido Schiek)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT - Das Ausmaß des Grauens zeigte sich erst mit der Befreiung der letzten gut 7000 Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Unvorstellbar waren bis dahin die Taten und eine ganze Maschinerie der Nationalsozialisten, die die Vernichtung von Juden, der Sinti und Roma und auch politisch Andersdenkender systematisch vorangetrieben hatten. „Es gibt einen Ort, der synonym für die industriellen Massenmorde steht; dieser Ort heißt Auschwitz“, sagte Oberbürgermeister Jochen Partsch anlässlich der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus.
Ganz bewusst habe die Stadt die Feier auf den Folgetag (Montag) gelegt: „Wir wollten möglichst viele Schülerinnen und Schüler erreichen“, denn es sei nun die jüngere Generation, die die Erinnerung an den Holocaust aufrechterhalten müsse, so Partsch. Der volle Saal der Centralstation zeigte, dass in Zeiten, in denen nur noch wenige Überlebende des Holocaust über ihre Geschichte Zeugnis ablegen können, sehr wohl eine Generation heranwächst, die ein echtes Interesse an der Aufarbeitung des Nationalsozialismus hat.
„Schwere Lastwagen“ waren im Konzentrationslager Auschwitz unterwegs, die die nackten Leichen abholten. Vier Männer waren abgeordnet, zwei von ihnen standen unten „und schippten sie rauf, oben wurden sie geschichtet.“ Das hatte Otto Wolken zu Protokoll gegeben, über Lautsprecher erklingen die Tondokumente, Aufnahmen zu den Auschwitz-Prozessen, die Schüler der Emanuel-Merck-Schule im Rahmen eines Schulprojekts herausgesucht hatten – nur schwer auszuhalten, die Berichte. Der Arzt und Sozialist Wolken war gezwungen worden, als Häftlingsarzt unter den Nazis zu arbeiten. Ein KZ-Häftling beschreibt, wie die SS-Leute die Mithäftlinge „zum Verhungern gebracht“ haben, nach dem Hunger kam der Durst, bis sie die Wände ableckten und den eigenen Urin tranken, „dann fielen sie um, nach 15 Tagen starben sie“. Der SS-Mann Hans Stark aus Darmstadt gab zu Protokoll, er habe am „Töten vieler Menschen mitgewirkt“, weil er seinem „Volke dienen“ wollte. „Heute weiß ich, es war ein Irrweg.“
Schülerinnen und Schüler der Lichtenberg-Schule erinnerten sich bei der Feierstunde an ihre manchmal ambivalenten Gefühle bei einer Gedenkstättenfahrt: „Fassungslosigkeit“ und „das Gefühl der Leere“ angesichts einer Führung durch das Stammlager I, zurückgelassene Gegenstände der Häftlinge sind dort aufbewahrt, Kinderschuhe. Andere Schülerinnen haben den Lebenslauf von Lise Juda aufgearbeitet, die in Darmstadt in der Heidenreichstraße lebte, Schülerin der Viktoriaschule. Sie floh 1939 nach Frankreich, war interniert im Durchgangslager Drancy und starb in Auschwitz.
Studierende der TU sind aktiv geworden und erarbeiten derzeit einen digitalen Stadtrundgang, der auf einem Stadtplan Gedenkorte in Darmstadt anzeigt und mit Daten und Bildern informiert. Ab Frühjahr soll die App zur Verfügung stehen.
Eine App gegen das Vergessen, denn wenngleich 77 Prozent der Bevölkerung heute glaubt, dass antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung „gering“ seien, so stünde dieser Einschätzung eine wachsende Zahl derer entgegen, die „völkisches, autoritäres und ausgrenzendes Gedankengut“ wieder in die Gesellschaft hineinträgt, so Jochen Partsch, man dürfe nicht wegschauen, nichts übersehen, müsse auch an das Schweigen der Freunde erinnern (Martin Luther King).