Mordprozess in Mörlenbach: "Ich forderte ihn auf, mich zu töten"

Tatort Bettenbach: Ihr Haus im Mörlenbacher Ortsteil haben die Angeklagten wegen ihrer Praxisinsolvenz 2018 bei einer Zwangsversteigerung verloren.  Foto: Sascha Lotz

Im Mörlenbacher Mordprozess gibt die Angeklagte eine Erklärung ab: Zum Tatablauf gibt es nun zwei Versionen.

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DARMSTADT/MÖRLENBACH. "Ich habe meine Kinder nicht getötet und war nicht daran beteiligt", liest die Frau mit immer mal wieder unsicherer Stimme von einem Blatt ab. "Ich hatte keinen Plan, die Kinder zu töten." Die wegen Mordes angeklagte 46 Jahre alte Mutter gab am Mittwoch im Landgerichtsprozess in Darmstadt eine Erklärung ab.

Sie schilderte kurz die familiäre Aufgabenteilung (sie: Kinder, Haus und ab und an Zahnärztin; er: kieferchirurgische Praxis) und ging dann gleich auf wirtschaftlichen Probleme ein. "Erste Hinweise auf Probleme mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung erhielt ich 2012", las sie ab, ab 2015 sei von der KV nichts mehr ausbezahlt worden. Das Insolvenzverfahren Ende 2015 habe sie überrascht.

Weil die Praxis mit 7000 Euro Sozialbeiträgen im Rückstand war, hatte die Krankenkasse im Oktober 2015 einen Insolvenzantrag gestellt. "Ich bekniete meinen Mann, das zu bezahlen, was er strikt ablehnte, weil er die Rechtmäßigkeit der Forderung bestritt", sagte die Zahnärztin. Aber sie habe ihrem Mann weiter vertraut.

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Die wirtschaftlichen Probleme hätten sie psychisch und arbeitsmäßig beschäftigt, schilderte die Angeklagte. Die Praxis war ab Anfang 2016 geschlossen. "Morgens war ich mit der Büroarbeit im Insolvenzverfahren ausgelastet", so die 46-Jährige. Eine Psychotherapie habe sie wegen der Kosten abbrechen müssen. "Von da an war ich mit meinen Ängsten alleine", sagte sie und habe sich von ihrem Mann, der "immer dünnhäutiger" geworden sei, zurückgezogen. Die Ängste seien auch der Grund gewesen, warum sie in ihren Briefen an den Insolvenzverwalter und den Vollstreckungsrichter "unsachliche Äußerungen" geschrieben habe.

"Spätestens 2017 wollte ich am liebsten Mörlenbach aufgeben, das Haus war mir egal", schilderte sie, aber ihr Mann habe an dem 2003 gebauten Haus festgehalten. Dabei habe es eine Chance gegeben, in Norddeutschland neu anzufangen. "Ich wollte wieder ein geregeltes Leben, meine Kinder hätten überall Anschluss gefunden", war sie sich sicher.

Am Abend des 30. August 2018 habe sie mit ihrem Mann auf der Terrasse gesessen. Am nächsten Morgen um 8 Uhr sollten sie ihr Haus räumen. Ihr Mann habe noch kämpfen wollen, aber sie nur noch in die Kerzen gestarrt. Ihr sei klar geworden, dass sie keinen Plan hatten, so die Angeklagte. Sie habe dann einen Rucksack mit den wichtigsten Dingen (unter anderem EC-Karten der Kinder mit den Pin-Nummern und Festplatten) gepackt und bei den Nachbarn in ein Gebüsch gestellt, beschrieb sie. Damit diese Sachen bei der Zwangsräumung nicht beschlagnahmt werden. Als sie wieder zurückkam, habe der Vater seine Kinder getötet gehabt, sagte die Mutter. "Ich sehe noch das Bild vor mir, wie er vor mir dasteht, mit einem blutigen Messer in der Hand." "Ich forderte ihn auf, mich zu töten", las die Angeklagte vor, "er sagte, er könne das nicht noch mal." Ihre Erinnerung setzte erst wieder im Krankenhaus ein. "Mir wurde mit Entsetzen klar, dass ich noch am Leben bin", sagte die Frau.

Am Mittwoch wurde auch eine Tonaufzeichnung vom Mittag des 31. August 2018 abgespielt. Darauf war die erste Aussage des Angeklagten, wenige Stunden, nachdem er von der Feuerwehr gerettet worden war. Man hörte den norddeutschen Akzent des Mannes. Er beschrieb, dass die Familie am 30. August in eine Frankfurter Apfelweinwirtschaft gefahren sei. Am Abend habe die Familie beschlossen, sich zu töten. "Alle vier Personen haben entschieden, sie möchten ihrem Leben ein Ende setzen", sagte er damals dem Polizisten, der ihn in der Klinik befragte. Den Kindern hätten sie ein Medikament gegeben, dass sie weniger Schmerzen spüren. Und dann: "Wir haben die Kinder getötet." Und auf Nachfrage des Polizeibeamten: "Meine Frau und ich." In einer späteren Aussage hatte der Kieferchirurg dann die ganze Schuld auf sich genommen.

Zur Frage, wer was gemacht habe, wolle er sich später äußern, hatte der Angeklagte in der Klinik erklärt. Der Prozess wird am Dienstag, 21. Mai, fortgesetzt.