Der drahtige Mann mit der rotblonden Tolle und markanten Designer-Brille bringt einiges mit für seinen neuen Job. Seit den Herbstferien ist der Förderschul-Lehrer Dominik Dilcher mit der Leitung der Erich-Kästner-Gesamtschule im Darmstädter Stadtteil Kranichstein beauftragt, die lange offen war.
Von Thomas Wolff
Lokalredakteur Darmstadt
Das könnte schöne Folgen haben: Dominik Dilcher prägt die Erich-Kästner-Schule in Kranichstein als neuer Schulleiter.
(Foto: Andreas Kelm)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT - Um sieben hat er sich aufs Rad geschwungen an diesem Januarmorgen, bei acht Grad Kälte und tiefer Finsternis, draußen in Nieder-Ramstadt. Zackig ging’s über Feld und Flur, dann quer durch die Pendlerströme in der Stadt, vorbei an den Hochhauswänden Kranichsteins, bis vor die Türen der Erich-Kästner-Gesamtschule. Ein passionierter Radler ist der neue Schulleiter; das färbt ab auf die Schulgemeinde, und zeitigt Spuren auch im übrigen Stadtteil. Es ist nicht die einzige Leidenschaft Dominik Dilchers. Wer dem energiegeladenen 50-Jährigen zuhört, gewinnt schnell den Eindruck: Das könnte schöne Folgen haben.
Der drahtige Mann mit der rotblonden Tolle und markanten Designer-Brille bringt einiges mit für den neuen Job. Seit den Herbstferien ist der gelernte Förderschul-Lehrer mit der Leitungsstelle beauftragt, die lange offen war. Etwa 40 geistig behinderte oder verhaltensauffällige Schüler werden hier in Regelschulklassen unterrichtet, bei 420 Schülern insgesamt. Dilcher kam mit genauen Vorstellungen her, sein Motto: „Kein Mitleid mit Behinderten.“ Das stoße auch in Freundeskreisen manchmal auf Widerspruch, sagt er. Er bleibt aber dabei.
Seine Arbeit sei „radikal positiv“, sagt er; benachteiligte Kinder und Jugendliche will er vor allem „über gelingende Momente“ motivieren. Sie sollen sich zunächst einmal selbst wahrnehmen, sollen lernen, ihren Alltag aus eigener Kraft zu stemmen, so weit es halt geht.
Dafür bringt Dilcher neben dem Studium und praktischer Erfahrung in der Christoph-Graupner-Förderschule auch einen Doktortitel in Philosophie mit. Thema seiner Dissertation: „Gibt es einen didaktischen Ansatz, der für alle Menschen gilt?“ Ob behindert oder nicht? Dilcher sagt: „Ja, den gibt es.“
Ein dem Alltag entrückter Geisteswissenschaftler ist der gebürtige Darmstädter ganz und gar nicht. Mit Enthusiasmus wirft er sich in alles Mögliche hinein. Dilcher baut seit Kindertagen Modellflieger („bestimmt 50 sind zu Bruch gegangen“), er haut in mehreren Bands in die E-Gitarren-Saiten und singt dazu, reitet als Windsurfer über die Wellen, stählt sich für den nächsten Triathlon. Wenn seine 40-bis-50-Stunden-Schulwoche es noch hergibt, dann streitet er nach Feierabend noch im Mühltaler Parlament für, na klar, bessere Radwege. Die Interessen nehmen eher zu. Aufgegeben habe er seit Jugendtagen nichts, sagt er und lacht über seinen eigenen Drive: „Ich bin ein Spielkind.“ Kurz: Dilcher wirkt wie einer, der die jungen Kranichsteiner vielfältig inspirieren könnte. Gut so. Denn das, sagt er, ist in dieser Schülergeneration so notwendig wie nie.
Ganz oben auf seiner Aufgabenliste: „Wie gelingt es uns besser, Schüler in Ausbildung zu kriegen?“ Dilcher beobachtet den Trend, „lieber noch eine Schule und noch eine zu besuchen“ als den Weg in die Praxis zu wagen. Woran liegt’s? Dilcher seufzt. Vor Verallgemeinerungen scheut er sich. Trotzdem: „Ich spüre weniger Leidenschaft bei vielen jungen Leuten.“ Viel Frust, wenig Lust, sich ganz für eine Sache zu begeistern. Was tun?
Viele Kranichsteiner bringen Räder zum Reparieren her
Die EKS tut eine Menge. Ab Klasse fünf lernen die Kranichsteiner Kids im Fach „Praktisches Tun“ erste Fertigkeiten fürs Berufsleben. In AGs üben sie nachmittags, Räder zu reparieren, was dem ganzen Quartier nutzt – viele Kranichsteiner rollen ihre kaputten Zweiräder hierher, um sie von den Schülern richten zu lassen. Sie ziehen Pflanzen groß, sie klettern an der hauseigenen Wand, sie prüfen Kraft und Geschicklichkeit auf dem gigantischen „Pump Track“, den Dilcher, Kollegen und Schüler vor zwei Jahren nebenan ins Grüne gebaut haben. Im „Perspektivteam“ schaffen die Neuntklässler beim Gerüstbauer mit und beim Elektroinstallateur. Erfolge? So einige, sagt Dilcher.
Einer der Jungs, die in der Werkstatt „das Schrauben gelernt haben“, lernt gerade als Azubi beim Hersteller „Cucuma“. Ein anderer hat seine Zusage vom Installateur, schon lange vor dem Schulabschluss. Aber das sind Einzelfälle.
Die Kinder aus rund 40 Nationen mit all ihren unterschiedliche Begabungen zu motivieren, sie auf den Weg, in den passenden Job zu bringen: Das ist ein zähes Geschäft. Ein musizierender, politisch aktiver, rundum passionierter Triathlet ist da als Schulleiter nicht die schlechteste Wahl.