Neujahrsempfang: Darmstadts OB Jochen Partsch warnt die...

Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch während seiner Rede auf dem Neujahrsempfang der Wissenschaftsstadt. Foto: Andreas Kelm

Während des Neujahrsempfangs der Stadt Darmstadt bot der alljährlicher Ausblick des Oberbürgermeisters den Zuhörern ebenso anspielungsreiche wie anregende Gedanken zur...

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DARMSTADT. Man stelle sich vor: Ein "Amt für Ehrlichkeit" sammelt Daten über alle Bürger. Was sie kaufen, wie sie zahlen, wie sie durch ihre Stadt fahren, wo ihre Kinder zur Schule gehen und wie sich diese dort betragen: All das wird erfasst. Aus der Summe dieser Daten errechnet die Behörde für jeden Einzelnen "Sozialverdienst-Punkte", sortiert die Menschen in Klasse A bis D ein. Wer in letzterer Schublade landet, darf sich weder Hoffnungen auf eine Beförderung noch auf einen guten Kindergartenplatz machen.

Keine Fiktion, sondern chinesische Wirklichkeit - "Sie können es googeln", forderte Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) die rund 400 Gäste des städtischen Neujahrsempfangs am Sonntag im Darmstadtium auf.

Das ist nicht ohne Witz, wenn man Googles Rolle im System engmaschiger Verbraucher-Überwachung bedenkt. Auch das hatte Partsch sicher auf dem Schirm, als er über Chancen, Risiken und mögliche Nebenwirkungen des Projekts "Digitalstadt" sprach. Sein alljährlicher Ausblick bot den Zuhörern ebenso anspielungsreiche wie anregende Gedanken zur künftigen Entwicklung der Kommune. Die Bemühungen, dem 2017 verliehenen Titel "Digitalstadt" gerecht zu werden, stellte Partsch dabei in den Mittelpunkt.

"Wir müssen aufpassen"

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Die unlängst erworbene Position "bringt auch eine große Verantwortung mit sich", so der OB. Klar, so eng wie in China sei das Netz in Darmstadt noch nicht. Man solle aber auch hierzulande nicht unterschätzen, "wie wirkmächtig solche Entwicklungen auch bei uns werden können".

Denn immerhin wird auch in Darmstadt der Verkehrsfluss schon digital geregelt, geben Bürger ihre Steuererklärungen via Internet ab, beantragen sie Leistungen bei der Arbeitsagentur per Computer. Viele Behördengänge können sich die Bürger sparen, weil sie auf elektronische Vorlagen auf den entsprechenden Websites der Stadt zugreifen können; ein Service, der systematisch weiter ausgebaut werden soll. Das ist natürlich nie eine Einbahnstraße.

Wie locker umgekehrt die Betreiber solcher Dienste auf die privaten Rechner der Nutzer zugreifen können, ist kein Geheimnis; der Chaos Computer Club, den Partsch in seiner Rede zitierte, hat oft mit deutlichen Worten darauf hingewiesen. "Wir müssen aufpassen", mahnte Partsch, "dass wir nicht unbeabsichtigt den gläsernen Bürger schaffen".

Wie das gelingen kann, an dieser Frage müssten auch die Bürger selbst mitarbeiten. "Wir müssen eine kritische Öffentlichkeit organisieren, damit diese ethischen Aspekte weiter von Bedeutung sind." Auch bei technischen Entwicklungen wie dem "Smart Home" müsse dies bedacht werden.

Neben den Risiken nannte der Oberbürgermeister auch die Chancen der "Digitalstadt Darmstadt". Doch sein Tenor ist derzeit eher der eines Warners. Im Februar wollen sich kluge Köpfe beim nächsten Darmstädter Gespräch im Staatstheater Gedanken über "Big Data" machen, Überschrift: "Brauchen wir eine Charta für digitale Grundrechte?" Partsch gab seine Antwort schon jetzt: "Ja, wir brauchen sie." Die Gesellschaft müsse "aufpassen, dass wir aus diesem digitalen Prozess nicht als Zauberlehrlinge herauskommen".

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Bürger vor Schadstoffen schützen

Neben den Daten-Autobahnen bastelt die Kommune freilich auch weiter an den real befahrbaren Straßen. Deren Zustand sei "so gut wie nie" - eine Bemerkung, mit der Partsch hörbare Belustigung im Saal provozierte, auch das sicher hübsch kalkuliert.

So bot sich dem OB die Chance, all die Straßenbauarbeiten aufzuzählen, die die Stadt 2017 hat ausführen lassen, von kleinen Abschnitten der Heinrichstraße bis zur Langstrecke auf der Heidelberger Straße, neue Radspuren und Haltestellen inklusive.

Auch verteilte Partsch ein paar Spitzen an jene, die der Umgestaltung der Frankfurter Straße im Bereich des Merck'schen Firmengeländes kritisch gegenübergestanden hatten, gar gefürchtet hatten, Arheilgen werde durch dieses Nadelöhr abgehängt vom Rest der Stadt. Das Ergebnis aus Sicht des Grünen-Politikers: "Der wunderschöne Stadtteil Arheilgen ist so gut angehängt wie nie zuvor."

Sorge bereitet Partsch derzeit ein anderes Verkehrsthema. Der Magistrat hat den 22. Februar fest im Blick: Dann entscheidet das Bundesverwaltungsgericht Leipzig über die Klage des Vereins Deutsche Umwelthilfe gegen das Land Baden-Württemberg; es geht um die Kritik an Plänen zur Luftreinhaltung und die Rechtmäßigkeit von Diesel-Fahrverboten. Letztere drohten dann auch hessischen Kommunen, Wiesbaden wie Darmstadt. Es würde "zumindest in einigen Straßen in der Innenstadt Verbote geben". Was nicht auf der Linie des Grünen liegt.

Klar, man müsse die Bürger vor Schadstoffen schützen, sagte Partsch - aber auch "verhindern, dass urbane Mobilität durch kurzfristige Verbote behindert wird". Vor allem gelte es, "den Anteil von ÖPNV und Radfahren hochzuziehen" - und zwar "koste es, was es wolle".